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Von der Leyens Krisenbesuch bei Joe Biden: Scheitert sie, scheitert Europa


Krisenbesuch bei Joe Biden
Die neue Gefahr für Europa

  • Bastian Brauns
Von Bastian Brauns

Aktualisiert am 10.03.2023Lesedauer: 6 Min.
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Zahlreiche Treffen und Gespräche: Joe Biden und Ursula von der Leyen.Vergrößern des Bildes
Zahlreiche Treffen und Gespräche: Joe Biden und Ursula von der Leyen. (Quelle: KEVIN LAMARQUE)

Bei ihrem Treffen mit US-Präsident Joe Biden steht Ursula von der Leyen unter Druck. Denn die deutsche EU-Kommissionspräsidentin braucht Erfolge. Aber sie hat einen Vorteil.

Bastian Brauns berichtet aus Washington.

Es ist der wohl wichtigste Termin, den Ursula von der Leyen in diesem Jahr absolviert. Nachdem sie in dieser Woche zuerst in Kanada bei Justin Trudeau für eine grüne Energiepartnerschaft geworben hat, ist die deutsche EU-Kommissionspräsidentin an diesem Freitag im Weißen Haus zu Gast. Dort muss sie sich mit dem US-Präsidenten über viele Dinge unterhalten, die für das Schicksal Europas entscheidend sind – und auch für ihre eigene Karriere.

Denn dem alten Kontinent droht nach Jahrzehnten des Friedens und des Aufschwungs nicht weniger als eine kolossale Überforderung. Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, die wachsenden Herausforderungen mit China und die ebenfalls steigenden Erwartungen der USA bringen die Staatengemeinschaft der Europäischen Union in Bedrängnis. Zugleich hat sich die wirtschaftliche Lage dramatisch verschlechtert.

Ursula von der Leyen ist deshalb nach Washington gekommen, um für Verständnis zu werben. Dafür, dass die USA bezüglich ihrer Wirtschaftspolitik möglichst viel mit den Europäern abstimmen. Vom Erfolg von der Leyens bei Joe Biden hängt ab, wie gut Deutschland und die übrigen EU-Staaten durchs 21. Jahrhundert kommen werden – ein Zeitalter, in dem nicht mehr Erdöl und Erdgas, sondern Wasserstoff, erneuerbare Energien und kritische Mineralien über die nationale Sicherheit entscheiden.

In den USA gilt von der Leyen als Macherin

Schnelligkeit ist keine Stärke der EU – das hat Ursula von der Leyen früh erkannt. Schon vor dem russischen Überfall auf die Ukraine hatte sie sich während der Covid-19-Pandemie einen in Brüssel durchaus zweifelhaften Ruf erarbeitet, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen.

So gelangte etwa ihr damaliger Vorschlag, ein Rettungspaket in Höhe von zwei Billionen Euro zu beschließen, ohne vorherige Rücksprache mit den Staats- und Regierungschefs der EU an die Öffentlichkeit. Ein Tadel ihrer eigentlichen Förderin Angela Merkel machte das deutlich. "Vergiss nicht, vorher mit uns zu sprechen", knurrte die Bundeskanzlerin ihre Parteifreundin in einer EU-Videokonferenz an.

Von der Leyen gilt als zielstrebig und forsch. Langwierige Abstimmungsprozesse innerhalb ihrer Kommission und immer noch eine Extra-Schleife mit allen EU-Mitgliedern zu drehen, das ist nicht ihre Sache. Als Putins Truppen in die Ukraine einmarschiert waren, führte sie mit der US-Regierung schnell Gespräche über gemeinsame Sanktionen gegen Russland – ohne erst auf eine ausführliche Debatte der Mitgliedsstaaten zu warten.

Was in Brüssel immer wieder Argwohn auslöst, hat Ursula von der Leyen in Washington hingegen Respekt eingebracht. Sie gilt hier als Anführerin, die sich mit dem US-Präsidenten auf Augenhöhe befindet – schlicht, weil sie die Dinge geregelt bekommt. Das unterscheidet sie von ihrem Vorgänger Jean-Claude Juncker, der immer große Rücksicht auf jegliche Befindlichkeit nahm, bevor er Entscheidungen verkündete. "Fuck the EU" – das berühmte gewordene Zitat der US-Außenpolitikerin Victoria Nuland von 2014 hatte auch mit der Trägheit und Entscheidungsunfähigkeit der EU zu tun.

Von der Leyen braucht Erfolge

Je mehr von der Leyen aber mit ihrem persönlichen Engagement in Erscheinung tritt und führt, desto stärker lastet auch der Druck des Erfolgs auf ihr. Scheitert sie, scheitert Europa. Bewusst schraubt man vor ihrem Besuch bei Biden deshalb die Erwartungen herunter.

Aus Kommissionskreisen heißt es, man wünsche sich in Washington eine Art Startschuss für künftig bessere Abstimmungen zwischen der US-Regierung und der EU-Kommission. In Wahrheit hofft man auf sehr konkrete wirtschaftliche Zugeständnisse – wagt aber nicht, das vorab öffentlich zu sagen.

Dieses US-Gesetz belastet die Beziehungen

Hintergrund der Reise ist neben Gesprächen über Russland und China nämlich vor allem eines der größten Ärgernisse für die EU-Staaten, der sogenannte Inflation Reduction Act, kurz IRA. Das ist ein schon verabschiedetes Gesetz der Biden-Regierung, das die USA mit gigantischen staatlichen Subventionen in ein grünes Zeitalter mit Wasserstoffwirtschaft, Elektroautos, Wind- und Solarkraft katapultieren soll.

Für Europa ist zwar erfreulich, dass sich die USA nach Trumps Abkehr von der Klimaschutzpolitik endlich auf den Weg machen. Aber der IRA gefährdet mit seinen vielen Steuererleichterungen Arbeitsplätze in der EU. Unternehmen drohen abzuwandern, weil Bedingungen in Amerika besser sind. Im schlimmsten Fall droht deshalb ein Handelskrieg, zum Nachteil beider Seiten.

Der französische Staatschef Emmanuel Macron wurde deswegen schon bei Joe Biden vorstellig und auch der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz hat es angesprochen. Robert Habeck und sein französischer Kollege Bruno Le Maire machten im Februar ebenfalls öffentlichkeitswirksam Druck im Weißen Haus. Die eigentliche Verhandlungsführerin mit den Amerikanern aber sind Ursula von der Leyen und ihre Kommission.

Kleine Erfolge für langfristige Sicherheit

Einen Teilerfolg konnte von der Leyen im vergangenen Jahr schon erzielen. Geleaste Elektroautos aus Europa sollen jetzt auch von amerikanischen Subventionen profitieren können. Kritischer ist: Die USA davon zu überzeugen, dass ihre gewährten Subventionen viel zu hoch sind und zu einem steuerfinanzierten Überbietungswettbewerb führen können, ebenfalls zum Nachteil dies- und jenseits des Atlantiks.

Auch bei der Frage nach sogenannten kritischen Mineralien, die etwa für die Herstellung von Batterien benötigt werden, wartete die EU bislang vergeblich auf ein positives Signal aus den USA. Dabei hofft man langfristig sogar auf eine Art grünes Freihandelsabkommen, das der Präsident aber per Dekret erlassen müsste, um den blockierten US-Kongress zu umgehen.

Wie überlebenswichtig ein Entgegenkommen der Amerikaner für die in der EU so wichtige Automobilindustrie ist, zeigte sich in dieser Woche in Washington schon vor von der Leyens Besuch bei Joe Biden. Ein alter politischer Weggefährte aus Niedersachsen, Eckart von Klaeden, traf sich hier am Mittwoch im US-Außenministerium mit Karen Donfried, der dort für europäische Angelegenheiten zuständigen höchsten Beamtin.

Der frühere CDU-Politiker Eckart von Klaeden war unter Angela Merkel einst Staatsminister im Bundeskanzleramt, seit 2013 ist er der wichtigste Lobbyist von Mercedes-Benz. Es ist kein Zufall, dass er gleichzeitig mit seiner Parteifreundin von der Leyen in Washington ist, auch er soll die Amerikaner von den Anliegen der Autobauer überzeugen.

Seit Monaten gleicht Washington einem Taubenschlag. Europäische Politiker, Lobbyisten und Unternehmenschefs kämpfen um Termine in der US-Hauptstadt. Die Biden-Regierung soll davon überzeugt werden, dass eine weitere empfindliche wirtschaftliche Schwächung des transatlantischen Partners durch den IRA auch nicht in ihrem eigenen Interesse liegen kann. Die USA wünschen sich von Europa nach Jahrzehnten der Abhängigkeit künftig mehr Eigenständigkeit und eine konsequentere Außenwirtschaftspolitik, insbesondere gegenüber China. Gelingen kann das aus EU-Sicht aber nur, wenn sich die transatlantischen Partner nicht auch noch gegenseitig behindern.

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Ein "transatlantischer Reflex"

Bei einem kürzlichen Besuch in der US-Hauptstadt drückte es der Transatlantikkoordinator der Bundesregierung, Michael Link, im Gespräch mit t-online so aus: "Was wir auf beiden Seiten des Atlantiks lernen sollten, ist das frühzeitige Berücksichtigen der Auswirkungen möglicher US- oder EU-Gesetzgebung auf unser jeweiliges transatlantisches Gegenüber." Der FDP-Politiker spricht von einer Art "transatlantischem Reflex", den er sich wünscht. "Das könnte uns monatelange aufwendige Reparaturarbeiten wie jetzt im Falle IRA ersparen", sagte Link t-online.

In einem Presse-Hintergrundgespräch des Weißen Hauses anlässlich Ursula von der Leyens Besuch ließ ein hoher Regierungsbeamter der Biden-Regierung jetzt durchblicken, dass die USA das gemeinsame Anliegen durchaus verstanden haben. Ziel sei es in Bezug auf saubere Energietechnologien, "miteinander zu kommunizieren" und nicht "miteinander zu konkurrieren". Ein Rennen um die höchsten Subventionen sei auch nicht im Interesse der Amerikaner. "Ziel ist es, die zentrale Bedeutung öffentlicher Investitionen für die gemeinsamen Ziele anzuerkennen", sagte der Beamte. Aber dies dürfte nicht dazu führen, lediglich die Taschen privater Unternehmen zu füllen.

Um ihrem Anliegen Nachdruck zu verleihen, hat von der Leyen einen Trick angewandt. Einen Tag vor ihrem Treffen mit Joe Biden im Oval Office gab ihre Kommission bekannt, dass sie vorübergehend ebenfalls große Subventionen zur Verfügung stellen will. Das Paket ist Teil der Antwort auf den amerikanischen "Inflation Reduction Act". Sie wird "Green Deal Industrial Plan" heißen und kommende Woche komplett vorgelegt werden.

Das kann man als Drohung verstehen: Wir können auch anders. Auch wenn das offiziell natürlich bestritten wird. Es ist eine Gratwanderung, weil es die Gefahr birgt, einen transatlantischen Subventionskrieg zu entfachen. Aber es verschafft der EU-Kommissionspräsidentin auch mehr Autorität. Am Ende könnte von der Leyen damit einmal mehr Eindruck in Washington gemacht haben.

Verwendete Quellen
  • Hintergrund-Briefing des Weißen Hauses zu Ursula von der Leyens Besuch
  • Gespräch mit Michael Georg Link (FDP) in Washington
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