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Nancy Faeser im Interview: "Da kochen die Emotionen hoch"


Innenministerin Nancy Faeser
"Da kochen die Emotionen hoch"

  • Annika Leister
InterviewVon Annika Leister, Sara Sievert

Aktualisiert am 28.09.2023Lesedauer: 8 Min.
Interview
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Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

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Nancy Faeser: Migration ist zurzeit ihr Hauptthema.Vergrößern des Bildes
Nancy Faeser: Ihr Ministerium steht nicht nur beim Thema Migration unter Druck. (Quelle: Jens Priedemuth)

Nancy Faeser soll die Migrationsfrage lösen doch in der Koalition bekommt sie immer wieder Gegenwind. Ein Gespräch über die Grünen, neue Wege in der EU und den Wahlkampf in Hessen.

Nancy Faeser hetzt zurzeit von Termin zu Termin. In Hessen ist sie Wahlkämpferin, will für die SPD am 8. Oktober zur Ministerpräsidentin gewählt werden. Als Bundesinnenministerin soll sie federführend die Migrationskrise lösen. Die derzeit wichtigste Frage dabei: Wie kann die irreguläre Migration stärker begrenzt und wie können deutsche Kommunen entlastet werden?

Am heutigen Donnerstag werden dafür in Brüssel wichtige Weichen gestellt: Faeser trifft sich dann mit ihren EU-Amtskollegen, um über eine Reform des EU-Asylsystems zu diskutieren. Konkret geht es zurzeit um eine Krisenverordnung, die Staaten unter anderem ermöglichen soll, Menschen länger unter haftähnlichen Bedingungen festzuhalten.

Die Grünen hatten in der Ampelkoalition dagegen protestiert, Deutschland der Krisenverordnung deswegen bisher auf europäischer Ebene nicht zugestimmt. Am Mittwoch aber schaltete sich der Kanzler in die Diskussion ein.

Ein Gespräch mit Nancy Faeser über überlastete Kommunen, Krisen in der Koalition und Deutschlands Rolle in der EU.

t-online: Gestern war großer Krisentag in der Koalition. Der Kanzler hat sich eingeschaltet, Sie sollen mit Ministerin Baerbock eine Lösung finden. Mit welcher Botschaft wird Deutschland heute in das Treffen der EU-Innenminister gehen?

Nancy Faeser: Deutschland treibt das gemeinsame europäische Asylsystem voran. Es ist entscheidend zur Begrenzung der irregulären Migration und zur Entlastung unserer Kommunen. Und es muss allen klar sein: Ohne den Schutz der Außengrenzen ist das Europa der offenen Grenzen im Inneren in großer Gefahr. Für Europa geht es also um sehr viel. Die Stimme Deutschlands hat großes Gewicht. So handele ich auch, in enger Abstimmung mit dem Bundeskanzler und der Außenministerin.

Die Grünen haben Bedenken, dass mit der Krisenverordnung nur der Status quo zementiert wird und Italien dann mit rechtlicher Grundlage weiterhin Flüchtlinge in andere EU-Länder schicken wird. Was sagen Sie zu diesen Bedenken?

Wir beraten diese Fragen sehr konstruktiv miteinander. Wichtig ist, dass auch in Krisensituationen an den EU-Außengrenzen jeder Ankommende überprüft und registriert wird und es geordnete Verfahren gibt, die es eben nicht zulassen, Menschen einfach durchzuwinken.

Viele Kommunen schlagen mit Blick auf die steigende Zahl der Geflüchteten Alarm. Ist die Belastungsgrenze erreicht?

Wir müssen die Kommunen entlasten. Deswegen handeln wir als Bundesregierung so entschlossen, etwa mit verstärkten Grenzkontrollen. Wir bekämpfen die Schleuserkriminalität sehr konsequent. Entscheidend sind aber vor allem wirksame europäische Lösungen, die wir mit dem Gemeinsamen Asylsystem erreichen werden: Geflüchtete müssen bereits an den EU-Außengrenzen registriert werden. Außerdem müssen diejenigen, die kaum Aussicht auf Schutz in der EU haben, gleich an den Außengrenzen das Asylverfahren durchlaufen und bei einer Ablehnung von dort aus zurückkehren.

Gleichzeitig hat die Regierung am Montag in einer Videoschalte der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur zukünftigen Finanzierung der Flüchtlingskosten deutlich gemacht, dass 2024 nicht mehr, sondern weniger Geld zur Verfügung gestellt werden soll. Widerspricht sich das nicht?

An den Gesprächen war ich nicht beteiligt. Das müssten Sie den Finanzminister fragen. Klar ist: Der Bund wird die Kommunen weiter unterstützen.

Halten Sie es denn für falsch, die Finanzmittel an dieser Stelle zu kürzen?

Für mich ist vor allem entscheidend, dass die Kommunen wirksam und dauerhaft entlastet werden, indem wir die irreguläre Migration deutlich begrenzen. Deshalb kämpfe ich so sehr für geteilte Verantwortung in Europa und einen konsequenten Schutz der Außengrenzen.

Christian Lindner fordert einen Kurswechsel in der Asyl- und Migrationspolitik, um dem Problem entgegenzuwirken. Er schlägt sogar eine Grundgesetzänderung vor. Sind Sie dafür offen?

Es bringt gar nichts, den entsprechenden Artikel 16a zum Asylrecht im Grundgesetz zu verändern. Das sind 1,5 Prozent der Schutzgewährungen, alle anderen werden auf der Grundlage unserer Verpflichtungen nach dem europäischen und internationalen Recht getroffen.

Was bringt dann etwas?

Wir sind sicher, dass wir jetzt mit einer noch weiter verstärkten Schleuser-Bekämpfung Erfolge erzielen werden. Beispielsweise war das Schleusen von Minderjährigen bisher nicht strafbar in Deutschland, weil diese nicht unerlaubt einreisen. Dann konnte man auch die Schleuser nicht belangen. Das ändern wir jetzt. Außerdem will ich Schleuser konsequent ausweisen – und auch hierfür das Recht ändern.


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"Es bringt gar nichts, den entsprechenden Artikel 16a zum Asylrecht im Grundgesetz zu verändern."


Nancy Faeser, Bundesinnenministerin


Lindner spricht sich auch dafür aus, von Geld- auf Sachleistungen umzustellen, um sogenannte "Pull-Faktoren" zu reduzieren. Was sagen Sie zu dem Vorschlag?

Die Bundesländer können jetzt schon selbstständig auf Sachleistungen umstellen.

Halten Sie Sachleistungen in Hessen denn für sinnvoll?

Man muss immer schauen, was wirklich hilft und was nicht. Ich sehe aktuell nicht, dass das die Lage verändern würde, weil die mit Abstand größte Zahl der Menschen bei uns vor Putins furchtbarem Angriffskrieg aus der Ukraine und vor Krieg und Terror in Syrien geflohen ist – und keineswegs aus wirtschaftlichen Erwägungen.

Würde das Ausweiten sicherer Herkunftsstaaten die Lage verändern?

Das kommt auf die Länder an. Bei Moldau und Georgien geht es um mehr als zehn Prozent der abgelehnten Asylbewerber in Deutschland. Die beiden Länder zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären, macht also einen deutlichen Unterschied bei der Reduzierung irregulärer Migration. Bei den Maghreb-Staaten ist es anders, sie machen im laufenden Jahr zusammen 3,2 Prozent aller abgelehnten Asylanträge aus.

Halten Sie die Länder denn für sicher? Zum Beispiel Marokko oder Tunesien?

Noch mal, es geht um wirksame Maßnahmen. Die Menschen, die aktuell aus Tunesien kommen, sind doch keine Tunesier. Das sind größtenteils Menschen aus Zentralafrika. Wichtig ist, dass wir weitere Rückführungsabkommen verhandeln, und dass sie funktionieren.

Die Menschenmassen, die gerade täglich auf Lampedusa ankommen, zeigen doch, dass beispielsweise das Flüchtlingsabkommen mit Tunesien nicht funktioniert.

Das Abkommen mit Tunesien ist doch noch gar nicht richtig in Kraft. Da fließen jetzt die ersten Gelder aus der EU.

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Sie glauben, wenn die Gelder geflossen sind, gehen die Zahlen runter?

Wir setzen darauf, dass die Vereinbarung dann wirkt. Das Abkommen mit Tunesien hat die Europäische Union verhandelt. Es handelt sich dabei um ein Land mit einer schwierigen Menschenrechtssituation, wo wir nicht nur einfordern müssen, dass Tunesien die Fahrten mit lebensgefährlichen Booten über das Mittelmeer verhindert, sondern dass es auch die Menschenrechte von Geflüchteten wahrt.

Braucht es weitere Abkommen?

Migrationsabkommen mit Moldau oder Georgien machen Sinn, Usbekistan macht Sinn. Wir haben ein Abkommen mit Indien geschlossen, das macht großen Sinn. Da müssen wir nur jetzt auf die Wirksamkeit drängen, dass Indien sich auch an die Vereinbarungen hält. Und auch mit weiteren Staaten verhandeln wir. Es geht immer um zweierlei: qualifizierte Zuwanderung von Fachkräften zu ermöglichen und zugleich die Rücknahme von Menschen ohne Bleibeperspektive bei uns verbindlich zu vereinbaren.

Hendrik Wüst fordert in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" auch ein neues EU-Abkommen mit der Türkei. Hat er recht?

Wir brauchen ein Update der Vereinbarung der EU mit der Türkei. Wir müssen jetzt darauf drängen, dass das Vereinbarte wieder eingehalten wird und an den Stellen neu verhandeln, wo es notwendig ist.

Mit welchem Ihrer Koalitionspartner haben Sie es in Sachen Migration aktuell schwerer? Mit der FDP oder den Grünen?

(lacht) Ich bin sicher, dass wir das gemeinsam in der Bundesregierung gut hinbekommen.

Der FDP-Generalsekretär nennt die Grünen ein "Sicherheitsrisiko". Da können Sie doch nicht ernsthaft von einer guten Zusammenarbeit sprechen?

Es nützt niemandem, wenn man sich wechselseitig in dieser Frage abwegige Vorwürfe macht. Für meinen Bereich kann ich sagen: Zum Beispiel mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz und dem neuen Staatsangehörigkeitsrecht ist uns gemeinsam sehr viel gelungen.


Quotation Mark

"Es nützt niemandem, wenn man sich wechselseitig in dieser Frage abwegige Vorwürfe macht."


Nancy Faeser, Bundesinnenministerin


Der CDU-Chef Friedrich Merz hat am Wochenende die Zusammenarbeit in der Migrationsfrage angeboten, sofern die Grünen sich sperren. Nehmen Sie das Angebot an?

Es war doch umgekehrt. Der Bundeskanzler hat der Union mit dem Deutschland-Pakt ein klares Angebot gemacht – auch zur Fachkräfteeinwanderung und zur Begrenzung der irregulären Migration. Es wäre gut, wenn die Union sich konstruktiv daran beteiligt.

Ist es denn eine Option, beim Thema Migration nicht nur Gespräche zu führen, sondern Mehrheiten mithilfe der CDU zu schaffen – und nicht mit den Grünen?

Wir haben in unserem Koalitionsvertrag sehr gute Lösungsansätze vereinbart und sind uns in den wesentlichen Fragen einig.

Auch in Hessen beschäftigt die Migrationsfrage vor der Landtagswahl. Bekommen Sie mit anderen Themen überhaupt noch einen Fuß in die Tür?

Leider reden wir viel zu wenig über Hessen in diesem Wahlkampf, stattdessen dominieren die Bundesthemen, weil der hessische Ministerpräsident einen reinen Anti-Berlin-Wahlkampf gegen die Ampel macht. Die entscheidenden Fragen für Hessen sind ganz andere. Wollen die Wählerinnen und Wähler wirklich, dass nach 25 Jahren im Amt, nach 25 Jahren Stillstand, weiterhin die CDU regiert?

Offenbar schon. Die CDU steht kurz vor der Wahl stabil bei 31 Prozent. Wie wollen Sie die Menschen jetzt noch von der SPD überzeugen?

Mit Bildungspolitik. Das war für mich auch ein wesentlicher Grund, anzutreten. In keinem anderen Bundesland ist Bildungserfolg und sozialer Aufstieg inzwischen so sehr vom Geldbeutel der Eltern abhängig wie in Hessen. Das finde ich unfassbar. Wir brauchen Durchlässigkeit im System, bessere Schulen, kleinere Klassen, mehr Lehrkräfte, saubere Schulgebäude und die digitale Ausstattung mit einem Tablet für jeden Schüler.

Das sind viele Vorsätze auf einmal. Wie wollen Sie das alles bezahlen?

Die Schulträger sind die Kreise, also die Kommunen. Die können das nicht alleine stemmen, das Land muss finanziell sehr viel stärker unterstützen. Das gilt auch für andere Themen: Der öffentliche Nahverkehr und die Kinderbetreuung fressen die kommunalen Haushalte auf. Das wollen wir ändern. Die Kostenlast für die Kinderbetreuung wollen wir zu zwei Dritteln als Land übernehmen.

Wie hart ist der Wahlkampf in den letzten Wochen?

Kämpferisch, von allen Seiten, bisweilen in Berlin auch aggressiv.

Warum?

Vielleicht hat das damit zu tun, dass ich eine Frau bin – die erste Bundesinnenministerin, die konsequent ist im Kampf gegen Rechtsextremismus. Und dass vor allem das Migrationsthema von Populisten missbraucht wird. Aber vor allem dürfte es am Wahltermin liegen, an dem nicht nur Hessen, sondern auch Bayern wählt. Da kochen die Emotionen hoch.


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"Ich habe den Hessen ein klares Angebot gemacht: Ich kandidiere als Ministerpräsidentin. Im anderen Fall möchte ich der großen Verantwortung, die ich als Bundesinnenministerin übernommen habe, weiter gerecht werden."


Nancy Faeser, SPD-Spitzenkandidatin in Hessen


Werden Sie nur als Ministerpräsidentin nach Hessen gehen?

Ich war 18 Jahre im Landtag, habe 18 Jahre lang Landespolitik gemacht, auch als Oppositionsführerin. Ich habe den Hessen ein klares Angebot gemacht: Ich kandidiere als Ministerpräsidentin. Im anderen Fall möchte ich der großen Verantwortung, die ich als Bundesinnenministerin übernommen habe, weiter gerecht werden.

Ist das Rückfahrtticket nach Berlin aber nicht ein zentrales Problem für Ihre Kandidatur – und vielleicht auch ein Grund, warum Sie derzeit so schlecht abschneiden?

Das glaube ich nicht. Die meisten Menschen finden das ganz normal, dass man in der Demokratie aus Ämtern heraus bei Wahlen antritt. Für mich ist das Wichtigste: Ich war immer ehrlich in dieser Frage, habe nicht gewackelt, sondern immer dieselbe Position vertreten.

Wenn Sie nach Hessen wechseln sollten, wird Sie dann eine Frau im Innenministerium ersetzen?

Das entscheidet der Bundeskanzler, darüber will ich nicht spekulieren.

Wer wäre eine mögliche Nachfolgerin? Parteibeobachter sind etwas ratlos.

Niemand braucht sich Sorgen machen, wir haben sehr starke Frauen in der SPD.

Wen denn?

Nochmals, das würde der Bundeskanzler entscheiden.

So ganz paritätisch besetzt ist das Kabinett schon jetzt nicht mehr, seit Frau Lambrecht im Verteidigungsministerium durch Herrn Pistorius ersetzt wurde.

Man kann aus sehr guten fachlichen Gründen wie bei Boris Pistorius auch mal zu einem anderen Ergebnis kommen.

Also Parität – aber nicht um jeden Preis?

Im Fall von Boris Pistorius war das die richtige Entscheidung. Er macht einen hervorragenden Job.

Frau Faeser, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser
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