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Kommentar zu "NSU 2.0": Dieser Hass muss endlich aufhören


Was heute wichtig ist
Sein Zögern ist völlig fehl am Platz

MeinungVon Daniel Fersch

17.07.2020Lesedauer: 6 Min.
Meinung
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Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
Innenminister Horst Seehofer: Die Drohmails muss er zur Chefsache machen.Vergrößern des Bildes
Innenminister Horst Seehofer: Die Drohmails muss er zur Chefsache machen. (Quelle: photothek/imago-images-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Seit zwei Jahren überzieht eine bisher nicht dagewesene Serie von Drohschreiben die Republik. Die Verfasser bezeichnen sich als Nachfolger der Neonazi-Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund", beschimpfen ihre Opfer aufs Übelste und drohen, sie umzubringen. Ein entscheidendes Merkmal unterscheidet diese Todesdrohungen von anderen Hassmails: Sie enthalten in vielen Fällen Informationen über die Opfer, wie etwa die Namen von Kindern und Verwandten, die nicht ohne Weiteres öffentlich zugänglich sind. Mehrere Indizien deuten darauf hin, dass diese Informationen aus einem rechtsextremen Netzwerk innerhalb der Polizeibehörden stammen könnten.

Auffällig ist, dass vor allem Frauen betroffen sind:

  • Seda Basay-Yildiz: Die Frankfurter Anwältin hat im NSU-Prozess die Familie eines Terroropfers als Nebenklägerin vertreten. Sie erhielt im August 2018 als Erste ein mit "NSU 2.0" unterzeichnetes Drohschreiben. Es folgten zahlreiche weitere. Bis heute sind die Hintergründe nicht annähernd aufgeklärt.
  • Janine Wissler: Die Fraktionschefin der Linken im hessischen Landtag erhielt vergangene Woche eine "NSU 2.0"-Drohmail.
  • Idil Baydar: Die Kabarettistin erhält seit Monaten Morddrohungen und Hassmails. Vergangene Woche wurde bekannt, dass persönliche Daten Baydars von einem Computer der hessischen Polizei abgerufen wurden. Auch in den Fällen von Basay-Yildiz und Wissler enthielten die Drohungen Informationen, die aus unberechtigten Abfragen auf Polizeirechnern stammten.
  • Maybrit Illner: Die ZDF-Moderatorin erhielt diese Woche eine Morddrohung. Der Verfasser behauptete, er sei Polizist und habe bereits weitere Drohmails verschickt. Unterzeichnet war auch diese Mail mit "NSU 2.0".
  • Hengameh Yaghoobifarah: Die taz-Autorin hatte mit einer umstrittenen Kolumne über die Polizei für Aufsehen gesorgt. Auch sie erhielt in dieser Woche eine Drohung.

Baydar hält das nicht für einen Zufall: Für viele Rechtsextreme "spielt die Frau eine untergeordnete Rolle", sagte sie der "Süddeutschen Zeitung". "Laute Frauen, die ihre Rechte einfordern, sind da nicht gerne gesehen."

Dass Polizisten – oder gar ein Netzwerk von Beamten – an den Drohungen entscheidend beteiligt gewesen sein könnten, ist ein schwerwiegender Verdacht. Entschieden verfolgt wurde er bisher nicht: Für Seda Basay-Yildiz hat sich an der Bedrohungslage seit 24 Monaten nichts geändert. Der hessische Polizeipräsident Udo Münch musste deshalb auch diese Woche seinen Posten räumen, ein interner Sonderermittler hat die Arbeit aufgenommen.

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Das ist längst nicht genug, um den Hass endlich zu beenden. Innenminister Horst Seehofer hatte nach dem Anschlag von Hanau den Rechtsextremismus als "größte Bedrohung in unserem Land" bezeichnet. Sein Handeln in den vergangenen Wochen deutete darauf hin, dass er die Bedrohung noch nicht ernst genug nimmt. Für eine Studie über möglicherweise rassistische Kontrollen der Polizei etwa sah sein Ministerium zuletzt keinen Bedarf, da "Racial Profiling" verboten sei. Auch ein Lagebild zu Rechtsextremen im öffentlichen Dienst lehnte Seehofer ab und kündigte an, "schrittweise" vorgehen zu wollen. Zu den Bedrohungen äußerte er sich bisher nur sporadisch.

Aber Zögern ist in diesem Fall völlig fehl am Platz. Es ist höchste Zeit, dass Kanzlerin Angela Merkel ihren Innenminister dazu auffordert, die Affäre zur Chefsache zu machen. Sonst besteht die Gefahr, dass der "NSU 2.0" seinem Vorbild nacheifert und auf Drohungen echte Gewalttaten folgen lässt.


Gute Nachrichten kommen dagegen aus dem Norden Afrikas: Ein Jahr nach den Massenprotesten und dem Sturz des Langzeitherrschers Omar al-Baschir macht die Übergangsregierung im Sudan endlich Ernst mit den angekündigten Reformen. Innerhalb von nur einer Woche verabschiedete sie eine Reihe von Gesetzesänderungen, die für das bisher streng islamistische Land eine Revolution bedeuten. Genitalverstümmelung, öffentliche Auspeitschungen, das Alkoholverbot für Nicht-Muslime, die Todesstrafen für den Abfall vom Glauben und für gleichgeschlechtlichen Sex: All das wurde abgeschafft. Der Sudan ist damit längst noch keine freie Gesellschaft. Doch die Geschwindigkeit, mit der jetzt Änderungen möglich sind, macht Hoffnung, dass die Veränderungen im Land weitergehen werden.


Erinnern Sie sich an den Mythos des Ikarus, der der Sonne zu nah kam und abstürzte? Die europäische Raumsonde "Solar Orbiter" ist derzeit auf einer Art Ikarus-Flug unterwegs und hat sich dem Gestirn bis auf 77 Millionen Kilometer Entfernung genähert. Im Vergleich zum tragischen Helden der griechischen Sage besitzt das Raumfahrzeug einen entscheidenden Trumpf: einen mehrschichtigen, hitzeabweisenden Schild aus Titan. Die ersten Bilder, die "Solar Orbiter" nun von der Sonne machte, sind spektakulär. Sie zeigen, dass die sogenannte Sonnenkorona – die äußerste Schicht in der Atmosphäre des Sterns – aus gigantischen "Lagerfeuern" besteht. Diese vergleichsweise kleinen Sonneneruptionen, die Durchmesser von mehreren hundert Kilometern erreichen, könnten die Erklärung für ein seltsames Phänomen bieten. In der Sonnenkorona herrschen nämlich Temperaturen von über einer Million Grad Celsius, auf der eigentlichen Oberfläche des Sterns wird es dagegen nur rund 5.500 Grad heiß. Mehr Informationen über die Mission von "Solar Orbiter" (auf Englisch) und weitere faszinierende Fotos finden Sie auf der Webseite der Esa.


WAS STEHT AN?

An ihrem 66. Geburtstag bleibt der Kanzlerin heute nur wenig Zeit zum Feiern: Angela Merkel reist zum dreitägigen EU-Gipfel nach Brüssel. Auf dem Programm stehen dringende Verhandlungen über das Hilfsprogramm zur Überwindung der Corona-Krise. Es geht dabei um 750 Milliarden Euro.


In Rheda-Wiedenbrück werden wieder Schweine zerlegt: Nachdem im Stammwerk der Firma Tönnies gestern die Schlachtung neu anlief, startet heute im besonders kritischen Zerlegebereich ein Probebetrieb. Ein erneuter Corona-Ausbruch unter den Arbeitern soll nach Angaben des Unternehmens durch mehr Frischluftzufuhr und Plexiglas-Trennscheiben verhindert werden.


Der deutsche Fußball plant bereits eine Rückkehr der Fans in die Stadien wenn auch nur teilweise. Wie aber sollen Großveranstaltungen in geschlossenen Räumen wieder stattfinden, ohne dass sie zu Corona-Hotspots werden? Die Uniklinik Halle will dazu ein Großexperiment mit mehreren tausend Teilnehmern durchführen. Die Details der Studie werden im Laufe des Tages vorgestellt.


Mit dem Welt-Emoji-Tag werden heute die bunten Chat-Symbole gewürdigt. Doch wussten Sie, dass die Symbole in einigen Ländern unterschiedliche Bedeutungen haben? Meine Kollegin Laura Stresing klärt Sie in diesem Artikel auf.


WAS LESEN UND ANSCHAUEN?

In Abwesenheit wurde der "Welt"-Journalist Deniz Yücel gestern von einem Gericht in Istanbul zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt – wegen angeblicher "Terrorpropaganda". Als "erbärmlich" bezeichnete Yücel das Urteil, weil selbst das türkische Verfassungsgericht die absurden Vorwürfe für unhaltbar hält. Der frühere Türkei-Korrespondent befindet sich seit zweieinhalb Jahren in Deutschland in Sicherheit. Sollte er aber in das Land am Bosporus zurückkehren, droht ihm dort eine erneute Verhaftung. Über seine Zeit in türkischer Haft hat Yücel ein Buch geschrieben: Den Beginn von "Agentterrorist" können Sie hier lesen.

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Als bei Ute N. im März 2020 das Fieber und das Kribbeln in der Lunge kamen, hätte sie nicht gedacht, dass im Juli ein Einkaufsbummel für sie zu einem Wunschtraum werden könnte. Doch entspanntes Shoppen ist für sie derzeit undenkbar: Es strengt sie zu sehr an. Dabei ging die 56-Jährige dreimal in der Woche joggen, bis das Coronavirus sie erwischte. Auch anderen Patienten geht es wie Ute N. Bei ihnen wird die SARS-Cov-2-Infektion zur Langzeiterkrankung. Meine Kolleginnen und Kollegen Lars Wienand, Nicole Sagener, Melanie Weiner und Saskia Leidinger haben mit Betroffenen darüber gesprochen – und mit Ärzten, die sagen, was womöglich noch Jahre später auf Covid-19-Fälle zukommen könnte. Die Recherchen sind auch in einen Beitrag des ARD-Magazins "Kontraste" eingeflossen, den Sie hier online sehen können.


Seit gestern gilt ein EU-weites Einreiseverbot für Menschen aus Serbien und Montenegro. Die Infektionszahlen in diesen Ländern sind in den vergangenen Wochen zu stark gestiegen. Aktuelle Daten zeigen: Auch in anderen Staaten auf dem Balkan zeichnet sich eine bedenkliche Entwicklung ab. Meine Kollegen Philip Friedrichs und Adrian Röger haben diese Zahlen in einer anschaulichen Animation für Sie aufbereitet.


WAS AMÜSIERT MICH?

Bier- und Schinkenstraße auf Mallorca bleiben geschlossen? Kein Problem, findet unser Karikaturist:

Ich wünsche Ihnen ein entspanntes Wochenende! Am Dienstag ist Florian Harms aus dem Urlaub zurück, zuvor begrüßt Sie an dieser Stelle noch einmal mein Kollege Luis Reiß.

Herzlichst,

Ihr

Daniel Fersch
Chef vom Dienst t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Twitter: @danielfersch

Mit Material von dpa.

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