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Krieg in Israel | "Schwäche": Die Nahostpolitik der USA ist gescheitert


Krisenherde im Nahen Osten
Die USA stehen vor einem Scherbenhaufen

Von Patrick Diekmann

Aktualisiert am 24.01.2024Lesedauer: 7 Min.
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Amerikanische Soldaten und startende F A-18 Hornet (Archivbild): Im Jemen haben US-Kampfjets Drohnen der Huthi-Rebellen abgeschossen.Vergrößern des Bildes
Ein US-Kampfflugzeug startet von einem Flugzeugträger: Die USA verlieren im Nahen Osten als Ordnungsmacht an Einfluss. (Quelle: imago)

Die USA verlieren als Ordnungsmacht im Nahen und Mittleren Osten an Einfluss. Nun brüskiert auch der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu die Biden-Administration. Doch das ist nur die jüngste Niederlage.

Kaum ein führender Politiker ist seit dem Terroranschlag der Hamas am 7. Oktober 2023 so viel in der Welt unterwegs wie Antony Blinken. Der US-Außenminister besuchte in den vergangenen dreieinhalb Monaten nahezu alle Länder, die im Nahostkonflikt eine zentrale Rolle einnehmen – viele davon sogar mehrfach. Doch es blieb nicht beim Nahen Osten: Im November war er in Japan, Indien und Südkorea. Zurzeit reist er eine Woche durch Afrika. Ein diplomatischer Kraftakt.

Die USA möchten einerseits ihre Partnerschaften auf allen Kontinenten stärken, besonders im Ringen um Einfluss mit China und Russland. Immerhin könnte der frühere US-Präsident Donald Trump die nächste US-Präsidentschaftswahl im November gewinnen, und das würde die US-Außenpolitik deutlich unberechenbarer machen. Andererseits wirbt Washington um Rückhalt für Israel, denn die israelische Führung ist aufgrund der humanitären Lage im Gazastreifen zunehmend international isoliert.

Bisher gelang es zwar, einen Flächenbrand im Nahen Osten zu verhindern, doch auch die amerikanische Ordnungsmacht muss sich dabei massiv anstrengen, um kleine diplomatische Erfolge zu erzielen. Klar: Die Vereinigten Staaten haben noch immer den meisten Einfluss. Aber die gegenwärtigen Krisen lassen den Hegemon so schwach erscheinen wie seit Jahrzehnten nicht mehr.

Das hängt mit einer gescheiterten US-Nahostpolitik zusammen und vielen muslimisch geprägten Gesellschaften, die den amerikanischen Einfluss zunehmend ablehnen. US-Präsident Joe Biden steht aktuell vor einem Scherbenhaufen der Außenpolitik seiner Vorgänger. Von dieser Situation profitieren ausgerechnet Russland, China und der Iran. Für den Westen ist das eine fatale Entwicklung.

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Dabei sah die Lage im Nahen Osten für die USA und ihren engen Verbündeten Israel vor dem Terrorangriff der Hamas gar nicht so schlecht aus. Ausgerechnet in Trumps Präsidentschaft bauten Staaten wie Jordanien, Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate und Bahrain diplomatische Beziehungen zu Israel auf. Auch Saudi-Arabien näherte sich im Jahr 2022 deutlich an.

Ein Frieden im Nahen und Mittleren Osten rückte zumindest etwas näher, auch wenn Trumps Deal einen massiven Haken hatte:

Washington stellte sich unter Trump im Nahostkonflikt einseitig hinter Israel, ignorierte das Schicksal der Palästinenser und gab dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu Rückendeckung, dessen Regierung radikalen jüdischen Siedlern die Landnahme im Westjordanland ermöglichte.

Trump – oder besser gesagt sein Schwiegersohn und damaliger Berater Jared Kushner – konnte zwar einige diplomatische Erfolge im Nahen Osten feiern. Doch die damalige US-Regierung hat bereits die Lunte an einem der größten Pulverfässer in der Region angezündet – dem Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern. Biden hat diese sensible Achillesferse der US-Nahostpolitik geerbt.

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Mit dem Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober und dem anhaltenden Krieg im Gazastreifen ist nun die US-Außenpolitik in der Region erodiert, der Einfluss Washingtons schwindet.

Ein paar Beispiele aus einigen Ländern in der Region:

Israel

Es ist bezeichnend, dass ausgerechnet der wichtigste Partner in der Region die USA brüskiert. Seit Beginn des aktuellen Krieges ringen die USA und auch Deutschland um eine mögliche Zweistaatenlösung nach diesem Krieg im Gazastreifen.

Netanjahu lehnt das ab. "Ich werde keine Kompromisse eingehen, wenn es um die volle israelische Sicherheitskontrolle über das gesamte Gebiet westlich des Jordans geht – und das steht im Widerspruch zu einem palästinensischen Staat", schrieb er am Sonntag auf X (vormals Twitter). Einen palästinensischen Staat sehe er als Bedrohung für Israel und er werde ihn auch weiterhin verhindern.

Der Konflikt der Verbündeten spitzt sich weiter zu. Blinken forderte beim Weltwirtschaftsforum in Davos am Mittwoch einen Plan oder eine Vision für eine Zweistaatenlösung. Netanjahu erklärte nach einem Telefonat mit Biden: "Israels Ministerpräsident muss imstande sein, auch 'Nein' zu sagen, wenn es nötig ist, selbst zu unseren besten Freunden". Aber er ging noch weiter. "In der Zukunft muss Israel das gesamte Gebiet vom Fluss bis zum Meer kontrollieren", verkündete er am Donnerstagabend. Der israelische Ministerpräsident meint damit das vollständige Territorium des ehemaligen Mandatsgebiets Palästina von der jordanischen Grenze bis zum Mittelmeer, inklusive des Westjordanlandes.

Aber warum stößt Netanjahu seine westlichen Partner vor den Kopf? Immerhin unterstützen die Amerikaner Israel jährlich mit einer Militärhilfe von 3,8 Milliarden US-Dollar.

Netanjahu inszeniert sich aus unterschiedlichen Gründen als Hardliner. Nach dem Krieg stehen wahrscheinlich Neuwahlen an, und er weiß, dass eine Mehrheit im Land einen palästinensischen Staat als Gefahr sieht. Außerdem machen ihn viele Wähler dafür verantwortlich, dass der Angriff der Terrororganisation Hamas am 7. Oktober auf Israel überhaupt möglich war. Im November stand Netanjahus Likud-Partei in den Umfragen nur noch bei 16 Sitzen im Parlament, bei der Wahl ein Jahr zuvor hatte sie noch doppelt so viele erhalten.

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Der israelische Ministerpräsident steht also mit dem Rücken zur Wand. Sollte er seine Macht verlieren, droht ihm eine Fortführung des Gerichtsverfahrens wegen Korruption. Deshalb verpasst er nun lieber den USA eine Ohrfeige und hofft, dass auch in Washington bald wieder ein persönlicher Freund von ihm regiert, dem die Zweistaatenlösung völlig gleichgültig ist: Donald Trump.

Immerhin scheint Israel aktuell seine eigene Kriegsführung mit Blick auf die Tausenden zivilen Opfer im Gazastreifen zu überdenken. Doch in der Frage mussten Blinken, Biden und auch Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) bei Besuchen in Israel immer vehementer auf Zugeständnisse dringen.

Saudi-Arabien

Israel hat nach dem Hamas-Terror momentan wahrscheinlich andere Sorgen, als sich über eine Zweistaatenlösung Gedanken zu machen. Aber Netanjahus fehlende Kompromissbereitschaft ist vor allem auch machtpolitisch motiviert, und deswegen droht den USA nun eine herbe Niederlage.

Besonders ärgerlich für Washington, weil andere Mächte auf Bitten der Amerikaner Israel in anderen Fragen entgegenkommen. Da steht vor allem Saudi-Arabien im Mittelpunkt, neben Israel der wichtigste US-Verbündete am Golf.

Der saudische Außenminister Prinz Faisal bin Farhan nennt die Aussicht auf einen Palästinenserstaat als Voraussetzung für normale Beziehungen seines Landes zu Israel. Solange es keinen glaubwürdigen Weg zu diesem Ziel gebe, werde sich Saudi-Arabien auch nicht am Wiederaufbau des Gazastreifens beteiligen, sagte Bin Farhan in einem Interview, das vom US-Fernsehsender CNN ausgestrahlt wurde. Auch das "Wall Street Journal" berichtete am Montag, dass Saudi-Arabien Israel als Staat anerkennen würde, wenn die israelische Führung ihre Blockade der Zweistaatenlösung aufgäbe. Das wäre ein diplomatischer Paukenschlag – und ein großer Erfolg für Biden.

Aber die Verhandlungen stecken genau an diesem Punkt in einer Sackgasse. Trotzdem ist Saudi-Arabien auch mit Blick auf die Angriffe der Huthi-Rebellen einer der wichtigsten westlichen Partner in der Region. Deswegen schauen westliche Staaten momentan nicht so genau auf Menschenrechtsverletzungen in dem Königreich, liefern sogar mehr Waffen an Saudi-Arabien. Denn die Beziehungen zu Riad gehören momentan zu den wenigen Hoffnungsschimmern am Golf, besonders für die Amerikaner.

Iran

Denn ansonsten sieht es für die USA relativ düster aus. Vor allem das iranische Mullah-Regime gilt als Profiteur der Eskalation im Gazastreifen. Viele muslimisch geprägte Staaten wenden sich wütend von Israel und den USA ab. Die jeweiligen Staatsführungen – auch wenn die Länder autoritär regiert werden – können diesen gesellschaftlichen Funken nicht ignorieren. Einige wollen das auch nicht.

Das verschafft dem iranischen Mullah-Regime mehr Rückendeckung in der Region. Die libanesische Terrororganisation Hisbollah oder die Huthi-Rebellen im Jemen greifen unter Federführung aus Teheran israelische oder westliche Ziele an. Im Irak attackieren schiitische Milizen Stützpunkte der US-Armee. Auch in Syrien dehnen iranische Milizen als Verbündete von Machthaber Baschar al-Assad ihren Einfluss aus.

Der Iran versucht also momentan, den Flächenbrand zu legen, den die USA und auch die Bundesregierung um jeden Preis zu verhindern versuchen. Dem iranischen Regime ist es gelungen, etwa in Syrien oder im Irak in das machtpolitische Vakuum vorzustoßen. Dieses Vakuum ist Folge der Nahostpolitik der USA, die zunächst aus Aggression, danach aus zunehmendem Desinteresse und einem Rückzug aus diesen Ländern bestand. Heute steht fest: Die US-Außenpolitik selbst hat den Iran gestärkt, und dieses Scheitern wird in der gegenwärtigen Situation sichtbarer.

Ägypten und die Türkei

Aber es sind eben nicht nur die Staaten, auf denen der Iran direkten Einfluss hat, die sich aktuell von den USA abwenden. Es verschiebt sich etwas im Nahen Osten, und der Beginn des Krieges in Israel war ein Brandbeschleuniger.

Symptomatisch dafür steht die Völkermordklage Südafrikas gegen Israel vor dem Internationalen Gerichtshof. Dabei wird es natürlich um die Frage gehen, ob die Klage erfolgreich ist. Aber schon jetzt ist sie eine Niederlage für Israel, die USA und auch Deutschland, weil sie offenbart, dass sich viele Staaten in der Region nicht mehr am westlichen Kurs oder an der US-Ordnungsmacht orientieren.

In der Folge unterstützen momentan Länder wie das Nato-Mitglied Türkei, der Irak, der Iran, Jordanien, die Arabische Liga und die Organisation Islamischer Länder (OIC) die Klage Südafrikas. Zur OIC zählen insgesamt 57 Staaten, darunter auch Saudi-Arabien, Ägypten, Pakistan und Marokko. Also auch Länder, die eigentlich eng mit den USA verbündet sind. Auch das spricht für den langsamen Verfall der US-Macht.

So bezeichnet etwa der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan die israelische Führung als "Schlächter" und vergleicht Netanjahu mit Hitler. Trotzdem nahm US-Außenminister Blinken die Türkei bei seinem Besuch in Ankara in die Verantwortung, als Regionalmacht für Stabilität in der Region zu sorgen. Auch die ägyptische Führung verurteilt öffentlich den US-Kurs im Gaza-Krieg, trotzdem sind die USA und ihre westlichen Verbündeten auf die ägyptische Führung angewiesen, damit Hilfskonvois in den Gazastreifen kommen können.

Die US-Nahostpolitik besteht momentan also vor allem in einem: Schadensbegrenzung. China und Russland müssen in dem Konflikt nicht großartig aktiv werden. Kremlchef Wladimir Putin und der chinesische Präsident Xi Jinping können abwarten und dabei zusehen, wie der Westen Rückhalt im Nahen Osten verliert. Davon profitiert ihr Verbündeter, der Iran. Und das stärkt am Ende auch sie.

Der US-Militärmacht gelingt es noch, mit Kriegsschiffen und Flugzeugträgern eine weitere Eskalation zu verhindern. Immerhin. Aber das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass im Nahen Osten eine multipolare Ordnung immer mehr zur Realität wird. Das hängt auch mit außenpolitischen Fehlern der USA zusammen, die in dieser Region besonders schwer wiegen.

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