t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomePolitikTagesanbruch

Angela Merkel schafft es einfach nicht mehr: Die Kanzlerin beißt auf Granit


Tagesanbruch
Sie schafft es einfach nicht mehr

MeinungVon Camilla Kohrs

Aktualisiert am 26.11.2021Lesedauer: 6 Min.
Meinung
Was ist eine Meinung?

Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
Kanzlerin Merkel empfing Mateusz Morawiecki: Neue Ergebnisse zum Konflikt mit Belarus brachte das Treffen nicht.Vergrößern des Bildes
Kanzlerin Merkel empfing Mateusz Morawiecki: Neue Ergebnisse zum Konflikt mit Belarus brachte das Treffen nicht. (Quelle: John MacDougall/reuters)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

fast wirkt es, als wollten die Krisen Angela Merkel einfach nicht in Ruhe lassen. "Das Debakel beendet Merkels Ära", titelte eine deutschsprachige Zeitung etwa im August – gemeint war die Afghanistan-Krise, die aus Sicht vieler Kommentatoren die Kanzlerschaft nach 16 Jahren zu einem unrühmlichen Ende kommen ließ. Die Krisenkanzlerin, die sonst alles meisterte, stand auf einmal vor einer nicht lösbaren Aufgabe. Nun aber – drei Monate später – ist Afghanistan fast vollkommen aus den Schlagzeilen verschwunden. Dafür gibt es einen neuen Konfliktherd: An der Grenze zwischen Belarus und Polen eskaliert die Lage. Und auch diese Krise scheint für Merkel kaum lösbar.

Loading...
Symbolbild für eingebettete Inhalte

Embed

Besonders deutlich wurde das gestern, als die Kanzlerin mit Mateusz Morawiecki vor die Presse trat. Sie hatte den polnischen Ministerpräsidenten nach Berlin eingeladen, im Mittelpunkt stand die Lage an der polnischen Grenze zu Belarus. "Herzlich willkommen zu einem der letzten Besuche der geschäftsführenden Regierung", sagte Merkel zu Beginn noch mit einem Lächeln. Dann aber wurde die Stimmung ernst – und spätestens am Ende wurde klar, dass beide kaum weitergekommen waren.

Einig sind sich Merkel und Morawiecki in der Auffassung, dass Belarus die Migranten ins Land geholt hat und so die EU destabilisieren möchte – so weit, so bekannt. Dass Merkel das als die erste große Einigkeit ansprach, zeigt, in welchen Punkten eben keine Einigkeit besteht. Etwa, ob Hilfsorganisationen und Journalisten wieder zur Grenze dürfen, um zu helfen oder zu berichten. Das unterbindet Polen bereits seit Wochen. Oder ob Polen auf Gewalt gegen Migranten verzichten wird, wie immer wieder von Menschenrechtsorganisationen kritisiert wird. Die polnische Regierung streitet diese Vorwürfe ab. Und vor allem: wie die Situation an der Grenze aufgelöst werden kann.

Natürlich ist die Situation äußerst vertrackt. Der belarussische Diktator Alexander Lukaschenko lässt seine Soldaten Migranten zur Grenze treiben, die dort unter katastrophalen Bedingungen bei Minusgraden im Wald schlafen. Immer wieder werden sie an den Grenzzaun geschickt, den sie mit Unterstützung der Soldaten einreißen sollen.

Die EU konnte mittlerweile viele Fluglinien, die die Migranten nach Belarus transportiert haben, so unter Druck setzen, dass sie ihre Flüge eingestellt haben. Einige Hundert Migranten sind wieder in ihre Heimat geflogen worden, vor allem Iraker. Das betonten auch Merkel und Morawiecki bei der Pressekonferenz und drohten mit weiteren Sanktionen. Nur: Das ist weder richtig neu, noch löst es die jetzige Situation.

Das Handeln der belarussischen Regierung ist menschenverachtend und erpresserisch – das ist keine Frage. Diese Strategie geht aber auch deswegen so gut auf, weil die EU sich unfähig zeigt, gemeinsam eine deeskalierende Reaktion zu finden. Denn es geht nicht nur darum, ob sich die EU erfolgreich gegen einen Erpressungsversuch wehren kann. Sondern auch, ob sie auch in Krisensituationen ihre Werte aufrechterhalten kann.

Das schlachten der "Gangster", wie die EU Lukaschenko kürzlich nannte, und sein Kumpane Wladimir Putin aus. Der russische Präsident kritisierte, dass Polen Tränengas, Leuchtgranaten und Wasserwerfer gegen die Menschen an der Grenze einsetze. Die EU solle auf die Regierung einwirken, damit diese keine neue Gewalt gegen die Migranten zulasse, sagte er am Mittwoch in einem Telefonat mit dem EU-Ratspräsidenten Charles Michel. Von der Gewalt auf belarussischer Seite sprach er natürlich nicht. Und Lukaschenko verbreitet seit dem umstrittenen Telefonat mit Merkel, Deutschland wolle einen "humanitären Korridor" für 2.000 Migranten errichten – wohl wissend, dass das die Beziehungen mit Polen weiter belastet. Die deutsche Regierung stritt das bisher ab.

Dabei gäbe es Möglichkeiten, Belarus sein Faustpfand – die Migranten – zu nehmen, wie mein Kollege Patrick Diekmann vor einigen Tagen berichtete: Etwa die Menschen einreisen zu lassen, und mit schnellen Asylverfahren diejenigen zurückbringen, die kein Recht auf Asyl haben. Wenn gleichzeitig kaum neue Menschen nach Belarus reisen können, könnte die brisante Situation aufgelöst werden. Oder – wie der Migrationsexperte Gerald Knaus vorschlug – indem schnell Abkommen mit anderen Nachbarländern wie etwa der Ukraine geschlossen werden. Jede dieser Möglichkeiten hat natürlich auch ihre Nachteile, aber: besser als der aktuelle Zustand wären sie allemal.

Denn was in diesem ganzen Konflikt allzu oft in den Hintergrund gerät, ist das Schicksal der Menschen. Tausende harren dort aus, und es wird immer kälter. "Sie haben uns das Geld abgenommen, die Matratzen und Kleidung und sogar das Essen und Wasser", sagte mir eine 61-jährige Frau aus Syrien über die belarussischen Soldaten. Ihre Geschichte lesen Sie hier. Immer wieder wird über Tote berichtet, aber niemand weiß, wie viele Menschen dort bereits ums Leben gekommen sind.

Polen aber mauert. Und hier liegt ein großer Streitpunkt: Wer ist eigentlich zuständig? Merkel betonte am Donnerstag zwar, dass Deutschland an Polens Seite stehe, aber auch, dass der Konflikt hauptsächlich zwischen der EU und Belarus stattfinde. Polen macht jedoch keine Anstalten, sich reinreden zu lassen.

Das führt zu einem Dilemma. Denn Verhandlungen mit Lukaschenko direkt – ohne das Einverständnis Polens – sind diplomatisch kaum zu rechtfertigen. Allein schon, dass Merkel mit Lukaschenko vergangene Woche telefonierte, sorgte für einen Eklat, in Polen sind Einmischungen aus Deutschland ohnehin äußerst unbeliebt. An Polen führt in dieser Situation kein Weg vorbei – bei Morawiecki aber beißt Merkel auf Granit.


Corona-Nachrichten von Spahn und Wieler

Apropos Granit: Auch bei der Corona-Krise scheint die Lage festgefahren. Die Inzidenzen steigen, die Intensivstation werden voller. Merkel nutzte die Pressekonferenz mit Morawiecki auch, um für weitere Corona-Maßnahmen zu werben. "Hier zählt jeder Tag", sagte sie – ohne allerdings genau zu sagen, welche Maßnahmen sie sich vorstellen könnte. Sicher aber sei: "Wir brauchen mehr." Wie dramatisch es um die Corona-Situation derzeit steht, werden heute um 10 Uhr der geschäftsführende Gesundheitsminister Jens Spahn und RKI-Chef Lothar Wieler mitteilen. Immerhin: Die Impfrate steigt, mehr als 100.000 Erstimpfungen wurden am Mittwoch verspritzt.

Loading...
Loading...
Loading...
Täglich mehr wissen

Abonnieren Sie kostenlos den kommentierten Überblick über die Themen, die Deutschland bewegen. Datenschutzhinweis


Zoff bei den Grünen

Kaum steht der Koalitionsvertrag, streiten sich die Grünen. Eigentlich wollte die Partei gestern Nachmittag vorstellen, wer von ihnen welches Ministeramt besetzt. Die Verkündung wurde kurzfristig verschoben. Im Zentrum der Auseinandersetzung: der Parteilinke Anton Hofreiter und der Realo Cem Özdemir. Hofreiter galt lange als gesetzt für ein Ministeramt, doch plötzlich wackelte seine Position, berichten die Kollegen vom "Spiegel". Am Abend dann die Auflösung: Özdemir soll künftig das Landwirtschaftsministerium führen, Grünen-Chefin Annalena Baerbock das Außenministerium, ihr Co-Vorsitzender Robert Habeck das Klimaschutz- und Wirtschaftsressort. Umweltministerin soll Steffi Lemke werden, Anne Spiegel Familienministerin. Claudia Roth bekommt den Posten als Staatsministerin für Kultur und Medien. Anton Hofreiter geht leer aus. Das dürfte den linken Flügel nicht freuen. Heute will die Partei abstimmen, ob sie dem Koalitionsvertrag und der Ressortaufteilung zustimmt.


Haben die Behörden versagt?

Mehr als 180 Menschen sind bei dem verheerenden Hochwasser im Sommer gestorben, fast 50 davon in Nordrhein-Westfalen. Hunderte wurden verletzt, Tausende verloren ihre Häuser. Im Düsseldorfer Landtag beginnt nun die Aufarbeitung. Hätten die Behörden früher warnen können und müssen? Welche Verantwortung trägt die Landesregierung? Gleich an diesem ersten öffentlichen Tag befragen die Parlamentarier Belastungszeugen.

Die britische Hydrologie-Professorin Hannah Cloke hatte direkt nach der Flutkatastrophe bereits ein monumentales Systemversagen bescheinigt. Auch der Wetterexperte Jörg Kachelmann wird vor dem Untersuchungsausschuss aussagen, seine Kritik zielt in eine ähnliche Richtung. Stunden vor den ersten Überschwemmungen warnte er über Twitter und forderte die Behörden und Medien auf, die Bevölkerung vorzubereiten. Für die Regierung könnte das heikel werden, im Frühjahr stehen Landtagswahlen an. Auch in Rheinland-Pfalz kommt der dortige U-Ausschuss zusammen, diese Sitzung ist allerdings nicht öffentlich.


Die gute Nachricht

Schon bald könnte es wieder schneien, prophezeien Meteorologen. Bei Ihnen nicht? Dann habe ich etwas für Sie:


Was lesen?

Ein trauriger Meilenstein der Corona-Pandemie: Die Zahl der Menschen, die im Zusammenhang mit dem Virus gestorben sind, liegt inzwischen bei mehr als 100.000. Was man über die Todesopfer weiß, haben meine Kolleginnen Melanie Rannow und Heike Aßmann zusammengefasst.


Ein neues Bürgergeld soll künftig Hartz IV ersetzen, so hat es die Ampel in ihren Koalitionsvertrag geschrieben. Doch ist es wirklich eine Abkehr vom bisherigen System? Experten und Verbände zeigen sich skeptisch, schreiben meine Kolleginnen Lisa Becke und Frederike Holewik.


Die neue Ampelkoalition verspricht reichlich Fortschritt – schon im Titel ihres Koalitionsvertrages. Aber wie fortschrittlich sind die Vorhaben wirklich? Ein Team aus t-online-Redakteuren hat sich die Pläne der Koalitionäre genauer angeschaut. Im Lärm um Rente, Mindestlohn oder Klima geht ein wichtiger Beschluss der Ampelkoalitionäre unter, meint mein Kollege Martin Trotz. Welcher das ist, verrät er Ihnen im Videokommentar.


Was amüsiert mich?

Ob Roy nun wirklich Herbert Grönemeyers nächsten Hit schreiben soll, darüber lässt sich bestimmt streiten. Mir aber hat diese altmodische Art der Kontaktaufnahme ein Lächeln ins Gesicht gezaubert.

Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Freitag und dann einen guten Start ins Wochenende. Morgen spricht mein Kollege Sebastian Späth im Wochenendpodcast mit Florian Harms und Sandra Simonsen.

Ihre

Camilla Kohrs
Redakteurin Politik/Panorama
Twitter: @cckohrs

Was denken Sie über die wichtigsten Themen des Tages? Schreiben Sie es uns per Mail an t-online-newsletter@stroeer.de.

Mit Material von dpa.

Den täglichen Newsletter von Florian Harms hier abonnieren.

Alle Tagesanbruch-Ausgaben finden Sie hier.
Alle Nachrichten lesen Sie hier.

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...



TelekomCo2 Neutrale Website