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Olympia 2016: So werden die Einheimischen in Rio benachteiligt


Zwei-Klassen-Gesellschaft bei Olympia
So werden die Einheimischen in Rio benachteiligt

Von t-online
Aktualisiert am 09.08.2016Lesedauer: 4 Min.
Freie Fahrt: Ein Bus für Medienvertreter auf der Olympic Lane in Rio de Janerio.Vergrößern des BildesFreie Fahrt: Ein Bus für Medienvertreter auf der Olympic Lane in Rio de Janerio. (Quelle: Chai v.d. Laage/imago-images-bilder)
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Aus Rio de Janeiro berichtet Johann Schicklinski

Was war nicht alles vorher über die Verkehrssituation in Rio geschrieben worden: Die Elf-Millionen-Stadt sei ein einziger Stau. Zur Rush Hour sei ein Vorankommen grundsätzlich nicht mehr möglich. Stillstand kein Ausnahmezustand sondern Status quo. Für die Olympischen Spiele in der Zuckerhut-Metropole ließ das nichts Gutes erahnen.

Und tatsächlich: viel geht nicht in Rio, die Stadt und die Straßen scheinen nicht nur zur Rush Hour aus allen Nähten zu platzen. Geduld ist als Primärtugend gefragt - es sei denn, man ist für Olympia vor Ort. Dann genießt man allerhand Privilegien wie bevorzugte Behandlung und freie Fahrt. Der Unmut in der Bevölkerung darüber wächst allerdings, was der Autor dieses Textes gut nachvollziehen kann.

Passkontrolle im Eiltempo

Schon am Flughafen fing es an. Bei der langwierigen Passkontrolle inklusive Fingerabdrucks-Check hatte sich am "Aeroporto do Rio de Janeiro" eine lange Schlange mit gefühlt 150 Leuten gebildet. Geplättet vom Trans-Atlantik-Flug reihte ich mich ein und rechnete in Gedanken, wie viele weitere Stunden ich wohl brauchen würde, um schließlich das Hotel zu erreichen. Doch dann erschien eine Frau im "Olympia-2016-Outfit" auf der Bildfläche und fragte, wer eine Akkreditierung als Sportler, Funktionär oder Medienschaffender dabei habe. Dann bat sie mich und viele Andere mitzukommen. Wir wurden an einer separaten Kontrolle im Eiltempo rasch abgefertigt.

Danach wurden wir darauf hingewiesen, den Flughafen nicht durch den Touristenausgang zu verlassen. Uns wurde erklärt, dass für alle Akkreditierten eigene Ausgänge gibt. Einen für die Olympische Familie, sprich Sportler, Betreuer und hohe Funktionäre. Einen für Mitglieder der Verbände aus aller Welt. Und eben einen für die Journalisten.

Gähnende Leere in den Bussen

Zu diesem Zeitpunkt fühlte ich mich, seit knapp 24 Stunden auf den Beinen, dankbar. Am Ausgang wurde ich nach meinem Hotel gefragt und mir wurde ein Bus nach Downtown Rio zugeteilt. Verbunden mit der Erklärung, dass ich dort für wenige Kilometer in einen anderen Bus umsteigen soll, der mich vor dem Hotel absetzt. Im ersten Bus waren wir zu sechst, ich und fünf weitere Sportreporter aus verschiedenen Ländern. Ich dachte mir noch nichts dabei. Im zweiten Bus allerdings, der schon auf mich wartete, war ich der einzige Passagier, was ich dann doch als befremdlich empfand.

In Rio ist das Transportsystem folgendermaßen aufgebaut. Es gibt vier Haupt-Veranstaltungsorte, an denen die Wettkämpfe ausgetragen werden: Deodoro im Nordwesten der Stadt, Maracana, das ziemlich zentral gelegen ist, die Copacabana im Süden und sehr weit westlich Barra da Tijuca. In der Nähe dieser vier Veranstaltungsorte sind auch die Hotels gelegen, in denen die Medien beherbergt sind.

Vor den Hotels sind kleine Haltestellen, an denen die Shuttles in regelmäßigen Abständen vorbeikommen, die Journalisten auflesen und zu größeren Knotenpunkten, den sogenannten Transport Hubs, bringen. Von diesen Hubs fahren Busse in einem bestimmten Rhythmus in alle anderen Olympia-Stadtteile und zu den Sportstädten. Das soll neben der Pünktlichkeit der Sicherheit dienen. Nicht auszudenken, was es für negative Publicity mit sich bringen würde, sollten Sportler, Offizielle oder Medienvertreter überfallen werden.

Die Cariocas stehen im Stau

Ich hatte an meinem ersten Tag einen Termin im Olympischen Dorf, wo ich an einer Führung teilnahm. Es war der 4. August, ein Tag vor Beginn der Spiele. Ich freute mich, dass mein Bus schon bereit stand, kaum saß ich drin, fuhr er los. Neben mir gab es noch drei weitere Insassen.

Das Olympische Dorf ist in Barra gelegen, rund 30 Kilometer entfernt von Downtown, wo ich wohne. Ich dacht erneut an die vielen Staus und rechnete mit mindestens zwei Stunden Fahrzeit. Es dauerte auch nicht lange, als wir auf einer vierspurigen Straße auf einen Stau stießen. Doch dieser erstreckte sich nur über drei Spuren, die Spur ganz links war als "Olympic Lane" deklariert und frei. Ich fragte beim Busfahrer nach, was es damit auf sich hat. Er sagte mir, dass die Spuren exklusiv sind für alle, die mit Olympia zu tun haben. Freie Fahrt also, während die Cariocas, wie die Einwohner Rios genannt werden, im Stau stehen.

Ungleichbehandlung ärgert alle

Ich fragte den Busfahrer, was er davon hält. Er meinte, dass das für seine Arbeit gut sei. Für die Leute aber nicht. Ähnlich verhält es sich, wenn man Passanten auf der Straße fragt. Unter den Einheimischen herrscht riesengroßer Unmut. Zum einen fühlen sie sich diskriminiert. Zum anderen: Wer steht schon gerne im Stau, während ein elitärer Kreis freie Fahrt genießt? Und das in fast komplett leeren Bussen. Auf dem Weg zum Olympischen Straßenradrennen, einem der ersten Highlights der Olympiade, Start und Ziel immerhin an der Copacabana, gab es außer mir nur einen italienischen Journalisten, der im Bus mitfuhr. VIP-Feeling mit schlechtem Gewissen.

Die meisten Einheimischen geben an, dass sie im Stau stehen ja gewöhnt seien. Aber die Ungleichbehandlung ärgert alle. Und die Versuchung, selbst auf die Olympic Lines auszuweichen, ist nicht so groß, wie man annehmen sollte. Restriktive und vor allem häufige Kontrollen, ein Bußgeld im dreistelligen Euro-Bereich und Punkte warten auf die "Verkehrssünder". Und nach wenigen Tagen in der Zuckerhut-Metropole muss ich konstatieren, dass die Polizei da tatsächlich ein Auge darauf hat und und als Folge nur wenige PKW aus dem Stau ausscheren.

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Die „Nummer Vier“ ist nicht für jeden da

Dazu kommt, dass eine für die Spiele wichtige U-Bahn-Strecke ("Nummer Vier") erst unmittelbar vor Olympia fertig wurde. Sie hat rund zweieinhalb Milliarden Euro gekostet und führt von der Stadt weit in den Westen nach Barra. Bereits nutzbar ist sie aber nur eingeschränkt, nämlich für Sportler, Olympia-Funktionäre, akkreditierte Medienvertreter und Olympia-Touristen mit Eintrittskarten. Alle anderen dürfen die wichtige Ost-West-Verbindung vorerst nicht nutzen. Ich muss zugeben, dass mich mittlerweile bereits ein schlechtes Gewissen plagt. Und die bösen Blicke, die man als Olympianer auf den Straßen Rios teilweise zugeworfen bekommt, kann ich nachvollziehen.

Doch trotz meiner Gewissensbisse: eine Lösung habe ich auch nicht. Schließlich müssen Sportler, Betreuer, Funktionäre und Medienschaffende ja pünktlich sein. Auch wenn dadurch eine Ungleichbehandlung entsteht.

Rios Bürgermeister einmal mehr mit einem skurrilen Vorschlag

Eine "kreativere Lösung" hat sich indes einmal mehr Rios Bürgermeister Eduardo Paes einfallen lassen. Er rief die Einwohner dazu auf, während der Spiele öfters mal einen "Feiertag" einzulegen, sprich Zuhause zu bleiben und nicht zur Arbeit oder in die Stadt zu gehen. Damit die Straßen frei sind. Ach, wenn es doch so einfach wäre…

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