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Erschütterungen in China: Xi lässt die nächste Bombe platzen


Erschütterungen in China
Xi räumt auf

Von Patrick Diekmann

09.08.2023Lesedauer: 5 Min.
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Chinas Präsident Xi Jinping: Unter seiner Führung hat China seine Spionage-gesetze drastisch verschärft.Vergrößern des Bildes
Chinas Präsident Xi Jinping: Unter seiner Führung hat China seine Spionage-Gesetze drastisch verschärft. (Quelle: Aleksey Nikolskyi/Sputnik Moscow Russia /imago images)

Erst verschwand plötzlich der chinesische Außenminister Qin Gang, dann fehlte von zwei Elite-Generälen jede Spur. Präsident Xi Jinping räumt in China aktuell auf, tauscht wichtige Köpfe aus. Was steckt hinter der Machtdemonstration?

Für China wird die Ukraine-Krise zu einer immer größeren Belastungsprobe. Als am Wochenende der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj seine "Friedensformel" beim Gipfel in Saudi-Arabien vorstellen ließ, saß auch eine chinesische Delegation mit am Tisch. Nach dem Gipfel musste Peking Russland beruhigen, das nicht eingeladen war. Deswegen telefonierte der chinesische Außenminister Wang Yi am Montag mit seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow und sicherte ihm Chinas "unabhängige und unparteiische Haltung" gegenüber der Ukraine zu.

Das hilft weder Russland noch der Ukraine – Peking tut nicht mehr als nötig. Immer mehr manifestiert sich inzwischen der Eindruck, dass für Chinas Machthaber Xi Jinping der Krieg und die damit verbundene weltweite Krise zur Unzeit kam. Dank Wladimir Putin sieht sich die Volksrepublik mit einem Westen konfrontiert, der stark aufrüstet und sich aus seiner wirtschaftlichen Abhängigkeit von China langsam löst.

Xis Problem: Er kann aktuell nicht seinen vollen Fokus auf die geopolitischen Spannungen legen. Denn China kämpft momentan mit zahlreichen inneren Problemen. Das zeigten nicht zuletzt die Säuberungsaktionen, die Xi Jinping in der politischen Führung und im Militär durchführte. In China verschwinden immer wieder plötzlich Menschen – und das weckt Spekulationen über die Hintergründe.

Plötzlich verschwunden

Ein Symbol für die gegenwärtigen Umbrüche in China ist auch das Gespräch von Lawrow mit Wang Yi. Letzterer war zu Jahresbeginn vom Posten des Außenministers aufgestiegen und wurde in der Kommunistischen Partei zu Chinas Chefdiplomat.

Doch nun sitzt Wang Yi jedoch wieder auf seinem alten Posten als Außenminister, weil sein Vorgänger Qin Gang Mitte Juli plötzlich verschwand. Wochenlang wurde in Peking darüber gerätselt, was mit Qin Gang passiert ist, berichten die Korrespondenten zahlreicher Medien aus der chinesischen Hauptstadt.

Dann kam die Bestätigung: "Chinas oberste Legislative hat beschlossen, Wang Yi zum Außenminister zu ernennen", schrieb die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua. "Qin Gang wurde entlassen." Xi Jinping habe eine Präsidialverfügung zur Umsetzung des Beschlusses unterschrieben.

Der aktuelle Aufenthaltsort von Qin Gang ist unbekannt, sein Verschwinden kein Einzelfall. Ähnlich lief es am 31. Juli bei dem chinesischen General Li Yuchao und seinem Stellvertreter. Er war Chef der chinesischen Raketenstreitkräfte und befehligte alle nicht-taktischen Raketen der Volksrepublik – konventionell und nuklear.

Auch er verschwand, auch er wurde abgesetzt. Das bestätigte die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua indirekt. Zu Beginn der vergangenen Woche vermeldete sie knapp, dass Xi zwei Militärs zu Generälen befördert habe – und zwar "den Kommandeur der Raketenstreitkräfte, Wang Houbin, und deren Politkommissar, Xu Xisheng". Dementsprechend musste Li ausgetauscht worden sein. Später wurde bekannt, dass auch sein aktueller sowie sein früherer Stellvertreter verschwunden sind.

Gute Drähte zu Xi Jinping

Einen Tag nach der offiziellen Absetzung der Generäle, am 1. August, feierte die chinesische Volksbefreiungsarmee ihren 96. Geburtstag. Der Zeitpunkt von Xis Bombe ist sicherlich kein Zufall, sondern soll ein Signal sein.

Der chinesische Präsident persönlich hatte die Raketenstreitkräfte 2015 als eigene Teilstreitkraft aus der Armee ausgegliedert, seither haben sie immer mehr Wertschätzung und vor allem auch Geld bekommen. Auch der verschwundene Ex-Außenminister Qin Gang war Protegé des Staats- und Parteichefs. Er galt als besonders scharfer Kritiker des Westens und propagierte die im Notfall militärische Eroberung Taiwans.

Xi geht also gegen seine Vertrauten vor. Aber was steckt dahinter?

Auch für China-Experten gibt es wenig Gewissheit über die Hintergründe, aber es gibt einige Spuren, die vor allem einen Schluss nahelegen: Die Wut in China ist groß. Xi reagierte entweder auf Korruption oder Verrat.

"Sie wurden unmoralisch"

"Offensichtlich ist im System etwas schiefgelaufen, was wahrscheinlich mit Disziplin und Korruption zusammenhängt", sagte Andrew Yang, ein Experte für das chinesische Militär, der "New York Times" am Montag. "Es ist wie ein Virus im System, das zurückgekehrt ist. Es ist ein tief verwurzeltes Problem, und es hat im System überlebt."

In der Tat war die Führung der chinesischen Volksbefreiungsarmee vor der Machtübernahme Xis im Jahr 2012 in großen Teilen korrupt. Der chinesische Präsident bemühte sich darum, potenzielle Rivalen im Militär zu beseitigen und gleichzeitig die Korruption zu bekämpfen. Das Militär und die Partei sollten die Stützen seiner Macht sein.

Dafür griff der heute 70-Jährige zu drastischen Mitteln: Im Jahr 2014 warnte er Hunderte hochrangige Offiziere, dass das Militär von innen heraus verrotte. Generäle hatten durch Bestechung Vermögen angehäuft, und einige horteten in ihren Häusern Juwelen und Bargeld. Xi schob dem auch aus Eigeninteresse – der Festigung seiner Macht – einen Riegel vor.

Wären die Generäle der Raketenstreitkräfte aufgrund von Korruption entlassen worden, wäre das auch ein herber Rückschlag für Xi persönlich. Unter Berufung auf zwei anonyme Quellen erklärt die Honkonger Zeitung "South China Morning Post", dass Li Yuchao und seine Vertrauten im Zentrum von Korruptionsermittlungen stünden. "Fast alle hochrangigen Generäle hatten vor ihrer Beförderung einen guten Ruf", zitiert die Zeitung eine Quelle. "Sie wurden unmoralisch, nachdem sie in das Hauptquartier in Peking versetzt worden waren, was ihnen mehr Möglichkeiten bot, mit Rüstungsunternehmen zu interagieren."

Für diese These spricht, dass die Zentrale Militärkommission in China erst im Juli ankündigte, die militärischen Beschaffungsprojekte der vergangenen sechs Jahre auf Korruption zu durchleuchten.

Spionageverdacht gegen Generäle

Ob das erfolgreich ist, ist unklar. Es erscheint jedoch unwahrscheinlich, dass die Generäle und Ex-Außenminister Qin Gang krankheitsbedingt ihre Posten räumen mussten. Plötzliche Erkrankungen hätte die Staatspropaganda als Legitimation für die Absetzungen genutzt. Außerdem behielt Qin Gang offiziell noch seinen Posten als Staatsrat der Kommunistischen Partei, was im Krankheits- oder Todesfall wahrscheinlich nicht der Fall gewesen wäre.

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Experten halten allerdings noch einen anderen Grund für die Säuberungen für möglich: Spionage. "Peking hat keine Angaben zum Aufenthaltsort von Li Yuchao und Liu (Anm. d. Red.: sein Stellvertreter) gemacht, aber ausländische Beamte, die über Geheimdienstinformationen in dieser Angelegenheit informiert wurden, gehen davon aus, dass gegen die beiden Generäle wegen angeblicher Preisgabe von Militärgeheimnissen ermittelt wird", schrieb die in Taiwan stationierte Journalistin Kathrin Hille in der "Financial Times" am 31. Juli.

Belege dafür gibt es keine, nur Anzeichen. CIA-Direktor William Burns erklärte im Juli, die CIA habe sich erneut ein Netz aus Informanten im chinesischen Staatsapparat aufgebaut. Das ist insofern bemerkenswert, als die chinesische Führung erst 2010 ein US-Spionagenetz zerschlagen hatte. Damals wurde laut "New York Times" ein Dutzend chinesischer CIA-Informanten hingerichtet, teilweise wurden die US-Spione vor ihren Kolleginnen und Kollegen erschossen – als Warnung für den Rest, der nicht spioniert hat.

Auch die aktuellen Säuberungsaktionen von Xi können als Warnung verstanden werden. "Die Botschaft an die Truppe wird lauten: 'Niemand, egal wie hoch im Rang, ist außerhalb der Reichweite der Partei, wenn es zu Disziplinverstößen gekommen ist'", sagte China- und Indopazifik-Experte David Finkelstein der "New York Times". Die jetzigen Skandale könnte Xi also wiederum zum Anlass nehmen, die Repressionen gegen die eigene Bevölkerung zu verschärfen. Aber auch sein Militär hat er offenbar stets im Blick.

Verwendete Quellen
  • nytimes.com: Foreign Ministers of China and Russia Confer After Jeddah Talks (engl.)
  • tagesschau.de: Wo ist Chinas Außenminister?
  • ft.com: China ousts top generals from nuclear Rocket Force (engl.)#
  • nytimes.com: Xi Rebuilt the Military to His Liking. Now a Shake-Up Threatens Its Image (engl.)
  • spiegel.de: Die verschwundenen Generäle aus Chinas Raketentruppe
  • nytimes.com: Killing C.I.A. Informants, China Crippled U.S. Spying Operations (engl.)
  • fr.de: Werden die Risse zwischen China und Russland immer tiefer? Xi geht neuen Schritt - Putin "besorgt"?
  • foreignaffairs.com: Xi’s Security Obsession (engl.)
  • spiegel.de: Aufsteiger, Machtmensch – und Pekings größtes Rätsel
  • Eigene Recherchen
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