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"Markus Lanz" zu Gewalt in Russland: "Kommen Sie wieder, wenn Sie tot sind"


Lanz zu Gewalt in Russland
"Kommen Sie wieder, wenn Sie tot sind"


Aktualisiert am 19.05.2023Lesedauer: 4 Min.
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Eine Frauenrechtsaktivistin in Moskau (Symbolbild): Bei Markus Lanz wurde über Gewalt in Russland diskutiert.Vergrößern des Bildes
Eine Frauenrechtsaktivistin in Moskau (Symbolbild): Bei Markus Lanz wurde über Gewalt in Russland diskutiert. (Quelle: Sergei Fadeichev via www.imago-images.de/imago-images-bilder)

Opfer werden oder Gewalttäter sein: Eine Alternative sah Boris Schumatsky nicht für sich in Russland – und ging. Bei "Lanz" erklärt der Publizist die Logik hinter Wladimir Putins Erfolg.

"Woher kommt diese unglaubliche Bereitschaft zur Gewalt, diese Brutalität?" Diese einleitende Frage von Markus Lanz war der rote Faden seiner Talkshow am Donnerstagabend. Die Sendung bot einen ebenso erhellenden wie erschreckenden Einblick in eine russische Kultur, in der es nur Täter oder Opfer gibt. So hat es jedenfalls der in Moskau geborene und aufgewachsene Schriftsteller Boris Schumatsky erlebt. Einer brutal verprügelten Ehefrau werde da auf der Polizeistation schon mal schulterzuckend gesagt: "Kommen Sie wieder, wenn Sie tot sind."

Die Gäste

Michael Roth (SPD), Außenpolitiker
Boris Schumatsky, Schriftsteller
Liudmila Corlăteanu, Journalistin
Hannes Meissner, Politologe

Schumatsky klärte ein grundlegendes Missverständnis in Deutschland auf. Wenn hierzulande jemand sage, dass man sich Frieden in der Ukraine wünscht, komme das in Russland ganz anders an. Nämlich als das Eingeständnis "Ich bin ein Prügelknabe". Und auf dieses Zeichen der "Schwäche" gebe es nur einen russischen Impuls: "Der muss vergewaltigt, der muss angegriffen werden."

"Lanz": In Russland zählt nur Gewalt

Dass der Westen vor Gräueltaten der russischen Truppen in der Ukraine so erschauert, beweist für den Publizisten, wie lange sich vor allem Deutschland ein falsches Bild von Russland geleistet hat. Es gebe zwar die allseits beschworene "russische Seele". Aber dahinter stecke, "was wirklich zählt: die Gewalt", sagte Schumatsky, der seit den 90er-Jahren in Berlin lebt.

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Schumatsky: "Die Gewaltkultur ist omnipräsent im Land"

"Die Gewaltkultur ist omnipräsent im Land", betonte der Publizist. Alle 40 Minuten werde eine Russin von ihrem Mann umgebracht, hat er von einer Nichtregierungsorganisation erfahren (in Deutschland hat 2021 laut dem Bundeskriminalamt fast jeden dritten Tag ein Mann seine aktuelle oder ehemalige Partnerin getötet). 2017 wurde die sogenannte häusliche Gewalt von Präsident Wladimir Putin dennoch entkriminalisiert. Auch das zeigt für Schumatsky: Der Terror des körperlich Stärkeren ist in Russland gewollt.

"Das habe ich gelernt als junger Mann: dass du entweder gewalttätig bist oder Gewaltopfer wirst", schilderte der Schriftsteller. Besonders brutal manifestiere sich dies in den Gefängnissen. Dort gebe es geradezu eine Kaste von "Herabgesetzten" – Männer, die von den anderen Häftlingen unaufhörlich verprügelt und vergewaltigt würden. Die Verbrechen dienen laut ihm auch dazu, die Täter ihrerseits vor Gewalt zu schützen, da sie sich vor der Gruppe als die "Stärkeren" bewiesen hätten.

Überlebenschance in der Armee? "Fifty-fifty"

Dieses Ausmaß an Brutalität wird zurückgetragen in die Mitte in der Gesellschaft. Denn laut Lanz hat jeder dritte Mann in Russland schon mal im Gefängnis gesessen oder ist aktuell inhaftiert. Folter und Vergewaltigungen sind auch in der Armee derart berüchtigt, dass Familien es sich viel Geld kosten lassen, um ihre Söhne vor dem Wehrdienst zu bewahren. Schumatsky selbst hatte seine Überlebenschancen als selbst ernannter "Nerd" in der Armee auf "fifty-fifty" geschätzt.

Die Gepeinigten in Gefängnissen müssen laut Schumatsky übrigens neben den Latrinen hausen. Wenn Putin also bei einer Rede droht, Feinde notfalls "auf dem Scheißhaus kaltzumachen", hat das laut dem Schriftsteller für Russen eben noch eine ganze andere Konnotation. "Putin sagt: Ich bin Gewalt. Ich schütze euch", beschrieb er das Erfolgsrezept des Machthabers.

"Auch wir haben lange in dieser Propagandablase gelebt und haben die steilen Thesen von Putin als Wahrheiten akzeptiert", räumte der Außenpolitiker Michael Roth (SPD) bei "Markus Lanz" ein. "Wir wollten Russland nicht provozieren." Nun aber gelte es dafür umso mehr, Rückgrat und Geschlossenheit zu beweisen. Denn der Moskauer Autokrat wähne sich auf einem historischen Feldzug.

"Für Putin ist die größte Tragödie des 20. Jahrhunderts nicht der Holocaust oder der Zweite Weltkrieg gewesen, sondern der Zerfall der Sowjetunion", sagte Roth, von 2013 bis 2021 Staatsminister für Europa im Außenministerium.

Putin bemühe sich nun "obsessiv" darum, diese vermeintliche Niederlage wieder wettzumachen. "Und deswegen wird er auch seine Ansprüche auf Moldau oder auf die Ukraine erst dann aufgeben, wenn er weiß: Er kann das nicht gewinnen", betonte Roth. "Deswegen muss die Ukraine gewinnen, sonst dürfte Moldau das nächste Kriegsziel sein. Sein Hunger wird nicht dadurch gestillt, dass wir ihm Zugeständnisse machen."

Moldauerin berichtigt Lanz

Die Republik Moldau war unmittelbar vor der Ausgabe von "Markus Lanz" Thema einer Dokumentation des Moderators gewesen. Die moldauische Journalistin Liudmila Corlăteanu stieß sich allerdings an dem Titel "Markus Lanz – Moldawien ungeschminkt". Sie bevorzugt den offiziellen Namen ihres Landes "Republik Moldau", ähnlich wie man heute "Belarus" statt "Weißrussland" sage.

Lanz zeigte sich beeindruckt und berührt von dem ärmsten Land Europas. Senioren müssten dort teilweise mit nur 100 Euro Rente auskommen und das bei bis zu 35 Prozent Inflation und ähnlichen Preisen wie in den Supermärkten in Deutschland. Gleichzeitig lebe jeder vierte Moldauer im Ausland. Alten Menschen würden die Kinder fehlen, Kindern die Eltern. "Dieser Schmerz ist überall greifbar", schilderte Lanz.

Die Spaltung der Gesellschaft müsse gestoppt und die Lebensbedingungen verbessert werden, damit nicht noch mehr Menschen auswandern, forderte Corlăteanu von der Regierung ihres Heimatlandes. Die Journalistin setzte in der ZDF-Talkshow besondere Hoffnung in den EU-Gipfel am 1. Juni in Moldau, auch bezüglich Investitionen. Ihr von Russland bedrohtes Land müsse mit seinen "vielen Problemen, aber auch Möglichkeiten" anerkannt werden – und das nicht nur als Nachbarland der Ukraine.

Verwendete Quellen
  • "Markus Lanz" vom 18. Mai 2023
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