t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomePolitikDeutschlandInnenpolitik

Nord Stream 2: Dieses Protokoll wollte Schwesigs Regierung verheimlichen


Trickserei für Nord Stream 2
Das wollte Schwesigs Regierung verheimlichen

  • Jonas Mueller-Töwe
Von Jonas Mueller-Töwe

Aktualisiert am 27.04.2023Lesedauer: 5 Min.
Nachrichten
Wir sind t-online

Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.

Zum journalistischen Leitbild von t-online.
imago images 193935605Vergrößern des Bildes
Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD): Ihre Minister und Behörden waren Nord Stream 2 stets zu Diensten. (Quelle: imago images/Political-Moments)

Die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern ging für Nord Stream 2 weiter als bislang bekannt. Im Verborgenen zog sie Fäden für die russischen Gashändler.

Nirgendwo kooperierte der deutsche Staat enger mit Putins Russland als in Mecklenburg-Vorpommern. Die von Ministerpräsidentin Manuela Schwesig gegründete sogenannte Klimastiftung ist zum Symbol gescheiterter Außen-, Energie- und Sicherheitspolitik geworden, zum Sinnbild von Lobbyismus und Klüngel. Denn eigentlich war sie eine Tarnorganisation, um die Gaspipeline Nord Stream 2 trotz US-Sanktionen fertig zu bauen.

Heute will die SPD-geführte Landesregierung ihren grundsätzlichen Fehler zwar erkannt haben. Mit der Aufarbeitung der Seilschaften tut sie sich aber weiterhin schwer. Möglicherweise weil noch immer nicht alle Verstrickungen mit dem Kremlkonzern Gazprom und seinen Nord-Stream-Unternehmungen bekannt sind, wie neue Recherchen von t-online nahelegen.

Die Möglichmacher

Aus internen Dokumenten des Landesfinanzministeriums geht hervor, dass die sogenannte Klimastiftung längst nicht die einzige Angelegenheit war, in der die Regierung Schwesig den russischen Gashändlern zur Verfügung stand. Im Gegenteil: Immer wenn die Nord Stream 2 AG auf Schwierigkeiten stieß, wandte sie sich ans Land. Die Regierung und ihre Behörden erwiesen sich als Möglichmacher und bemühte Helfer – und gingen weit über den Zweck der Klimastiftung hinaus, regionale Unternehmen vor US-Sanktionen zu schützen. Es ging um Lobbying, Kontaktanbahnung und kreative Wege, mit Gesetzen umzugehen.

Als beispielhaft dafür kann ein Termin im Juli 2020 gelten, über den anschließend Stillschweigen vereinbart wurde. Damals drohten die US-Sanktionen das Pipeline-Projekt ernsthaft zu gefährden. Die Nord Stream 2 AG saß der Staatskanzlei damals "im Nacken und bat seit Wochen um eine Rücksprache", wie aus einer E-Mail hervorgeht. Schwesigs Energieminister Christian Pegel und Wirtschaftsminister Harry Glawe suchten deswegen das Gespräch – und zwar mit der Bundesnetzagentur, der obersten deutschen Regulierungsbehörde.

"Konstruktive Problemlösungen"

Denn nicht nur die Sanktionen machten dem Kreml-Projekt zu schaffen, sondern auch die neue EU-Gasmarktrichtlinie, deren Umsetzung Mecklenburg-Vorpommern im Bundesrat nicht hatte verhindern können. Nicht einmal die von Nord Stream 2 vorgeschlagene Klausel fand ihren Weg in den Entwurf. Seitdem durften Gasproduktion und Pipelinebetrieb nicht mehr in einer Hand liegen. Und das zu überprüfen, dafür war damals wie heute die Bundesnetzagentur zuständig. Also trafen sich die Landesminister mit deren damaligem Präsidenten, Jochen Homann.

Über das bemerkenswerte Ergebnis dieser Unterredung wurde Stillschweigen vereinbart, wie aus dem Protokoll hervorgeht, das t-online vorliegt. Denn offenbar begriffen Landesregierung und Bundesnetzagentur die neue Gasrichtlinie eher als zu bewältigendes Hindernis, denn als notwendige Anforderung. Die Runde beriet demnach "konstruktive Problemlösungen", die ähnlich der Schwesig'schen Klimastiftung einem Verschleierungsmanöver gleichkamen – und das, obwohl die Bundesnetzagentur "politische Lösungswege" nicht aufzeigen dürfe, wie Homann betonte.

Darüber wurde Stillschweigen vereinbart

"Es wurde festgestellt, dass Nord Stream 2 gegenüber Nord Stream 1 eine abweichende Unternehmensstruktur aufweist, die dazu führt, dass Nord Stream 2 unmittelbar an der Mutter Gazprom angeschlossen ist", heißt es in dem Protokoll. "Im Ergebnis wurde Einigkeit erzielt, dass eine anderweitige organisatorische Struktur – etwa durch eine Anbindung von Nord Stream 2 an ein anderweitiges St. Petersburger Unternehmen – die Lage entschärfen würde und durch die Bundesnetzagentur grundsätzlich positiv begleitet werden wird." Die Regulierungsbehörde sei "zu derartig pragmatischen Lösungen (...) ausdrücklich bereit".

Beriet die Bundesnetzagentur mit der Landesregierung also über gesellschaftsrechtliche Tricks, um die EU-Gasrichtlinie zu umgehen? Tatsächlich gründete Nord Stream 2 später in Schwerin eine Tochtergesellschaft namens "Gas For Europe", die den Betrieb übernehmen sollte, um die Zertifizierung voranzutreiben. Die Bundesnetzagentur hatte ein deutsches Betreiberunternehmen zur Bedingung gemacht. In den Aufsichtsrat berief Gas for Europe einen SPD-nahen Ex-Spitzendiplomaten.

"Obwohl Sie schon so viel für uns tun!"

Auch in anderen Belangen der Zertifizierung war die Landesregierung offenbar Nord Stream 2 zu Diensten. Das wird besonders in Dokumenten von Ende 2020 deutlich. Zu diesem Zeitpunkt zogen sich Unternehmen aufgrund der drohenden Sanktionen aus dem Pipeline-Projekt zurück und die gemeinsame Gründung der Klimastiftung war deswegen in vollem Gange. Einer der Pipeline-Manager schrieb daraufhin an Schwesigs Chef der Staatskanzlei, Heiko Geue – offenbar in dem Wissen, wie sehr sein Unternehmen die Landesregierung bereits in Anspruch nahm, und doch in der Hoffnung, sie könne weitere Kontakte spielen lassen:

"Lieber Herr Dr. Geue, es tut mir sehr leid, wenn ich mich mit einem anderen Thema an Sie wende, obwohl Sie schon so viel für uns tun!" Das Unternehmen, das mit der technischen Abnahme beauftragt war, sei abgesprungen. Einspringen sollte eine öffentliche Materialprüfanstalt, die in der Sache bereits für das Bergbauamt Stralsund arbeitet. "Wenn ich mich recht erinnere, hatten Sie auf Kontakte nach Niedersachsen hingewiesen? (...) Ich hätte die große Bitte, ob Sie dort einmal nachfragen können, ob MPA [Materialprüfanstalt] uns aushelfen kann."

Die "Ersatzlösung"

Ein Sprecher des niedersächsischen Wirtschaftsministeriums bestritt etwaige direkte Kontakte zur Landesregierung in Mecklenburg-Vorpommern auf Anfrage von t-online, bestätigte aber, dass die Materialprüfanstalt Hannover bis November 2020 als Subunternehmer mit Nord Stream 2 befasst gewesen sei. Mit dem Rückzug des Zertifizierers habe auch die Tätigkeit der MPA geendet. Das bestätigen t-online vorliegende Dokumente. Sollte Geue für Nord Stream 2 die Fäden gezogen haben – in diesem Fall war er nicht erfolgreich damit.

Trotzdem fiel Nord Stream 2 und den Behörden der Landesregierung eine "Ersatzlösung" für das Problem ein, wie aus einer E-Mail hervorgeht – es scheint, als ob man gerne bereit war, dafür Vorschriften großzügig auszulegen. Eigentlich hätten Zweifel an der vorgeschriebenen Unabhängigkeit der für die technische Abnahme beauftragten Unternehmen aufkommen müssen.

Die Aufträge und die Verstrickungen

Ein langjähriger Mitarbeiter des bisherigen Zertifizierers machte sich kurzerhand selbstständig, wurde vom zuständigen Bergamt Stralsund als Sachverständiger anerkannt und übernahm die Zertifizierung der Pipeline außerhalb der küstennahen 12-Meilen-Zone. Einer seiner Ingenieure laut einem t-online vorliegenden Dokument: ein der Aufsichtsbehörde seit vielen Jahren bekannter früherer Mitarbeiter von Nord Stream 2.

Loading...
Loading...
Loading...

Haben Sie Hinweise zu einem unserer Artikel? Verfügen Sie über Einblicke in Bereiche, die anderen verschlossen sind? Möchten Sie Missstände mithilfe unserer Reporter aufdecken? Dann kontaktieren Sie uns bitte unter hinweise@stroeer.de

Besonders brisant: Auch innerhalb der 12-Meilen-Zone musste die Pipeline technisch abgenommen werden, dafür musste Nord Stream 2 über die sogenannte Klimastiftung ein Unternehmen beauftragen. Und auch in diesem Unternehmen nahm der frühere Nord-Stream-2-Mitarbeiter eine führende Position ein. Schaute die Aufsichtsbehörde bei dieser kreativen "Ersatzlösung" weg, wenn der Chef der Staatskanzlei schon nicht weiterhelfen konnte?

Dieser Verdacht liegt zumindest nahe. Denn eigentlich hätten Alarmglocken läuten müssen. Schließlich war das von der Klimastiftung mit einem Millionenauftrag ausgestattete Unternehmen auch noch familiär mit dem Stiftungspersonal verwoben. Über diesen Vorgang berichtete zuerst "Focus Online". In der Opposition jedenfalls vermutet man Lobbyismus, Klüngel und Vetternwirtschaft.

"Wichtige Standards wurden ausgehebelt, um die Pipeline auf Gedeih und Verderb durchzusetzen", sagte Hannes Damm t-online, der die Grünen als Obmann im Untersuchungsausschuss des Landtags vertritt. Aus gutem Grund müsse die Sicherheit großer Bauprojekte am Ende "absolut unabhängig zertifiziert" werden. "Bei Nord Stream 2 war das Gegenteil der Fall. Nord Stream 2 und die Klimastiftung schufen sich ihren eigenen Zertifizierer", sagte Damm.

Besonders alarmierend sei, dass die Genehmigungsbehörden nicht nur Bescheid wussten, sondern auch selbst einen ehemaligen Mitarbeiter von Nord Stream 2 beauftragten. "Das erschüttert das Vertrauen in die rechtsstaatlichen Verfahren in Mecklenburg-Vorpommern." Der Untersuchungsausschuss müsse klären, welche Rolle die Minister dabei spielten – und ob sie auf das zuständige Bergamt Druck ausübten.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Antrag nach dem Informationsfreiheitsgesetz Mecklenburg-Vorpommern
  • Focus.de: "Klimastiftungs-Chef vergab Millionenauftrag an seinen Bruder"
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Debatte bei der CDU
Von Sara Sievert



TelekomCo2 Neutrale Website