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Robert Habeck: Kohleausstieg in der Lausitz – Das darf er nicht vermasseln


Robert Habeck
Das darf jetzt nicht schiefgehen

  • Johannes Bebermeier
Von Johannes Bebermeier

12.08.2023Lesedauer: 7 Min.
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Bundesminister Habeck besucht die Sunfarming GmbHVergrößern des Bildes
Robert Habeck: Wann ist Schluss mit der Kohle? (Quelle: Soeren Stache/dpa/dpa-bilder)

Robert Habecks Grüne wollen den Kohleausstieg eigentlich auf 2030 vorziehen. In der Lausitz aber will man über dieses Datum gar nicht reden. Am Ende könnte es trotzdem so kommen.

Da steht sie ja schon, die kohlefreie Zukunft der Lausitz. Noch etwas klein vielleicht. Aber immerhin.

Es ist ein sonniger Tag Ende Juni. Wirtschaftsminister Robert Habeck ist in die ostdeutsche Kohleregion gereist, zum Kraftwerk Jänschwalde bei Cottbus. Er will mit den Menschen darüber sprechen, wie es hier weitergehen kann ohne Kohle. Und schon als er aus dem Auto steigt, begrüßen ihn die Mitarbeiter mit dieser Zukunft in Miniatur.

Aus bunten Bauklötzen haben sie das Modell eines Wasserstoffkraftwerks aufgestellt, so wie sie es hier und an anderen Standorten bald wirklich bauen wollen. Habeck soll ein kleines Rohr anlegen, den Anschluss an das Wasserstoffnetz, den sie dafür brauchen. "Mach ich gerne", sagt Habeck und baut an.

"Ein starkes Signal", finden alle miteinander. Alles super also? Nun, nicht ganz. Denn noch dampft die Gegenwart der Lausitz im Hintergrund aus neun Kühltürmen des Kohlekraftwerks. Und die Azubis halten Schilder hoch, auf denen steht: "Was ist mit uns?" So einfach wie im Modell ist es mit der Zukunft in der Wirklichkeit nicht.

Robert Habeck will hier in der Lausitz hinkriegen, was ihm im rheinischen Revier gelungen ist: ein früherer Kohleausstieg. Besonders Habecks Grüne wollen, dass 2030 Schluss ist statt erst 2038, wie bislang vereinbart. Auch im Koalitionsvertrag der Ampel steht, dass es "idealerweise" so laufen soll. Um die Klimaschutzziele zu erreichen. Aber es wäre für die Grünen auch schlicht ein wichtiger politischer Erfolg.

Und genau da fangen die Probleme für Habeck an. Denn hier in Ostdeutschland, wo die Menschen sich mit Umbrüchen und leeren Versprechen besser auskennen, als ihnen lieb ist, sehen sie das mit 2030 gar nicht ein. Zukunft ja, aber die braucht Zeit – und muss vom kleinen Modell erst mal zur lebensgroßen Wirklichkeit werden. So sehen sie das hier.

Kriegt man das irgendwie zusammen? Robert Habeck versucht es jedenfalls. Wer den Wirtschaftsminister bei seinen Besuchen in der Lausitz begleitet und mit Beteiligten spricht, der merkt, dass sich etwas verändert hat bei ihm. Habeck hat seine Strategie angepasst, seine Tonlage auch.

Das hat wohl mit seinen Erfahrungen aus der verkorksten Debatte ums Heizungsgesetz zu tun. Aber auch mit Linda Rudolph. Einer jungen Frau, die sagt: "Wir müssen verhindern, dass das hier eine Mondlandschaft wird." Und die damit anders als viele in ihrem Alter nicht so sehr die Klimakrise meint.

Der erste Besuch war weniger erfreulich

Linda Rudolph ist es, die Robert Habeck an diesem sonnigen Tag Ende Juni das bunte Modell des Wasserstoffkraftwerks präsentiert. Sie ist 24 Jahre alt, Industriekauffrau in der Personalabteilung – und Vorsitzende der Jugendauszubildendenvertretung, der JAV.

Neben ihrer eigentlichen Arbeit bei der Leag, dem Unternehmen, das an mehreren Standorten in Brandenburg und Sachsen Kohlekraftwerke betreibt, setzt sie sich dort für die Belange der Azubis ein. JAV steht auf ihrer schwarzen Daunenweste, darüber ist ein Hai zu sehen, der die Zähne fletscht.

"Er hat mich wiedererkannt", sagt sie, nachdem sie Habeck das Kraftwerksmodell erklärt hat. Rudolph hat Habeck schon einmal getroffen – und offensichtlich Eindruck gemacht. Kein Wunder: Das erste Treffen ein paar Monate zuvor war nicht ganz so harmonisch und entspannt für den Wirtschaftsminister verlaufen.

Es ist Februar, als Robert Habeck die Leag das erste Mal besucht, um über die Zukunft zu sprechen. An einem deutlich kälteren Tag passen Rudolph und viele der 500 Azubis den Wirtschaftsminister vor den Toren des Kraftwerks "Schwarze Pumpe" in Spremberg ab, eine gute Autostunde weiter südlich.

Doch sie empfangen ihn nicht mit einem Modell eines Wasserstoffkraftwerks, sondern mit einem großen Vertrag, den sie auf eine Holzplatte geklebt haben. "Verlässliche Energiepolitik statt arbeitsplatzzerstörender Parteipolitik!", haben sie schon in die Überschrift geschrieben. Und für Habeck geht es im Text genauso unangenehm weiter.

Schon im ersten Punkt fordern die Auszubildenden, dass am Datum des Kohleausstiegs nicht gerüttelt wird. 2038 soll es bleiben. Und wegfallende Jobs sollen ersetzt werden. Es sind die Sorgen der Gegenwart und nicht die Hoffnungen der Zukunft, die sie mitgebracht haben.

"Wir lesen jeden Tag in der Zeitung ein neues Datum, aber wir sehen nichts", sagt Rudolph in die Mikrofone der Journalisten. "Also kommt natürlich die Angst hoch bei den Leuten: Was passiert hier, wo kann ich bleiben?"

Robert Habeck wird sie an diesem Tag nicht beruhigen. Den Vertrag unterschreibt er nicht, obwohl Linda Rudolph es mehrfach versucht. "Da sind Sachen drin, die darf ich nicht unterschreiben", sagt Habeck irgendwann. "Und andere Sachen widersprechen dem, was ich schon mal unterschrieben habe im Koalitionsvertrag." Das mit 2038 nämlich.

Das Datum des Kohleausstiegs sei zwar nicht das Thema dieses Tages, sagt Habeck. "Aber wenn Sie ab und zu mal Nachrichten gehört haben, ist eigentlich die Aufgabe, alles dreimal so schnell zu machen, als bisher gedacht und geplant wurde in Deutschland."

Habecks Botschaft ist eindeutig an diesem Tag im Februar, auch wenn er sie so nicht geplant hatte. "Er hat sich versucht rauszureden", sagt Rudolph dazu heute. "Nicht zu unterschreiben war schon ein Statement und kein glückliches Signal an die Leag-Beschäftigten."

Die Sache mit dem CO2-Preis

Dabei glauben Robert Habeck und seine Grünen, dass sie eigentlich auf der gleichen Seite stehen müssten. Im Kampf gegen die Klimakrise sowieso, weil die jeden betrifft. Aber eben auch, weil die Grünen einen früheren Kohleausstieg noch aus anderen Gründen für unvermeidlich halten.

Kraftwerksbetreiber müssen für jede Tonne des schädlichen CO2, die aus ihren Schornsteinen kommt, Geld zahlen. Der Preis dieser sogenannten CO2-Zertifikate soll bald stärker ansteigen als bisher, damit die Unternehmen schneller auf klimaneutrale Technologien umsteigen. So will es die Politik.

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Viele Experten rechnen damit, dass der CO2-Preis 2030 schon so hoch sein wird, dass sich Kohlekraftwerke für die Betreiber ohnehin nicht mehr lohnen. Auch in Habecks Wirtschaftsministerium gehen sie davon aus, selbst wenn niemand die Entwicklung der Preise ganz genau vorhersagen kann.

Habeck und seine Leute glauben deshalb, dass es für die Leag und ihre Mitarbeiter besser ist, ein früheres Ausstiegsdatum auszuhandeln und festzuschreiben. Einerseits, damit Industriebetriebe, die sich wegen des grünen Stroms in Kraftwerksnähe ansiedeln wollen, Sicherheit haben, dass dieser auch fließt. Investitionssicherheit durch Kohleausstiegssicherheit also.

Andererseits glauben sie im Wirtschaftsministerium, dass auch die Mitarbeiter mit einem neuen Ausstiegsvertrag mehr Sicherheit bekämen, wie es für sie weitergeht. Durch neu verhandelte Übergangsregelungen etwa.

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Denn das Horrorszenario, vor dem auch Umweltverbände warnen, geht so: Der Mutterkonzern, der tschechische Investor EPH, könnte die deutsche Leag einfach in die Insolvenz gehen lassen, wenn sich die Kohle vor dem eigentlichen Ausstiegsdatum für sie nicht mehr lohnte. Und dann würden alle leiden.

"Bisher sind das alles nur Versprechen"

Bei der Leag fürchten viele ein anderes Szenario: Dass es bis 2030 einfach noch nichts wird mit der Zukunft im großen Maßstab. Mit den Wasserstoffkraftwerken und den riesigen Flächen mit Windrädern und Solarpaneelen, die die Leag plant und die am Ende deutlich mehr Strom liefern sollen als die Kohlekraftwerke heute.

Nicht, weil sie am Willen ihres Unternehmens zweifeln. Sondern weil es an der Bundesregierung scheitern könnte oder der EU oder schlicht daran, dass alles nicht schnell genug geliefert und aufgebaut werden kann. Die Wirklichkeit ist kompliziert.

"Es muss ja auch funktionieren", sagt Rudolph. "Bisher sind das alles nur Versprechen."

Im Grunde wollen sie hier Versorgungssicherheit im doppelten Sinne erreichen. Sie wollen, dass der Strom fließt, und zwar auch, wenn der Wind mal nicht weht und die Sonne nicht scheint. Es braucht also Kraftwerke, egal ob sie mit Kohle, Gas oder Wasserstoff laufen.

Und sie wollen, dass die mehr als 7.000 Mitarbeiter der Leag Sicherheit haben, wann und wie es für sie weitergeht. Beim Erzeugen der Energie werden künftig ohnehin deutlich weniger gebraucht, unter anderem, weil 4.500 von ihnen nicht mehr wie heute im Kohlebergbau arbeiten werden.

Sie in anderen Sparten unterzubringen, in anderen Betrieben vielleicht, sie umzuschulen oder früher in Rente zu schicken – das ist hochkomplex. Und bisher sind alle Pläne nur auf ein Datum ausgerichtet: den Kohleausstieg 2038.

"Wir zäumen das Pferd von der anderen Seite auf"

Zurück zu dem sonnigen Tag Ende Juni. Als Habeck für die Fotografen mit dem bunten Modell des Wasserstoffkraftwerks posiert hat, will er noch hören, was die Mitarbeiter bewegt. Ob die Auszubildenden etwas lernen, was sie auch ohne Kohle noch gebrauchen können. (Antwort: Definitiv, technische Berufe sind gefragt.) Und wie schwierig es war, einige Kraftwerksblöcke für den vergangenen Gasmangel-Winter wieder anzuwerfen. (Schwierig, aber geschafft.)

Als ein Azubi mit Habeck gerade vor einer Wand mit vielen Drähten und blinkenden Lichtern steht und ihm zeigt, was das alles zu bedeuten hat, schallen von draußen laute Rufe herein. Umweltaktivisten von "Lausitz for future" demonstrieren auf dem Parkplatz für einen früheren Kohleausstieg. Ein Mitarbeiter macht das Fenster zu. Stört jetzt.

Es ist nicht so, dass das Klima hier niemanden interessiert. "Natürlich kann ich ihre Anliegen nachvollziehen, solange friedlich und auf legale Weise demonstriert wird", sagt Linda Rudolph über die Umweltaktivisten. "Den Klimawandel kann man ja nicht wegdiskutieren, den gibt es nun mal."

Nur müsse man eben das große Ganze im Blick behalten, findet sie. Es müsse auch um die Beschäftigten gehen und um die Versorgungssicherheit.

So scheint es inzwischen auch Robert Habeck zu sehen. "Wir zäumen das Pferd von der anderen Seite auf", sagt er später auf einer kleinen Pressekonferenz. Es sei anders als im Rheinischen Revier, wo Konzern und Landesregierung das Ausstiegsdatum vorgezogen hätten. "Hier wird erst etwas entwickelt und aufgebaut und dann werden wir schauen, was das für Auswirkung auf die Perspektiven der Braunkohleverstromung hat."

"Er hat sich verändert", findet Rudolph. "Die Jahreszahl hat er schon lange nicht mehr benutzt", sagt sie. "Ich glaube, die Besuche hier haben ihn ein bisschen beeindruckt." Zumindest hat Habeck versucht zuzuhören. Etwas, das er im verkorksten Heizungsstreit irgendwann nicht mehr getan hat, wie er selbst eingesteht.

Und am Ende könnten sie gar nicht so weit auseinanderliegen, Robert Habeck, die Leag und Linda Rudolph. "Wenn die Alternativen bis 2030 da sind, wird hier keiner sagen: Nö."

Zumindest beim Anschluss an das Wasserstoffnetz, den Habeck am Modell aus bunten Bauklötzen schon gelegt hat, gibt es auch in der Wirklichkeit gute Nachrichten. Final ist die Entscheidung bisher nicht, neuen Plänen zufolge soll die Leitung aber gebaut werden. Noch ist auch sie nur ein Versprechen, eine blauweiße Linie auf einem Netzplan. Aber immerhin.

Verwendete Quellen
  • Besuche und Gespräche bei der Leag im Februar, Juni und August
  • Eigene Recherchen
  • "Financial Times": A German coal giant’s unlikely conversion to clean energy
  • fnb-gas.de: Wasserstoff-Kernnetz
  • saechsische.de: Droht eine Insolvenz der Leag?
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