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Ex-US-General Hodges über Ukraine-Krieg "Dann brechen die Russen zusammen"


Früherer US-General Hodges
"Dann wird es losgehen"

InterviewVon Marc von Lüpke

Aktualisiert am 15.04.2023Lesedauer: 7 Min.
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Ukrainische Artilleristen: Die kommende ukrainische Offensive könnte die russisch besetzte Krim abschneiden, sagt EX-US-General Ben Hodges.Vergrößern des Bildes
Ukrainische Artilleristen: Die kommende ukrainische Offensive könnte die russisch besetzte Krim abschneiden, sagt Ex-US-General Ben Hodges. (Quelle: Dmytro Smoliyenko/imago-images-bilder)

Wladimir Putin will die Krim halten – wird ihm das gelingen? Der frühere US-General Ben Hodges ist zuversichtlich, dass die Ukraine die Halbinsel wieder gewinnen kann.

Mit der Wegnahme der Krim hat 2014 Russlands Krieg gegen die Ukraine begonnen, mit ihr könnte der Konflikt auch enden. Wenn es der ukrainischen Armee denn gelingen sollte, die Krim zurückzuerobern. Wie realistisch ist aber ein Abzug Russlands von der geradezu mythenhaft verklärten Halbinsel? Ben Hodges, früherer General der United States Army und Befehlshaber der amerikanischen Truppen in Europa, ist zuversichtlich.

Wie der Ukraine die Rückgewinnung der Krim gelingen könnte, worin die Bedeutung Europas für die USA liegt und welchen Fehler Frankreichs Präsident Emmanuel Macron seiner Ansicht nach hinsichtlich des Taiwan-Konflikts begangen hat, erklärt Ben Hodges im Gespräch.

t-online: Herr Hodges, Russlands Krieg gegen die Ukraine zeigt, dass Europa ohne die Führungsmacht USA mehr oder weniger hilflos ist. Was würde passieren, wenn sich die Vereinigten Staaten irgendwann zurückzögen?

Ben Hodges: Die USA werden Europa niemals fallenlassen. Es liegt in unserem ureigenen Interesse, dass auf dem europäischen Kontinent Sicherheit und Stabilität herrschen. Außerdem dürfen wir nicht vergessen, dass auch die Vereinigten Staaten von der Zusammenarbeit profitieren. Die meisten unserer Verbündeten sind europäische Staaten, ihre Unterstützung ist wichtig – sei es in Afrika, Zentralasien oder Europa selbst.

Was wäre aber, wenn Donald Trump oder ein Gleichgesinnter das Weiße Haus übernehmen sollte? Trump bezeichnete die Nato während seiner Präsidentschaft als "obsolet".

Trump wird nicht noch einmal Präsident, da bin ich mir zu 100 Prozent sicher. Andere Präsidentschaftskandidaten der Republikaner werden aller Voraussicht nach spätestens in den Vorwahlen zumindest in Sachen Nato gemäßigter auftreten. Joe Biden wird im Übrigen meiner Erwartung zufolge im Wahljahr 2024 eine ausgezeichnete Bilanz vorzuweisen haben. Insofern bin ich zuversichtlich.

Wie wichtig ist denn die Nato für die Vereinigten Staaten?

Die Nato ist für die USA von größter Bedeutung. Sie ist ein hervorragender Rahmen, um unterschiedliche Sichtweisen miteinander zu diskutieren und abzustimmen. Ich gebe unumwunden zu, dass auch die USA nicht immer die einfachsten Verbündeten sind.

Frederick Benjamin "Ben" Hodges, Jahrgang 1958, ist Lieutenant General der United States Army im Ruhestand. Von 2014 bis 2017 war der Berufsoffizier Oberkommandierender der US-Landstreitkräfte in Europa. Heute ist Hodges unter anderem Berater der amerikanischen Menschenrechtsorganisation Human Rights First.

Nun erscheint aber eher der französische Präsident Emmanuel Macron als "schwieriger" Bündnispartner. Nach einem China-Besuch warnte er kürzlich davor, dass die Europäer im Falle des von Peking bedrohten Taiwans keine "Mitläufer" der USA sein dürften.

Macron hat große Schwierigkeiten, seine persönliche Vision von Europa auf den Punkt zu bringen. Was will er eigentlich genau? Eine strategische Autonomie Europas? Ich bin mir da nicht so sicher. Was Macron tut, ist ziemlich verwirrend. Und das nicht erst seit seinen jüngsten Aussagen zu Taiwan, China und den Vereinigten Staaten. Blicken wir zurück: Zunächst hat Macron versucht, sich mit Donald Trump gut zu stellen. Das war ziemlich schlimm. Dann probierte er das Gleiche mit Putin, das war noch schlimmer. Und nun scheint eben China an der Reihe zu sein.

Besonders aus Deutschland schallt Macron Kritik entgegen.

Ich teile die Kritik. Macron setzt die Vereinigten Staaten grundsätzlich mit China gleich, das ist falsch. Wahrscheinlich glaubte er, für ganz Europa zu sprechen – die meisten europäischen Staaten dürften die Situation in Bezug auf Taiwan allerdings anders sehen. Frankreich sollte sich mehr darauf konzentrieren, innerhalb von Europäischer Union und Nato Einheit und Zusammenhalt zu stiften, anstatt sich von den Vereinigten Staaten zu distanzieren. Damit wären Zeit und Energie besser investiert.

Wird die Bedrohung des demokratischen Taiwans durch China in Europa überhaupt ausreichend ernst genommen? Der Pazifik ist weit weg.

Im Falle der von Russland angegriffenen Ukraine geht es wie beim von Peking bedrohten Taiwan nicht ausschließlich um die Existenz dieser beiden Staaten. Es geht auch um die gesamte auf Regeln basierende internationale Ordnung. Es geht um Menschenrechte sowie um das Völkerrecht. Sie und alles, was damit verbunden ist, stehen auf dem Spiel. Deshalb kann kein Staat sagen, die Konflikte würden ihn nicht betreffen. Das wäre überaus dumm.

China befindet sich in einer komfortablen Lage, ein Großteil der Welt ist auf Handelsbeziehungen mit Peking angewiesen.

Wir sind auf den Handel mit China angewiesen, aber China ebenso auf den Handel mit uns. Die Wirtschaft ist allerdings nur die eine Seite der Medaille. Soll es ausschließlich darum gehen, noch mehr Autos zu verkaufen und noch mehr billiges Benzin zu bekommen? Nein, die liberalen Demokratien westlicher Prägung müssen ihre politische, wirtschaftliche und militärische Macht bündeln, um ihre demokratischen Werte verteidigen zu können. Denn das ist es, was uns verbindet. Nicht zuletzt basieren der amerikanische wie der europäische Wohlstand auf Stabilität, Sicherheit und der Achtung des Völkerrechts.

Aggressive Staatsführer wie Wladimir Putin respektieren nur Stärke. Deutschland ist bis heute allerdings militärisch bestenfalls "bedingt" einsatzbereit. Woran liegt das?

Es braucht schlichtweg politischen Willen. Als Bundeskanzler Olaf Scholz vor mehr als einem Jahr die "Zeitenwende"-Rede hielt, wusste jeder in der Bundeswehr, was dringend gebraucht wird. Das ist nicht nur Geld – und der Wille es auszugeben –, sondern auch eine Reform des Beschaffungsamts der Bundeswehr in Koblenz. Es stimmt mich allerdings optimistisch, dass mittlerweile deutsche Parlamentarier und auch Bürgerinnen und Bürger offen über den Krieg und die Unterstützung der Ukraine diskutieren können, ohne als Kriegstreiber abgestempelt zu werden. Solche Diskussionen, wie manchmal auch Streit, braucht es in einer offenen Gesellschaft.

Ist die Bedrohung, die Russland, China und andere aggressive Staaten wie etwa der Iran ausüben, aber tatsächlich überall in Deutschland verstanden worden? Während Polen massiv aufrüstet, ist die Bundeswehr immer noch "blank", wie es der Inspekteur des Heeres einmal ausgedrückt hat.

Deutschland kann etwas von Polen lernen – und zwar, dass man weit mehr tun muss, als nur über den Schutz europäischer Staaten, Bürger und Werte zu reden. Man kann eine Bedrohung durchaus ignorieren. Manchmal geht das längere Zeit gut, aber irgendwann muss man den Preis dafür zahlen. Die Geschichte lehrt uns eine unumstößliche Tatsache: Wenn man einen Konflikt verhindern will, muss man demonstrieren, dass man ihn zur Not gewinnen wird. Das hat noch nicht jeder verstanden. Wissen Sie, was die Menschen mir in Deutschland auf die Frage antworten, was die derzeit größte Bedrohung sei?

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Ich tippe auf die Klimakrise …

Richtig! Die Erderwärmung ist eine dramatische Gefahr, daran besteht kein Zweifel. Im Augenblick sind es aber die Russen, die massenweise Menschen töten. Das muss aufhören. Im Übrigen braucht es auch zur Bekämpfung der Klimakrise internationale Regeln, die das Papier wert sind, auf dem sie stehen. Russland hält sich allerdings nicht an Regeln.

Eine Frühjahrsoffensive der ukrainischen Armee wird jederzeit erwartet – kann sie der Anfang vom Ende dieses Krieges sein?

Wir wollen es hoffen. Ich bin gespannt, wann die Offensive beginnen wird. Der ukrainische Generalstab ist sehr gut darin, Informationen geheim zu halten – wahrscheinlich werden sie jetzt nach diesen sogenannten Pentagon Leaks noch vorsichtiger damit umgehen.

Wird die Halbinsel Krim das Ziel der ukrainischen Streitkräfte sein?

Die ukrainische Führung weiß sehr gut, dass ihr Land niemals sicher sein wird, solange Russland die Krim besetzt hält. Daher vermute ich, dass die Ukrainer versuchen werden, die Krim zu isolieren – indem sie die sogenannte Landbrücke von der Krim nach Russland durchbrechen, die ebenfalls aus besetztem ukrainischem Territorium besteht.

Die Krim selbst soll mittlerweile schwer befestigt sein.

Die Unterbrechung der "Landbrücke" würde einen großen Vorteil bewirken: Die ukrainische Armee kann dort Langstreckenwaffen heranführen, die Ziele auf der Halbinsel präzise angreifen. Das wird den Russen schwer zu schaffen machen. Die Krim wird dann irgendwann unhaltbar für Russland; ihre dort stationierten Drohnen, die Schwarzmeerflotte, alles werden sie abziehen müssen, wenn sie die Zerstörung vermeiden wollen. Es könnte noch vor Ende des Sommers passieren, dass die Krim unhaltbar wird. Alles hängt aber davon ab, dass der Westen den Ukrainern die Langstreckenwaffen liefert, die sie so dringend brauchen.

Alles hängt aber vom vorherigen Erfolg der Offensive ab.

Auch beim Erhalt der ukrainischen Panzertruppen hat der Generalstab hervorragende Arbeit geleistet. Das erfordert Nerven aus Stahl. Jetzt haben die Ukrainer auch westliche Panzer – und deren Mannschaften gut für den Einsatz ausgebildet. Wenn nun das Wetter stimmt, der Boden passt, und der Generalstab den Moment für gekommen hält, dann wird es losgehen.

Allerdings erwarten auch die russischen Generäle die Offensive.

Die Russen machen einen riesigen Fehler. Sie graben sich auf einer viele Hundert Kilometer langen Front ein – und verteilen ihre Ressourcen entsprechend. Diesen Gefallen werden ihnen die Ukrainer allerdings nicht tun, auf einer derart langgezogenen Front anzugreifen. Nein, sie werden versuchen, an einem ganz bestimmten Punkt durchzudringen. Wenn genug Druck an der richtigen Stelle ausgeübt wird, brechen sie zusammen. Das halte ich für durchaus realistisch.

Der Militärökonom Marcus Keupp hält ein Ende des Krieges im Oktober für möglich. Allerdings herrscht im Westen Furcht, was eine Niederlage Russlands im Land auslösen könnte.

Washington, Paris oder Berlin, überall stellt man sich die Frage, was passieren könnte, wenn Russland besiegt wird. Immer ist dann die Rede von den russischen Atomwaffen. Aber Atomwaffen sind eben nur dann nützlich, wenn man sie nicht benutzt.

Weil ihr Einsatz sich gerade für Russland angesichts der westlichen Reaktion als verheerend erweisen würde?

Ja. Putin wedelt gerne mit seinen Atomwaffen, aber die Gefahr, dass er sie einsetzt, ist recht gering. Er hätte keinen Nutzen davon angesichts des Risikos. Die Drohung mit Atomwaffen ist effektiver. Nehmen wir doch die angekündigte Stationierung von russischen Nuklearwaffen in Belarus. Das soll uns beunruhigen. Letztlich macht es aber faktisch wenig Unterschied, ob die Atomwaffen nun auf russischem Gebiet oder in Belarus sind.

Zu Beginn des Gesprächs haben Sie gesagt, dass die USA Europa nie vollständig den Rücken kehren werden. Mehr Selbstständigkeit in Sachen Verteidigungsbereitschaft würden die Vereinigten Staaten aber doch sicher begrüßen?

Absolut. Im Idealfall sollte Europa Russland in Schach halten können, wenn Kräfte der USA auch anderswo benötigt werden.

Herr Hodges, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Ben Hodges via Videokonferenz
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