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USA: So profitiert Joe Biden von billigen Öl – Kampf um Klima?


Tagesanbruch
Die Europäer müssen jetzt tapfer sein

  • Bastian Brauns
MeinungVon Bastian Brauns

Aktualisiert am 27.03.2024Lesedauer: 6 Min.
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Kampf für das Klima, aber auch für die Wiederwahl: Unter Joe Biden fördern die USA so viel wie nie zuvor (Archivbild).Vergrößern des Bildes
Kampf für das Klima, aber auch für die Wiederwahl: Unter Joe Biden fördern die USA so viel wie nie zuvor (Archivbild). (Quelle: IMAGO/Pool/ABACA)

Liebe Leserin und lieber Leser,

als ich mich in den vergangenen Wochen auf Wahlkampfveranstaltungen von Donald Trump herumgetrieben habe, fiel mir immer wieder ein bestimmter Satz auf: "Drill, Baby, drill!" Trump rief ihn, wenn er auf der Bühne stand, an einer bestimmten Stelle seiner Rede regelmäßig ins Mikrofon und reckte dabei die Faust in die Höhe. Und die Menge seiner Anhänger rief diese Losung im Chor mit: "Drill, Baby, drill!"

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In diesem Moment dachte ich, ich sei in einem Gottesdienst gelandet. Denn die Trump-Gemeinde echote diesen Satz so sicher wie eine Kirchengemeinde das "Amen" in der Kirche. Für Trump gehört er zum Repertoire wie seine Behauptung, der Klimawandel sei eine überzogene, grüne Idee.

Ins Deutsche übersetzt, ruft Trump bei seinen Reden "Bohre, Baby, bohre!" ins Mikrofon. Und tatsächlich handelt es sich bei diesem Ausdruck um einen fundamentalen Glaubenssatz. Denn gemeint ist damit das intensive Bohren nach Öl in den USA und das damit verbundene Streben nach kompletter amerikanischer Energie-Unabhängigkeit.

Aufgetaucht ist dieser Satz übrigens erstmals 2008. Verwendet hat ihn der ehemalige Vorsitzende der Republikanischen Partei, Michael Steele. Kurz darauf wiederholte ihn die ehemalige Vizepräsidentschaftskandidatin Sarah Palin im TV-Duell gegen Joe Biden, der später Barack Obamas Vizepräsident wurde.

Für Donald Trump ist "Drill, Baby, drill!" ein entscheidender Schlachtruf gegen Joe Biden. Mit ihm will er deutlich machen, wie schlecht der amtierende Präsident angeblich für die amerikanische Wirtschaft sei. Biden, so Trumps Behauptung, würde mit einer verrückten Klima-Agenda die USA in eine fatale Energieabhängigkeit steuern. Zu Unrecht.

Denn Donald Trump und auch wir Europäer müssen jetzt tapfer sein: In Wahrheit ist es ausgerechnet Joe Biden, unter dem die USA in den vergangenen Monaten zu DER Erdöl-Nation überhaupt auf dem Planeten geworden sind. Ausgerechnet jener US-Präsident, der mit seinem billionenschweren Investitionsprogramm, dem sogenannten Inflation Reduction Act (IRA), endlich auch in Amerika die Energiewende vorantreiben will.

Bereits im Januar gab die amerikanische Energiebehörde Energy Information Administration (EIA) einen Rekord bekannt: Die Inlandsproduktion von Rohöl im September 2023 mit 13.247.000 Barrel pro Tag (13,2 Millionen) habe ein neues Allzeithoch erreicht. Es handelt sich dabei um die höchste Ölmenge, die jemals ein Land auf der Erde gefördert hat.

Die Welt setzt sich mit den existenziellen Folgen des voranschreitenden Klimawandels auseinander. Doch die überraschende Realität lautet, dass die USA deutlich mehr Öl fördern als etwa Russland, Saudi-Arabien, Kanada oder Brasilien. Und auch beim Erdgas liegen die USA auf Platz eins vor Russland, Iran und China.

Es gibt also einen Grund, weshalb amerikanische Umweltaktivisten längst nicht nur auf Veranstaltungen von Donald Trump oder anderen Republikanern protestieren. Vor einigen Wochen wurden in Bidens Wahlkampfzentrale in Wilmington beispielsweise 21 Klimaaktivisten des sogenannten "Sunrise Movement" festgenommen. Das ist quasi die US-Version von "Fridays for Future". Die Jugendlichen wollten den US-Präsidenten in seinem Heimatbundesstaat Delaware dazu drängen, noch vor der Präsidentschaftswahl im Herbst den Klimanotstand auszurufen.

Statt Klima-Präsident ist Joe Biden in Wahrheit also ein Rohöl-Präsident. Natürlich bohrt er nicht selbst nach dem schwarzen Gold. Als US-Präsident kann Biden auch nur bedingt direkt auf die Rohölproduktion einwirken. Zum Beispiel, wenn es darum geht, die notwendige Infrastruktur wie Pipelines bereitzustellen oder zu genehmigen. Ansonsten können Bundesstaaten wie Texas und die dortigen Förderunternehmen weitgehend frei entscheiden, wer welche Bohrrechte bekommt.

Aber Biden könnte mehr tun, wenn er denn wollte. Während seiner Regierungszeit verhinderte er zwar mit "Keystone XL" ein großes Pipeline-Projekt im Norden. Dafür genehmigte der Präsident das massive Öl-Bohrungs-Projekt "Willow" in Alasaka. An der Grenze zu Kanada traktieren ihn derzeit 30 Stämme amerikanischer Ureinwohner mit Protestnoten wegen Erdöl-Transits aus Kanada in die USA. In Bundesstaaten wie Virginia und West Virginia erteilte Biden Genehmigungen für Erdgas-Leitungen.

Es gibt Gründe, weshalb die immense Produktionssteigerung Joe Biden und den Demokraten zumindest nicht ungelegen kommt: Je mehr Öl weltweit gefördert wird, desto stärker können die Preise insgesamt sinken. Denn die Höhe des Rohölpreises hat Auswirkungen nicht nur auf amerikanische Tankstellen, sondern als wirtschaftlicher Grundstoff bis in nahezu jede Lieferkette und jedes Konsumprodukt. Ein niedriger Ölpreis begünstigt darum eine niedrige Inflationsrate.

Die noch immer hohen Preise in den USA sind Joe Bidens nach wie vor größtes Problem im Wahlkampf gegen Donald Trump. Die Menschen erinnern sich vielfach sehr genau, dass sie unter Trump viel weniger bei ihrem Supermarkteinkauf bezahlen mussten als unter Biden. Das Schlimmste, was dem Präsidenten bis November passieren könnte, wären also weiter steigende Preise.

Dazu passt eine merkwürdige Meldung, die vor einigen Tagen in der britischen "Financial Times" zu lesen war. Demnach soll die US-Regierung die Ukraine aufgefordert haben, Angriffe auf die russische Energieinfrastruktur einzustellen. Die Begründung dazu war offenbar: Ukrainische Drohnenangriffe könnten die globalen Ölpreise in die Höhe treiben.

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Tatsächlich ließen Angriffe der Ukraine die Ölpreise steigen. Seit dem 12. März, als die Ukraine zum ersten Mal die russische Energieinfrastruktur attackierte, sind sie um fast 4 Prozent gestiegen. Die Biden-Regierung fürchtet, der russische Angriffskrieg könnte wie schon 2022 zu einem weiteren Preissprung führen. Der US-Präsident musste damals sogar Teile der strategischen Ölreserven freigeben, um die globalen Preise zu stabilisieren.

Ausgerechnet der Präsident, der wie keiner vor ihm dem Klimawandel den Kampf angesagt hat, profitiert womöglich wie kein anderer von der höchsten Rohölproduktion aller Zeiten. Es ist auch die Kehrseite des Wirtschafts- und Investitionsbooms, den sich Biden zu Recht auf die Fahnen schreiben kann.

Joe Bidens Klima-Agenda ist zwar unbestritten. Seine Regierung trat dem Pariser Klimaabkommen wieder bei, nachdem Donald Trump ausgestiegen war. Sie hat sich verpflichtet, die eigenen Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 50 Prozent zu senken. Alle Autos, die nach 2035 verkauft werden, müssen auch in den USA emissionsfrei sein. Die Biden-Regierung hat tatsächlich mehr Klimaschutzmaßnahmen ergriffen als jede andere vor ihm.

Und trotzdem: Mit der explodierenden Rohölförderung tragen die USA unter Joe Biden weiterhin maßgeblich zu den globalen Emissionen bei. Amerikaner erzeugen pro Kopf noch immer fast 15 Tonnen CO2 im Jahr. Zum Vergleich: In Deutschland sind es nur noch rund 8 Tonnen pro Kopf und Jahr. Immerhin sind nach aktuellen Schätzungen des Forschungsunternehmens Rhodium Group die Emissionen in den USA im Jahr 2023 im Vergleich zum Vorjahr um 1,9 Prozent zurückgegangen. Das liegt aber vor allem daran, dass Kohle als Energieträger immer weniger eine Rolle spielt.

Keine Frage, mit einer expliziten "Drill, Baby, drill"-Agenda unter Donald Trump würde das wohl nicht besser. Aber sollte Joe Biden im Herbst wirklich wiedergewählt werden, hätte auch er noch eine weite Reise vor sich, um sich zu Recht als Klima-Präsident inszenieren zu dürfen. Man könnte es so ausdrücken: "Still, Biden, still! There is a lot to do!"


Was steht an?

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) empfängt in Berlin die Ministerpräsidentin der Republik Lettland, Evika Siliņa.


Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) trifft sich mit Vertretern der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie. Thema ist die Stärkung von Sicherheit und Wehrhaftigkeit.


Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) ist nach China gereist und führt heute Gespräche mit dem chinesischen Regierungschef Li Qiang.


Was lesen?

Der Tauhid-Fingerzeig von Antonio Rüdiger beschäftigt die Deutschen – und die Gerichte. Im Gespräch mit meinem Kollegen Philipp Michaelis erklärt der Islamexperte Ahmad Mansour, warum die Geste nichts mit Islamismus zu tun hat, was der Nationalspieler trotzdem versäumt hat, worin es sich der DFB zu leicht macht und warum die Kritik von Julian Reichelt undifferenziert ist.


Wenn Sie sich fragen, weshalb Donald Trump trotz der zahlreichen und extrem kostspieligen Verfahren noch nicht pleite ist, können Sie hier mehr erfahren. Der ehemalige US-Präsident wendet fünf Taktiken an, um sein Geld auf wundersame Weise zu vermehren.


Was zu lachen


Was zu hören

Neulich war ich beim Abschied eines geschätzten Kollegen in Washington eingeladen. Von der Playlist lief irgendwann der Song "Wellenreiter" von Martin Den Hollander und Simon Drosten. Der meditative Sound stellte sich auch als besonders hilfreich beim Erstellen dieses Tagesanbruchs heraus.

Der Name des Kollegen mit der Playlist, der Washington leider viel zu früh in Richtung Köln verlässt, ist übrigens Christopher Wittich. Bei RTL Aktuell wird er "der neue Peter Kloeppel", titelte die "Bild"-Zeitung über ihn. Ich kann nur empfehlen, ab nächster Woche mal abends um 18.45 Uhr einzuschalten.

Ihr

Bastian Brauns
Washington-Korrespondent
Twitter @BastianBrauns

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Mit Material von dpa.

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