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Hamas gegen Israel: Wohl über 100 Geiseln in Gaza


Geiseln von Gaza
"Juden lassen andere Juden nicht im Stich"

Von t-online, lma

09.10.2023Lesedauer: 5 Min.
Bewaffnete Kämpfer der palästinensischen Hamas greifen Israel an: Die Islamisten nehmen mehr als 100 Menschen als Geiseln.Vergrößern des BildesBewaffnete Terroristen der palästinensischen Hamas greifen Israel an: Die Islamisten nehmen mehr als 100 Menschen als Geiseln. (Quelle: apaimages/imago images)
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Terroristen der Hamas starten den schwersten Angriff auf Israel seit Jahrzehnten. Dabei verschleppen die Islamisten so viele Menschen wie nie zuvor. Was das für die geplante Bodenoffensive Israels bedeutet.

Nach den heftigen Angriffen der Terrororganisation Hamas am Wochenende vermeldet die israelische Armee den Rückgewinn aller Ortschaften. Zuvor hatten militante Kämpfer der islamistischen Hamas die Grenze am Gazastreifen überwunden und Teile der Region besetzt. Im Zuge des Angriffs wurden sowohl Zivilisten als auch Angehörige des israelischen Militärs (Israel Defense Forces, kurz: IDF) getötet und verschleppt. Mehr zur Hamas lesen sie hier.

Noch immer sollen sich viele Geiseln in der Hand der Hamas befinden. Am Wochenende war auf verschiedenen Videos, die im Netz kursieren, zu sehen, wie die Terroristen Israelis in den Gazastreifen verschleppten. Unter den Entführten sollen sich auch deutsche Staatsangehörige befinden. Eine Mutter aus Ravensburg will ihre Tochter auf einem der Videos erkannt haben, ob die 22-Jährige noch am Leben ist, ist derzeit unklar.

Wie ist die aktuelle Lage? Und welche Auswirkungen haben die Geiselnahmen auf die militärische Gegenoffensive Israels? t-online gibt einen Überblick.

Wie viele Geiseln sind aktuell in der Gewalt der Hamas?

Wie viele Menschen bisher in den Gazastreifen verschleppt wurden, ist derzeit noch unklar. Nach israelischen Angaben sollen es mehr als 100 Menschen sein. Unter ihnen sollen sich auch Frauen, Kinder und ältere Menschen befinden, wie die Deutsche Presse-Agentur schreibt. Einzelnen Medienberichten zufolge soll es sich sogar um bis zu 170 verschleppte Personen handeln.

"Das ist natürlich eine unübersichtliche Situation. Derzeit weiß niemand, wo sich die Geiseln genau befinden. Irgendwo im Gazastreifen. Es ist zurzeit nur schwer einzuschätzen, wie viele Menschen und wer genau vermisst wird. Niemand weiß derzeit, wie die Situation konkret vor Ort aussieht", sagt Daniel Mahla, Politologe und Historiker an der Universität Haifa, t-online.

Welche Staatsangehörigkeiten haben die Betroffen?

Unter den Geiseln, die in den Gazastreifen verschleppt wurden, befinden sich nach Angaben des Auswärtigen Amtes auch deutsche Staatsangehörige. "Nach unserer Kenntnis handelt es sich um Personen, die alle neben der deutschen auch die israelische Staatsangehörigkeit haben", teilte das Außenministerium auf Anfrage von t-online mit.

Man stehe in engem Austausch mit der deutschen Botschaft in Tel Aviv, heißt es weiter. Zum Schutz der Betroffenen werden genaue Informationen zur Anzahl der Menschen sowie zu Einzelfällen derzeit noch zurückgehalten. Die Bundesregierung hat in der Folge der Ereignisse einen Krisenstab einberufen.

Daneben sind auch Angehörige anderer Staaten in der Gewalt der Hamas. Dem amerikanischen Fernsehsender CNN zufolge sind darunter Personen aus:

  • Mexiko (2),
  • Brasilien (3),
  • Nepal (1),
  • Vereinigtem Königreich (1),
  • Deutschland (unklar),
  • Thailand (11).

Wie ist Israel in der Vergangenheit mit Geiselnahmen umgegangen?

"Geiselnahmen werden hier in Israel sehr ernst genommen. Es wird alles darangesetzt, die Menschen zu befreien", so Daniel Mahla. Im Fall von Gilat Shalit, der im Jahr 2006 als Geisel genommen wurde, veranlasste die israelische Regierung einen Gefangenenaustausch, um den Soldaten zurück nach Israel zu holen.

Mehrere Befreiungsversuche der israelischen Armee waren zuvor gescheitert. Am Ende wurde Shalit nach fünf Jahren Gefangenschaft gegen 1.027 in Israel inhaftierte islamistische Terroristen ausgetauscht. "Einige waren damals auch der Meinung, dass der Preis zu hoch war. Auch weil viele der Freigelassenen später wieder Attentate gegen Israel verübten", sagt Mahla.

Der Fall von Gilat Shalit war der prominenteste in der jüngeren Vergangenheit – aber bei Weitem nicht der einzige. In der Geschichte des Staates Israel kam es immer wieder zu solchen Austauschaktionen. So hat Israel auch mit dem Libanon öfter die sterblichen Überreste gegen gefangene Extremisten getauscht.

"Wenn wir uns nicht verteidigen, verteidigt uns niemand."

Mahla: "Juden lassen andere Juden nicht im Stich, diese Vorstellung ist bei vielen jüdischen Israelis tief verankert. Das ist auch eine Lehre aus dem Holocaust. Ganz nach dem Motto: Wenn wir uns nicht verteidigen, verteidigt uns niemand."

Auch in der aktuellen Situation soll es Berichten von der chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua zufolge Verhandlungen über einen Gefangenenaustausch geben, die Nachrichtenagentur Reuters bestätigte die Meldungen vorerst. Demnach soll der arabische Staat Katar bei den Verhandlungen als Vermittler auftreten und von den USA unterstützt werden.

Verhandelt wird den Berichten zufolge ein Austausch von israelischen Frauen und Kindern, die derzeit im Gazastreifen festgehalten werden. Als Gegenleistung soll die Hamas die Freilassung von 36 palästinensischen Frauen und Kindern aus israelischen Gefängnissen fordern. Wie viel an den Berichten dran ist, lässt sich derweil nur schwer sagen. Im Gespräch mit der "Times of Israel" dementierte ein israelischer Beamter am Montag, dass es überhaupt Verhandlungen gebe.

Welche Rolle spielen die Geiseln für das Vorgehen Israels?

In der Folge des Angriffs der islamistischen Terrorgruppen holte die IDF zum Gegenschlag aus. Bei Bombardements im Gazastreifen wurden bisher fast 500 Menschen getötet, wie das Gesundheitsministerium am Montag (9. Oktober) in Gaza mitteilte. Laut einem US-Bericht steht auch ein Bodenangriff der IDF kurz bevor. Mehr dazu lesen sie hier.

"Natürlich gab es bereits in der früheren Geschichte Israels Geiselnahmen. Aber das, was wir hier sehen, ist eine ganz andere Größenordnung. Aus der Geschichte ist mir nur die Entführung von Entebbe bekannt, bei der die Zahl der Geiseln dreistellig war. Das war aber natürlich eine ganz andere Situation", erklärt Mahla die Besonderheit der aktuellen Situation.

Bei der Entführung von Entebbe, der Hauptstadt von Uganda, wurden im Jahr 1976 über 100 vorwiegend jüdische Geiseln festgehalten. Damals brachten palästinensische und deutsche Terroristen eine Air-France-Maschine unter ihre Kontrolle. Israelische Spezialkräfte befreiten die Geiseln nach einer Woche Gefangenschaft.

Die heutige Situation stellt sich weitaus komplexer dar. Weder die genaue Anzahl noch der genaue Aufenthaltsort der Geiseln sind bisher bekannt – was eine direkte Befreiungsaktion wie damals in Entebbe quasi unmöglich machen dürfte. "Es gibt keine militärische Möglichkeit, in den Gazastreifen hineinzugehen und die Menschen herauszuholen", teilte Avi Benayyahu, der ehemalige Sprecher der israelischen Armee, zuletzt im israelischen Fernsehen mit.

"Selbst wenn man den Gazastreifen erobern würde, ist es nicht sicher, dass die Geiseln dann überhaupt noch am Leben sind", so Benayyahu weiter. Sollten auf der militärischen Ebene keine Erfolge erzielt werden können, könnte es zu Verhandlungen kommen, so die Einschätzung von Mahla. "Da ist die Frage natürlich groß, wie hoch der Preis für 100 israelische Geiseln überhaupt wäre."

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Welche Optionen hat Israel in der aktuellen Situation?

Bereits jetzt sollen im Gazastreifen mindestens vier israelische Geiseln durch Angriffe der IDF getötet worden sein, wie die Deutsche Presse-Agentur unter Berufung auf palästinensische Quellen schreibt. Bis zuletzt konnten die Berichte zwar nicht unabhängig bestätigt werden, aber die Zwickmühle wird trotzdem deutlich.

"Die Situation stellt die israelische Regierung vor ein großes Dilemma. Wenn man einen Blick auf die militärischen Optionen wirft, wird schnell deutlich, dass die Chance, diese Geisel zu befreien, relativ gering ist", schätzt Mahla die Situation ein. Sowohl bei Bombardements als auch bei einer Bodeninvasion wäre die Wahrscheinlichkeit von Opfern unter den Geiseln hoch.

Für eine Einschätzung, ob Israel seine Politik in puncto Geiselbefreiungen durch die aktuellen Umstände ändern wird, sei es jetzt noch zu früh, so Mahla. Klar sei allerdings: Israels Regierung um Premierminister Benjamin Netanjahu stehe derzeit unter hohem Druck. Kritiker werfen der Führung vor, nicht ausreichend auf den Angriff vorbereitet gewesen zu sein und zu spät reagiert zu haben.

"Das ist aus meiner Perspektive relativ neu, dass die Kritik bereits so früh erfolgt", so Mahla. Ob die aktuelle Situation, ähnlich wie der Jom-Kippur-Krieg vor rund 50 Jahren, zu einer radikalen Veränderung in der politischen Landschaft des jüdischen Staates führen wird, bleibt abzuwarten.

Verwendete Quellen
  • Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
  • timesofisrael.com: "Defense minister announces ‘complete siege’ of Gaza: No power, food or fuel" (englisch)
  • reuters.com: "Qatar leading talks to swap Hamas-held hostages for Palestinians in Israeli jails" (englisch)
  • israelnetz.com: "Israelreport - 6/2011"
  • cnn.com: "Festivalgoers, children, soldiers: What we know about the people captured by Hamas" (englisch)
  • stanford.edu: "Hijacking of Air France Airbus by Followers of Popular Front for the Liberation of Palestine - Israeli Action to liberate Hostages held at Entebbe Airport - Inconclusive Debate at UN security Council - Ugandan Recriminations against Britain and Kenya - Severance of Diplomatic Relations with Uganda by Britain" (englisch)
  • tagesschau.de: "Mindestens 700 Israelis bei Hamas-Angriff getötet"
  • Interview mit Daniel Mahla
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