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Entsetzen in der AfD über eigene Abgeordnete: "Das ist Verrat am Vaterland"


Entsetzen in der AfD über eigene Abgeordnete
"Das ist Verrat am Vaterland"

  • Annika Leister
Von Annika Leister

Aktualisiert am 23.09.2022Lesedauer: 6 Min.
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Russlands Präsident Putin (l.), AfD-Parteichefs Tino Chrupalla und Alice Weidel: Teile der Partei halten die Fahne für Russland, nicht für Deutschland hoch, kritisieren selbst Mitglieder der Partei.Vergrößern des Bildes
Russlands Präsident Putin (l.), AfD-Parteichefs Tino Chrupalla und Alice Weidel: Teile der Partei hielten die Fahne für Russland, nicht für Deutschland hoch, kritisieren selbst Mitglieder der Partei. (Quelle: Collage: Heike Assmann /imago images)

Die Aufregung in der AfD über die abgebrochene Reise dreier Abgeordneter in die Ostukraine ist groß. Kritiker finden: Die Parteispitze ist überfordert.

Es ist eine Geschichte, wie wohl nur die AfD sie schreiben kann: Die drei AfD-Landtagsabgeordneten Christian Blex, Daniel Wald und Hans-Thomas Tillschneider reisen in dieser Woche nach Russland. In den sozialen Medien kündigen sie an: Sie wollen von dort aus weiter in den Donbass. Mit Unterstützung des Aggressors Russland soll es in jene Regionen in der Ostukraine gehen, die von Moskau kontrolliert werden.

Ausgerechnet dorthin also, wo in diesen Tagen in aller Hast Referenden zum Anschluss an Russland abgehalten werden sollen. Mit dem Ziel, so werten es Experten, aus dem Angriffskrieg von Wladimir Putin gegen die Ukraine das Narrativ eines Angriffskriegs auf russisches Gebiet erfinden zu können.

Und deutsche Politiker sind bei diesem schlechten Schauspiel mittendrin, womöglich nicht nur als Besucher, sondern als Wahlbeobachter, die das Referendum legitimieren? Schließlich haben AfDler in der Vergangenheit immer wieder Wahlen von umstrittenen Regimen begleitet. Es wäre ein internationaler Affront, wie es ihn in diesem Krieg noch nicht gegeben hat.

"Die halten nicht die deutsche Fahne hoch"

Der Verfassungsschutz und das Bundesinnenministerium haben die Reise im Blick, teilen die Behörden t-online auf Nachfrage mit. In der Ukraine ist das Entsetzen groß, sogar die US-amerikanische "New York Times" und der britische "Guardian" berichten über den Fall.

In der AfD scheint zunächst vorab niemand Bescheid gewusst zu haben, in der Partei ist die Aufregung groß. Bundes-, Landes- und Fraktionsvorstände tagen zu dem Thema. Schließlich wird der Druck zu stark, die drei Abgeordneten aus Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt blasen die Weiterreise in den Donbass ab.

Doch so ahnungslos, wie zunächst getan wird, sind lange nicht alle in der AfD. Einmal mehr legt der Fall deswegen offen, wie nahe Teile der Partei Russland stehen, wie groß die Sympathien für und wie eng die Kontakte in den Kreml sind. Und wie sehr der im Juni neu gewählte Bundesvorstand daran scheitert, Einigkeit in der Russlandfrage, Professionalität und – was manche in der AfD besonders schmerzt – Patriotismus zu zeigen.

Auch Tage später kommt die AfD nicht zur Ruhe. Funktionäre dringen hinter den Kulissen auf ein Durchgreifen des Bundesvorstands. Doch wird das passieren?

Die Reise demütige Deutschland genauso wie die AfD, so sehen es einige in der Partei. "Die halten nicht die deutsche Fahne hoch, sondern die russische", sagt einer aus Kreisen der Bundestagsfraktion t-online fassungslos. Andere hochrangige Mitglieder sagen: "Das ist Vaterlandsverrat." Am häufigsten fällt der Satz: "Das ist total irre!" Noch immer ist die Aufregung also groß.

Der deutsche Steuerzahler zahlt den Trip für Putin

Doch es gibt eben auch den anderen Teil in der AfD, der fleißig die Fahne für Moskau schwenkt. Unklar ist, wie groß er ist – und ob er nicht längst in der Mehrheit ist. Wenige Stunden nach der Verkündung von Blex, die drei Abgeordneten befänden sich bereits in Russland, geht das Gerücht in der Partei um, die Landtagsfraktion von Sachsen-Anhalt habe nicht nur vorab von der Reise gewusst, sondern sie auch per Beschluss legitimiert und sogar finanziert. Aus der vermeintlichen Privatreise würde so eine offizielle Delegation.

Die Fraktion liefert die Bestätigung selbst. Auf ihrer Homepage veröffentlicht sie einen Beitrag, in dem es heißt: Eine Gruppe "bundesdeutscher Mandatsträger" sei gerade in Russland und plane einen Besuch der Ostukraine, um sich selbst ein Bild von der humanitären Lage zu machen. Mit Tillschneider und Wald seien Mitglieder der Fraktion Teil der "Delegation". Weiter heißt es dort: "Wie eine repräsentative Umfrage der AfD-Landtagsfraktion ergab, fühlen sich über ein Drittel aller Sachsen-Anhalter in Bezug auf den Russland-Ukraine-Konflikt durch die deutschen Medien nicht objektiv informiert."

Eine Anfrage von t-online zur Höhe der Kosten und Details des Beschlusses lässt die Fraktion in Sachsen-Anhalt bis heute unbeantwortet. Die "Welt" erhält die Bestätigung: Die Flugkosten seien "durch die AfD-Landtagsfraktion verauslagt" worden. Bedeutet: Der deutsche Steuerzahler zahlt den Trip für Putin.

Während man im Osten versucht, aus der umstrittenen Reise Profit zu schlagen, bemüht sich die AfD-Fraktion in Nordrhein-Westfalen, sich von ihrem Abgeordneten Blex zu distanzieren. Mit ihm haben viele ein Problem, weil er als schwierig im Umgang gilt. Auch frühere Reisen von Blex auf die von Russland okkupierte Krim und nach Syrien spielen dabei eine Rolle.

Auch ein Bundestagsabgeordneter wurde von Moskau als Wahlbeobachter angefragt

Doch auch in NRW hat mit Stefan Keuter mindestens ein Abgeordneter, der für die AfD sogar im Bundestag und im Arbeitskreis für Außenpolitik sitzt, von der Reise gewusst. Keuter sagt t-online: "Ich wurde auf ganz vertraulichem Weg von der russischen Seite angefunkt, dass denen ein Schreiben eines Landtagsabgeordneten vorliegt."

Keuter ist selbst für seine Nähe zu Moskau bekannt – und für "Wahlbeobachtung auf Bestellung". Er hat in der Vergangenheit an mehreren Wahlbeobachtermissionen im Namen Moskaus teilgenommen, zuletzt bei der Duma-Wahl 2021 in Baschkortostan im Osten Russlands. Wegen zu hoher Auflagen blieb die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) der Wahl fern. Keuter lobte die Wahlabläufe. Keuter betont, dass er nie Vorteile oder Geld angenommen habe und nie "bestellt" worden sei.

Auch für die ursprünglich für den 4. November vorgesehenen Referenden im Donbass habe er nun eine Einladung als Wahlbeobachter von russischer Seite erhalten, erzählt er t-online. Doch er habe abgelehnt.

Die Drähte in die Behörden des Kremls sind offenbar kurz, die Gesprächsebene ist vertrauensvoll. "Sie wollten wissen, ob ich den Abgeordneten kenne", sagt Keuter. Er habe das bestätigt, aber auch mitgeteilt, dass sein Kollege "kein Topkontakt auf Bundesebene" sei.

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Im Grunde hat Keuter nichts gegen solche Reisen, er pflegt sie ja selbst. Doch selbst ihm geht das Vorhaben der Kollegen, ausgerechnet den Donbass zu bereisen, zu weit: "Es gibt rote Linien. Und eine solche Reise ist eine davon."

Dennoch informiert Keuter im Anschluss nicht den Landes- oder Bundesvorstand, sondern sucht selbst das Gespräch mit Blex. Er habe versucht, ihm die Reise auszureden, sagt er. "Ich habe ihm gesagt: Bitte nicht jetzt, schon gar nicht im umkämpften Gebiet. Das ist der falsche Zeitpunkt, das ist politische Unvernünftigkeit." Danach sei er der Überzeugung gewesen, den Kollegen umgestimmt zu haben.

"Das ist politischer Selbstmord"

Fehlanzeige. Blex, Tillschneider und Wald verkünden am Montag: Wir sind bereits in Russland – und wollen weiter in die Ostukraine. Ein US-amerikanischer Thinktank berichtet, die Reise solle vom 20. bis 28. September dauern.

Doch dann folgt die nächste Eskalationsstufe: Am Dienstagmittag rufen die von Moskau besetzten Gebiete Donezk und Luhansk im Donbass Referenden zum Anschluss an Russland aus – für den 23. bis 27. September. Also genau die Zeit, in der die drei AfDler die Region bereisen wollen.

In der AfD ist die Aufregung groß. Nach außen aber macht die Partei dicht. Kein Parteioffizieller will sich öffentlich äußern, Abgeordnete wollen sich nicht zitieren lassen.

"Als die Referenden ausgerufen wurden, hat sich der Druck erhöht", sagt Stefan Keuter. Die Referenden, so wertet es Keuter, seien der erste Schritt für eine Generalmobilmachung Russlands – "und das ist die vorletzte Eskalationsstufe vor einem Atomkrieg, den es mit allen Mitteln zu verhindern gilt".

Auch Keuter sieht hier das Problem für die eigentlich ja deutsche Partei AfD: Die Russen verfolgten eigene Ziele, sie wollten Legitimation für sich in den umkämpften Gebieten schaffen. "Jeder, der diesen Zielen dient, ist nützlich." Aus Sicht der AfD aber kann Keuter an diesem Punkt nur noch einen Schluss ziehen: "Das ist politischer Selbstmord."

Blex, Tillschneider und Wald sind weiterhin in Russland

So sehen es offenbar auch viele andere in der Partei. Blex, Tillschneider und Wald entscheiden sich an diesem Punkt um. Am Dienstagabend teilt ein Sprecher der Bundespartei t-online mit: "Die Reise in den Donbass wurde abgebrochen. Keiner fährt hin."

In anderen Parteien würde nun die Aufarbeitung beginnen, und die Folge wären harte Konsequenzen. Ob das in der AfD überhaupt angestrebt wird, ist fraglich. In Nordrhein-Westfalen haben immerhin neun von 12 Abgeordneten der Fraktion einen Antrag darauf gestellt, Blex aus der Partei zu werfen, wie "Welt" und dpa berichten. Er soll am Dienstag behandelt werden. In Sachsen-Anhalt herrscht weiterhin Schweigen.

Uninformiert und machtlos wirken in dieser Gemengelage nicht zuletzt die Bundes- und Fraktionsvorsitzenden Tino Chrupalla und Alice Weidel. Die kündigten zwar interne Aufklärung an, behaupteten aber auch am Dienstag noch, es handle sich um eine "Privatreise". Ob es diesmal gelingen wird, sich der Verantwortung so zu entziehen, ist mit Blick auf den sehr unterschiedlichen Umgang der Landesverbände und die engen Verbindungen in den Kreml auch von Mitgliedern der Bundestagsfraktion allerdings fraglich.

Und die Abgeordneten Blex, Tillschneider und Wald? Die weilen nach Informationen von t-online weiterhin in Russland.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Mit Material von dpa
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