t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomePolitikBundestagswahl 2021

Koalitionsvertrag steht: Rechts und Links kann man nicht verwechseln


Schwarz-rote Kompromisse
Rechts und Links kann man nicht verwechseln

Eine Analyse von Jonas Schaible

Aktualisiert am 07.02.2018Lesedauer: 4 Min.
Nachrichten
Wir sind t-online

Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.

Zum journalistischen Leitbild von t-online.
Koalitionsverhandlungen von Union und SPDVergrößern des Bildes
Koalitionsverhandlungen von Union und SPD (Quelle: dpa)

Auch der zweite Schritt ist geschafft: Der Koalitionsvertrag steht. Merkel gilt als Verliererin, Schulz hat einiges heraus geholt, Seehofer ist zufrieden. Und die Parteien haben ein Stück weit ihr Profil wiedergefunden.

Tagelang schien es so, als gehe es nicht voran. Tagelang stritten Union und SPD über zwei inhaltliche Fragen, die so strittig gar nicht sein sollten. Dann aber, am Mittwochvormittag, plötzlich die Nachricht: Man hat sich geeinigt. Auf 177 Seiten haben die drei Parteien festgeschrieben, was sie zusammen umsetzen wollen. Und wer welche Ministerien bekommt.

Dann stehen sie da, Merkel, Schulz, Seehofer, im Konrad-Adenauer-Haus, und stellen den Koalitionsvertrag vor.

Und mit einem Mal kehrt sich alles um. Schulz wirbt selbstbewusst, der Vertrag trage "sozialdemokratische Handschrift". Merkel muss zugeben, dass die Union wichtige Ministerien verloren hat. Seehofer ist zufrieden und fasst zusammen: "Passt scho!"

Noch am Dienstag, als ein Entwurf des Koalitionsvertrags durchgestochen wurde, schien es so, als verheddere sich die SPD. Dann wurde die Zuteilung der Ministerien öffentlich, und mit einem Mal sah die SPD aus wie die große Gewinnerin. Für die CDU bleibt dagegen nicht viel. Merkel gilt allenthalben als große Verliererin.

Diese Deutungen sind nachvollziehbar. Aber die noch wichtigere Erkenntnis der Verhandlungen, über einzelne Inhalte und die Postenbesetzung hinaus, ist eine andere.

Sie heißt: Union und SPD können miteinander, ohne zu verschmelzen. Sie haben, auch wenn es lange wirkte, für die Verhandlungen nicht einmal zwei Wochen gebraucht, haben sich keine Maulsperre auferlegt, aber trotzdem weitgehend professionell geschwiegen.

Es handelt sich um verschiedene Parteien, nach wie vor, nicht um eine Mitteeinheitspartei. Man ist unterscheidbar, wenn auch nicht grundverschieden.

Kein linkes Programm

Der Vertrag enthält kein linkes Programm, weil die stärkste Kraft nach wie vor deutlich die Union ist. Die ist keine linke Partei. Er enthält allerdings auch kein rechtes Programm, weil die SPD immer noch keine Kleinpartei ist – und offenbar gut verhandelt hat.

Da ist einiges dabei, was die Genossen sich wünschten: die faktische Abschaffung des Kooperationsverbots, mehr Geld für Bildung, ein Bekenntnis zur Solidarität zwischen EU-Staaten auch in Haushaltsfragen, eine Beschränkung von Rüstungsexporten, ein Ausbau der Pflege, die versprochenen Bemühungen, Ausbildung und Kitas günstiger zu machen, und eine leichte Verbesserung der Mietpreisbremse.

Durch die Abschaffung des Solis für viele und die Wiedereinführung der paritätischen Beiträge zur Krankenkasse werden am Ende viele Menschen sogar mehr Geld in der Tasche haben. Zumindest für eine Weile, bis zur nächsten Mieterhöhung.

Dazu bekommt die SPD gleich drei entscheidende Ministerien: das Auswärtige Amt, das Finanzministerium und das Arbeits- und Sozialministerium. Mit Europa und Finanzen hat sie besonders viel Mitsprache in Europäischen Angelegenheiten.

Dass Schulz offenbar bereit ist, vom Parteivorsitz zurückzutreten und Andrea Nahles den Posten zu überlassen, dürfte ebenfalls helfen.

Dennoch kommt auf die SPD-Spitze noch viel Arbeit zu.

Der SPD-Vorstand muss die Ergebnisse trotzdem verkaufen

Jetzt steht der Mitgliederentscheid an. Anders als vor vier Jahren kann niemand sicher sein, wie die SPD-Basis entscheiden wird. Auf dem Parteitag, als über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen abgestimmt wurde, stand es, den Vorstand abgezogen, fast 50:50.

Und noch ist Zeit auch für eine Anti-Groko-Kampagne der Jusos. Auch wenn sich die Aussichten für die SPD-Spitze am Mittwochmorgen schlagartig besserten.

Die Gegner einer Koalition werden sich auf das konzentrieren, was nicht glänzt aus sozialdemokratischer Perspektive: Die Mieten werden weiter steigen. Für das Klima wird etwas getan, aber wieder wird der Zeitpunkt entschlossenen Handelns nach hinten verschoben.

Und die drei Hauptforderungen der Partei wurden nur teilweise erfüllt.

Die Härtefallregelung für den Familiennachzug von Flüchtlingen, die nur subsidiären Schutz bekommen haben, steht im Vertrag, wird aber kaum mehr als einer Handvoll Menschen helfen. Eine Angleichung der Honorare, die Ärzte von privat und gesetzlich Versicherten bekommen, kommt nicht; sie soll erst einmal nur von einer Kommission vorbereitet werden. Befristete Verträge ohne Grund werden nicht abgeschafft, sind aber nur noch in wenigen Fällen möglich.

Es dürfte also leichter geworden sein, das Gesamtpaket trotzdem als Erfolg zu verkaufen, aber sicher kann sich der Parteivorstand nicht sein.

Die CSU hat ihre Klientel bedient

Sehr zufrieden mit dem Ergebnis kann die CSU sein. Sie hat zentrale Forderungen durchgeboxt: Eine Zielgröße für Zuwanderung, die CSU-Spitzen so oft als Obergrenze bezeichnet haben, dass es wahrscheinlich hängenbleiben wird; eine Ausweitung der Mütterrente.

Und am Ende, mit Unterstützung der CDU, sogar ein Baukindergeld von bis zu 12.000 Euro pro Kind, ein milliardenschweres Geldgeschenk an Familien, die bauen – zu gering, um den Ausschlag für ein Haus zu geben, aber groß genug, um sich bei CSU-treuen Wählern auf dem bayerischen Land beliebt zu machen.

Und sie hat ein zum Heimatministerium erweitertes Innenministerium bekommen, das Horst Seehofer erwartbar öffentlichkeitswirksam führen wird. Dazu kommt ein Digitalministerium – der alte Leitspruch von Laptop und Lederhose in neuer Gestalt.

Nur für die CDU sieht es schlecht aus. Sie kann sich gerade einmal darüber freuen, das Kindergeld um 25 Euro erhöht zu haben. Viele andere ureigene Forderungen sind nicht erkennbar. Dazu hat sie mit dem Innen- und dem Finanzministerium entscheidende Zuständigkeiten abgegeben.

Auf Angela Merkel kommen schwere Wochen zu.

Ein Papier, das beide Seiten erkennbar werden lässt

Insgesamt gilt mit Blick auf die Inhalte aber: Wer genau hinsieht, erkennt schnell, was die Union wollte und was die SPD. Wer die Verhandlungen verfolgt hat, sowieso.

Wenn etwa in der Landwirtschaft das Schreddern von Küken verboten und der Ausstieg aus der Glyphosat-Nutzung beschlossen wird, aber auch ein klares Bekenntnis zur konventionellen Massenlandwirtschaft enthalten ist. Oder wenn die SPD wollte, dass jeder aus Teilzeit zurück in Vollzeit kann, die Union das aber nur für Großbetriebe zulassen wollte, und es jetzt für Betriebe ab 45 Mitarbeitern gilt.

Das wird vielen Linken zu rechts sein und vielen Rechten zu links. Ein Kompromiss eben, mit Zumutungen und Zuckerli für beide.

Auf der Pressekonferenz am Mittwoch bewarben die drei Parteichefs den Vertrag noch mit Einigkeitsprosa. Mehr Differenz als in Merkels Satz, die Ressortverteilung sei eine "nicht ganz einfache" Frage gewesen, findet sich kaum.

Das ist eine sehr vorsichtige Umschreibung für einen sehr schmerzhaften Kompromiss. Wenn beide Seiten es ernst meinen mit der Abgrenzung in Zusammenarbeit, dann ändern sie das bald.

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...



TelekomCo2 Neutrale Website