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Saudi-Arabien gegen Iran: Machtkampf stürzt den Libanon ins Chaos


Angst vor Krieg
Stürzt Saudi-Arabien den Libanon ins Chaos?

Von ap, pdi

Aktualisiert am 08.11.2017Lesedauer: 4 Min.
Der ehemalige libanesische Ministerpräsident Saad Hariri wischt sich in Beirut (Libanon) übers Gesicht: Hariri ist zurückgetreten. In einer TV-Ansprache verkündete er seine Entscheidung und beschuldigte die Schiitenmiliz Hisbollah sowie den Iran, Unruhen in der Region zu schüren.Vergrößern des BildesDer ehemalige libanesische Ministerpräsident Saad Hariri wischt sich in Beirut (Libanon) übers Gesicht: Hariri ist zurückgetreten. In einer TV-Ansprache verkündete er seine Entscheidung und beschuldigte die Schiitenmiliz Hisbollah sowie den Iran, Unruhen in der Region zu schüren. (Quelle: dpa-bilder)
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Nicht nur viele Libanesen sind überzeugt, dass der Rücktritt ihres Regierungschefs Hariri von den Saudis orchestriert wurde. Diese machen das kleine Land offenbar zu einer neuen Front in ihrem Machtkampf mit Hisbollah und Iran.

Der abrupte Rücktritt von Regierungschef Saad Hariri war mehr als bizarr, auch nach libanesischen Maßstäben. Er verkündete seinen Schritt am Wochenende stockend in einem Video, das von Al-Arabija ausgestrahlt wurde - einem Sender im Besitz der Saudis. Und was er sagte, trug offensichtlich auch die Handschrift Riads: eine harsche Anklage des Iran, Saudi-Arabiens Nemesis.

Teheran mische sich in arabische Angelegenheiten ein, und Irans verlängerter Arm, die Schiitenmiliz Hisbollah, habe den Libanon als Geisel genommen, so Hariri. Er fürchte um sein Leben und habe sich daher zum Rücktritt entschlossen.

Stellvertretergruppen im Libanon

Für viele der überraschten Libanesen ist klar, dass Saudi-Arabien, Hariris langjähriger Verbündeter, den Ministerpräsidenten zum Rücktritt gezwungen hat - mit dem Ziel, dessen delikate Kompromissregierung mit der Hisbollah zu torpedieren. Damit droht Chaos im Libanon, wird die kleine Nation gezwungenermaßen zu einer neuen Front im Kampf zwischen Saudi-Arabien und dem Iran um die Vormacht in der Region.

Schon seit längerem - im Zuge der wachsenden Machtstellung von Kronprinz Mohammed bin Salman - hat das sunnitisch geführte Königreich seine Konfrontation mit dem schiitischen Machzentrum Iran verstärkt. Die beiden Lager unterstützen rivalisierende Seiten in mehreren Staaten der Region, verschärfen damit die Konflikte im Jemen, in Syrien und anderswo. Beide haben auch ihre Stellvertretergruppen im Libanon, aber in den vergangenen Jahren haben sich die libanesischen Parteien intensiv und weitgehend erfolgreich darum bemüht, eine gewalttätige Eskalation der Spannungen zu verhindern. Schließlich wird das Land immer noch von den Erinnerungen an den eigenen verheerenden Bürgerkrieg von 1975 bis 1990 verfolgt.

Rückschläge für Saudi-Arabien

So dominiert die schiitische Hisbollah zwar den Libanon, aber sie hat es vermieden, die sunnitische Gemeinschaft zu provozieren. Diese hat sich umgekehrt bemüht, sich nicht mit der Miliz anzulegen. Nun herrscht bei so manchen Libanesen die Furcht, dass Saudi-Arabien diese Balance zerstört, um damit jüngste Verluste in Stellvertreterkriegen auszugleichen.

Wie etwa den in Syrien. Dort haben mit den Regierungstruppen verbündete Hisbollah-Milizionäre und andere vom Iran gestützte Kämpfer weite Teile des Landes zurückerobert. Und nun arbeiten sie an der Sicherung eines strategisch enorm wichtigen Landkorridors von Teheran durch den Irak, Syrien und den Libanon zum Mittelmeer. Im Gegensatz dazu ist Saudi-Arabien in einen fruchtlosen Kampf gegen vom Iran unterstützte Rebellen im Jemen verstrickt. Auch hat sein Versuch, das Emirat Katar in der Region zu isolieren, nicht die gewünschten Erfolge gebracht.

Hariris Rücktrittserklärung erfolgte genau ein Jahr nach der Bildung der Einheitsregierung in Beirut, die kurz nach der Wahl des maronitischen Christen und Hisbollah-Verbündeten Michel Aoun zustande kam. Das Arrangement war das Produkt einer - seltenen - Übereinkunft zwischen Saudi-Arabien und dem Iran zur Beruhigung der Lage im Libanon, nachdem der Präsidentenposten zwei Jahre lang unbesetzt geblieben war. Der Deal über die Verteilung der Macht im Libanon sieht vor, dass der Präsident ein Maronite ist, der Regierungschef sunnitisch und der Parlamentsvorsitzende schiitisch.

"Erstaunliche Entwicklungen"

Aber es war stets eine unbehagliche Partnerschaft zwischen Hariri, der neben der libanesischen auch die saudische Staatsbürgerschaft besitzt, und der Hisbollah. Und mit der Serie von Siegen der Schiitenmiliz an der Seite vom Iran unterstützter syrischer Truppen kam der Regierungschef unter wachsenden Druck der USA und Saudi-Arabiens, sich von der Hisbollah zu distanzieren. In der vergangenen Woche hatte der saudische Minister für Angelegenheiten in der Golfregion, Thamer al-Sabhan, in einer Fernsehsendung ominös vorausgesagt, dass auf den Libanon "erstaunliche Entwicklungen" zukämen.

Hisbollah-Führer Hassan Narallah beschuldigte Saudi-Arabien, Hariris Rücktrittsschreiben entworfen und ihn gezwungen zu haben, es im saudischen Fernsehen zu verlesen. Er warf sogar die Frage auf, ob Hariri gegen seinen Willen festgehalten wurde. Die libanesische Tageszeitung "Al-Akhbar", ein harscher Kritiker Riads, veröffentlichte auf seiner Titelseite ein ganzseitiges Foto von Hariri mit den Worten: "Die Geisel".

Druck aus Saudi Arabien

Auch eine Reihe von Libanon-Experten ist überzeugt, dass Riad hinter dem Rücktritt steckt. So verweist Politikwissenschaftler Hilal Kashan von der American University in Beirut darauf, dass Hariri "viele Konzessionen" gegenüber seinen politischen Rivalen gemacht habe, um Regierungschef werden zu können. Ohne saudischen Druck hätte er das Amt sicherlich nicht abgegeben. Joseph Bahout von der Carnegie Mellon University hat just im vergangenen Monat gewarnt, dass Saudi-Arabien nach den Verlusten in Syrien nach neuen Wegen suche, den Iran bluten zu lassen. "Das könnte sie zum Versuch veranlassen, im Libanon wieder Fuß zu fassen."

Wie es dort nun weitergehen wird, weiß derzeit niemand. Angesichts des großen Rückhalts, den Hariri bei den Sunniten genoss, könnte es schwer für jeden potenziellen Nachfolger sein, in seine Fußstapfen zu treten. Und es wird unmöglich sein, ein Kabinett ohne die Hisbollah zu bilden, weil die Miliz und deren Verbündete sowohl bei den Schiiten als auch bei Christen breite Unterstützung genießen.

Zumindest könnte Hariris Rücktritt eine neue lange Periode ohne eine Regierung bedeuten - und das zu einer Zeit, in der die Wirtschaft unter erdrückenden öffentlichen Schulden leidet. Sie liegen mittlerweile über umgerechnet 65 Milliarden Euro - 140 Prozent des libanesischen Bruttoinlandsprodukts. Eine Verschuldung, die, gemessen am BIP, zu den höchsten auf der Welt zählt.

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