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Ampel-Regierung in der Krise – Chaos um Haushaltsplanung: Kontrollverlust?


Tagesanbruch
Das Chaos ist perfekt

  • Daniel Mützel
MeinungVon Daniel Mützel

Aktualisiert am 22.11.2023Lesedauer: 8 Min.
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Lindner, Habeck und Scholz im Bundestag: So haben sie sich das nicht vorgestellt.Vergrößern des Bildes
Ampel-Politiker Lindner, Habeck und Scholz im Bundestag: Es geht immer noch schlimmer. (Quelle: Christoph Soeder/reuters)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

warten Sie auch schon sehnsüchtig auf die zweite Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses des Bundestags am morgigen Donnerstag?

Wenn Sie diese Aneinanderreihung von Wortungeheuern noch nicht abgeschreckt hat, möchte ich Ihnen gratulieren. Dann sind Sie entweder sehr tapfer, schwer aus der Ruhe zu bringen oder Sie haben die vergangenen Tage fleißig t-online (oder die Konkurrenz) gelesen.

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Denn bisher war diese Sitzung mit dem sperrigen Namen den meisten Normalsterblichen unbekannt. Dabei kann ihre Bedeutung für das Funktionieren des Staates kaum überschätzt werden: Auf der Bereinigungssitzung wird in der Regel der Haushalt einer Bundesregierung final beraten, bevor er dem Deutschen Bundestag zur Abstimmung vorgelegt wird. Doch konnte die Sitzung am vergangenen Donnerstag nicht abgeschlossen werden, weshalb es diese Woche zum Showdown kommen könnte.

Bislang galt die Regel: Ein Hauen und Stechen um die "richtigen" Einnahmen und Ausgaben des Staates ist erlaubt, aber am Ende ist Ruhe im Karton. Das Ergebnis des parlamentarischen Streits ist ein verfassungskonformer Haushalt, der die Geschicke einer Bundesregierung im nächsten Jahr lenkt.

Diese Gewissheit ist nun zertrümmert. In einem historischen Urteil hat das höchste Gericht des Landes den Nachtragshaushalt, den die Ampel für das Jahr 2021 beschlossen hat, für verfassungswidrig erklärt. Mit dem Grundgesetz "unvereinbar und nichtig", urteilte das Bundesverfassungsgericht am vergangenen Mittwoch.

"Unvereinbar und nichtig": Schon die Formulierung – ziemlich hart. Wären das nicht gängige Rechtsbegriffe, könnte man fast eine gewisse Genugtuung hineinlesen. Ob der eine oder andere Verfassungsrichter gar den Drang verspürte, der Regierung einen Schuss vor den Bug zu verpassen? Nicht auszuschließen.

Denn das, was die Ampel vollbracht hat, ist bisher einmalig in der Geschichte der Bundesrepublik. Sie hat nicht genutzte Corona-Schulden aus dem Jahr 2021 in einen Klimafonds übertragen, um damit klima- und industriepolitische Projekte in den nächsten Jahren zu finanzieren. Kredite aufnehmen und so lange parken, bis man sie ausgeben will, geht aber nicht, urteilte das Karlsruher Gericht.

Die Folge: 60 Milliarden Euro aus dem Klima- und Transformationsfonds (KTF), die für Wärmepumpen, das Schienennetz und den Industriestrom geplant waren, fehlen nun im nächsten Jahr.

Seitdem herrscht im politischen Berlin eine Art Kontrollverlust: Wird es nun einen Haushalt 2024 geben oder droht eine "vorläufige Haushaltsführung" mit begrenzten Mitteln? Braucht es eine neuerliche Ausnahme von der Schuldenbremse – oder wäre das der nächste Verfassungsbruch, weil eine dafür nötige Notlage nur schwer begründbar ist?

Auch eine Woche nach dem Urteil wirkt es, als seien in der Hauptstadt die allermeisten ziemlich ratlos. Hinter vorgehaltener Hand geben selbst erfahrene Haushälter zu, nicht zu wissen, wie es weitergeht.

Dabei sind die verlorenen 60 Milliarden Euro aus dem KTF – das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen – wohl das kleinere Problem. Denn das sehr grundsätzlich formulierte Urteil der Karlsruher Richter lässt sich auch auf andere Sonderfonds übertragen. Etwa auf den 200 Milliarden Euro schweren Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF), von Kanzler Scholz großspurig "Doppel-Wumms" genannt. Damit wurden unter anderem die staatlichen Energiepreisbremsen bezahlt, die Preissteigerungen nach dem russischen Überfall auf die Ukraine abmildern sollten.

Stellt sich heraus, dass auch der WSF gegen die Schuldenbremse verstößt – rund 32 Milliarden Euro wurden dem Fonds dieses Jahr bereits entnommen –, wäre auch der Haushalt 2023 nicht zu halten. Ein Doppel-Wumms gegen die Verfassung. Um weitere Entnahmen zu verhindern, sperrte das Finanzministerium den WSF am Dienstag schon mal vorsorglich.

Verstärkt wird das Chaos zusätzlich durch die offenbar unabgestimmte Außenkommunikation der Ampel: Während Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) versucht, CDU-Chef Friedrich Merz die Schuld für die gestrichenen Gelder zu geben (was fällt ihm nur ein, zu klagen), sieht Finanzminister Christian Lindner (FDP) die Karlsruher Klatsche als "Chance".

Der Finanzminister bleibt damit seinem jüngeren Ich treu, das schon 1997 erklärte, Probleme seien nur "dornige Chancen". Aber warum freut sich Lindner über die Einschränkung des eigenen Handlungsspielraums? In der liberalen Binnenlogik ist das durchaus nachvollziehbar: Was nicht reinkommt, kann nicht ausgegeben werden. Und was zu viel ausgegeben wurde, muss eben anderswo gekürzt werden. Einsparungen als Chance, um ohnehin Lästiges loszuwerden.

So nutzte Lindners Parteifreund und Fraktionschef Christian Dürr die Gunst der Stunde und erklärte vor allen anderen, wo er den Rotstift als Erstes ansetzen würde, um den Haushalt zu konsolidieren: am Sozialstaat. Bei den Genossen kam das gar nicht gut an.

Die Kanzlerpartei hingegen versucht seit dieser Woche, zwei Botschaften zu streuen: So verwiesen führende Sozialdemokraten etwa darauf, dass auch in den Haushalten CDU-regierter Bundesländer der eine oder andere Sonderfonds lauert, der nun ebenfalls wegbrechen könnte. Eine Retourkutsche gegen die Union, die sich mit dem Gang nach Karlsruhe womöglich ins eigene Fleisch geschnitten hat.

Die andere Erzählung lautet: Wir haben die Lage trotzdem im Griff. In diesen unsicheren Zeiten müsse man den Bürgern Zuversicht und Stabilität geben, heißt es bei der SPD. Daher habe es jetzt absolute Priorität, einen verfassungskonformen Etat 2024 zu beschließen, um eine vorläufige Haushaltsfinanzierung mit begrenzten Mitteln zu verhindern.

Die wohl letzte Chance dafür bietet sich am morgigen Donnerstag im Haushaltsausschuss. Nur so kann die Ampel den knappen Zeitplan einhalten:

  • 1. Dezember: Finale Abstimmung im Bundestag, hier braucht die Ampel eine einfache Mehrheit
  • 15. Dezember: Abstimmung im Bundesrat am 15. Dezember
  • Danach: Veröffentlichung des Haushaltsgesetzes im Bundesgesetzblatt und damit das Inkrafttreten am 1. Januar 2024

Schafft sie das nicht, gilt ab 2024 erstmal eine vorläufige Haushaltsplanung. Das zieht enorme Einschränkungen bei den Ausgaben nach sich, ist aber so ungewöhnlich auch nicht: Eine vorläufige Haushaltsplanung gilt in der Regel nach jedem Bundestagswahljahr, wenn der – in der Regel im Herbst – neu gewählte Bundestag noch keinen Haushalt verabschieden konnte.

Doch der Kontrollverlust der Ampel ist schon jetzt groß. Das zeigte am Dienstag auch die Expertenanhörung im Haushaltsausschuss. Mehrere Sachverständige warnten die Ampel davor, den Haushalt am Donnerstag zu beschließen. Da noch nicht mal der Haushalt 2023 auf sicherer Grundlage stehe, könne man auch nicht den fürs nächste Jahr beschließen, urteilte der von der Union geladene Rechtswissenschaftler Hanno Kube. Auch Jan Keller vom Bundesrechnungshof schloss sich dieser Einschätzung an.

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Dass die von der Ampel geladenen Experten den Beschluss des Etats für möglich hielten, macht die Lage nicht besser. Es zeigt, dass die Einschätzungen weit auseinandergehen und das wiederum heißt, dass auch bei einer Verabschiedung durch die Ampel erhebliche Zweifel zurückbleiben – die in weiteren Klagen münden können.

Für die Bürger, die eine verlässliche Regierungsarbeit erwarten, ist das ein fatales Signal. Bei einem Haushalt sollte das aber nie der Fall sein. Er sollte über alle Zweifel erhaben sein, gegen das Grundgesetz zu verstoßen.

Wie auch immer die historische Sitzung des Haushaltsausschusses am Donnerstag ausgehen wird: Es bleibt zu hoffen, dass die Ampel sich ernsthaft mit den Folgen des Karlsruher Urteils auseinandersetzt.

Man kann nun lange darüber streiten – und angesichts der Dimension des Problems sollte man das auch –, warum die Ampel nicht genug Geld für ihre Projekte hat. Ob die Schuldenbremse nicht ein Gespenst der Vergangenheit ist. Ob gar ein tiefgreifender Webfehler vorliegt, wenn seit ihrer Einführung im Jahr 2011 Bundes- und Landesregierungen aller Couleur nach Wegen gesucht haben, die Schuldenregel zu umgehen.

Aber man darf den ungelösten Streit nicht in den Bundeshaushalt selbst hineintragen, wie einen Sprengsatz, der irgendwann hochgeht.

Der Haushalt ist "Regierungspolitik in Zahlen gegossen", wie mancher Haushälter schwärmt, der um seinen Einfluss weiß. Wenn er wackelt, wegbricht oder verschoben wird, betrifft das 80 Millionen Menschen in diesem Land. Die Bürger konnten sich bisher zu Recht darauf verlassen, dass bei allem Streit um die richtigen Ausgaben wenigstens eines sichergestellt ist: dass die Geschäftsgrundlage der Regierung auf einem soliden Fundament steht.

Diese Verlässlichkeit wurde beschädigt.

Wenn also jetzt so manch ein Regierungspolitiker der Union vorwirft, dass sie die Menschen verunsichere, Chaos stifte oder staatspolitisch "unverantwortlich" handele, ist das ein durchsichtiges Manöver. Dass die Bundesregierung einen verfassungswidrigen Haushalt beschlossen hat und einen weiteren in Vorbereitung hatte, ist ein massiver Vertrauensbruch, der zu 100 Prozent aufs Konto der Ampel geht.


DFB-Pleite gegen Österreich

Die deutsche Nationalmannschaft schließt das Länderspieljahr 2023 mit einer Niederlage gegen Österreich ab (0:2). Es ist ein Debakel, das auch durch die Rote Karte von Leroy Sané eingeleitet wurde, der für einen kurzen Moment komplett seine Fassung verlor und seinem Gegenspieler sogar ins Gesicht schlug.

Die Krise der DFB-Elf zieht sich wie ein roter Faden durch die vergangenen Jahre. Wann wird es besser, oder ist schon alles verloren? Und: Gibt es noch Hoffnung für die Heim-EM im kommenden Sommer? "Tiefer geht es nicht mehr", kommentiert unser Sportchef Andreas Becker die jüngste DFB-Pleite.



Was steht an?

Bella figura? Deutschland und Italien kommen erstmals seit 2016 zu gemeinsamen Regierungsberatungen in Berlin zusammen. Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni wollen die Gespräche leiten und einen deutsch-italienischen "Aktionsplan" unterzeichnen. Das rund 20-seitige Dokument soll den wirtschaftlichen Austausch fördern und auch die Zusammenarbeit beim Thema Migration vertiefen.

Vor allem bei Letzterem könnte es zwischen Berlin und Rom knirschen: Erst im September hatte sich Meloni in einem Brief bei Scholz über die deutschen Hilfen für Seenotretter beschwert. Können die Misstöne ausgeräumt werden?


Wahlen im Nachbarland: Die niederländische Regierung war im Juli im Streit über die Migrationspolitik zerbrochen. In der Folge erklärte der langjährige rechtsliberale Premierminister Mark Rutte überraschend seinen Rückzug aus der Politik. In den Umfragen führen Dilan Yeşilgöz, die Spitzenkandidatin von Ruttes VVD, und Rechtspopulist Geert Wilders. Den Niederlanden könnte eine neue Ära bevorstehen. Die ersten Hochrechnungen werden am Abend erwartet.


Waffenruhe in Nahost? Die wochenlangen Verhandlungen hinter den Kulissen haben gefruchtet: Israel hat einem Deal mit der Hamas zugestimmt. Die Vereinbarung sieht eine viertägige Feuerpause sowie einen Austausch von 50 Geiseln der Hamas gegen mindestens 140 Häftlinge in Israel vor. Ob der viertägige Waffenstillstand hält, wird sich zeigen. Die israelische Armee befürchtet, die Hamas-Terroristen könnten die Feuerpause nutzen, um weitere Angriffe zu planen.


Lesetipps

Die Ukraine soll im Kampf gegen Russland Unterstützung bekommen, "so lange es nötig ist", erklärte die Bundesregierung. Aber tut auch Deutschland genug, um langfristig mit der russischen Kriegswirtschaft mithalten zu können? Denn sollte Wladimir Putin seinen Krieg gewinnen, wären die Folgen für ganz Europa fatal, schreibt mein Kollege Patrick Diekmann.


Wie kann die Ampel die aktuelle Geldnot lösen, die sie sich selbst eingebrockt hat? Der Kern des Problems sei nicht die Schuldenbremse, diese verdecke nur ein viel tiefer liegendes Problem, analysiert mein Kollege Florian Schmidt. Er kommt zu dem Schluss: "Die fetten Jahre sind vorbei."


Die Nord-Stream-Affäre weitet sich aus: Unter dem Deckmantel einer Klimainitiative bahnte die Landesregierung von Manuela Schwesig Geschäfte mit Russland an. Treiber war Altkanzler Gerhard Schröder, wie mein Kollege Jonas Mueller-Töwe recherchiert hat.


Zum Schluss

Gewährleistung ausgeschlossen. Vielleicht hätte der Kanzler das Kleingedruckte lesen sollen?

Ich wünsche Ihnen einen fröhlichen Mittwoch. Morgen kommt der Tagesanbruch von meiner Kollegin Camilla Kohrs.

Herzliche Grüße

Ihr

Daniel Mützel
Reporter im Hauptstadtbüro von t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

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