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Russland: Ist der "Baltic Jammer" an GPS-Störungen im Ostseeraum schuld?


Massive GPS-Störungen im Ostseeraum
Das kann kein Zufall sein


04.04.2024Lesedauer: 5 Min.
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GPS-Störungen in weiten Teilen des Ostseeraums am 16. März 2024: Auf der Internetseite gpsjam.org werden solche Störungen kartiert.Vergrößern des Bildes
GPS-Störungen in weiten Teilen des Ostseeraums am 16. März 2024: Auf der Internetseite gpsjam.org werden solche Störungen kartiert. (Quelle: Screenshot gpsjam.org/t-online)

Immer häufiger kommt es im Ostseeraum zu GPS-Störungen. Mal fällt das System ganz aus, mal ist die Position fehlerhaft. Die Spuren deuten auf eine Ursache hin: den "Baltic Jammer".

Ein Alltag ohne GPS ist heutzutage kaum denkbar. Die meisten Menschen nutzen es für einfachste Aufgaben: etwa, um den kürzesten Weg zum nächsten Supermarkt zu finden oder die Route für die nächste Wanderung zu berechnen. In noch höherem Maße wird GPS in der Luft- und Schifffahrt genutzt. Doch ausgerechnet dort häufen sich die Probleme.

Seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine im Februar 2022 mehren sich die Klagen vor allem von privaten Fluggesellschaften über Störungen des GPS-Signals im Ostseeraum. Betroffen sind demnach vor allem der Luftraum Polens und des Baltikums, aber auch Südschwedens und des Nordostens von Deutschland. Mitte März soll gar das GPS-System des Flugzeugs des britischen Verteidigungsministers Grant Shapps gestört worden sein. Der Verdacht, den nicht nur die Briten äußern: Hinter den Störungen steckt eine konzertierte Aktion des russischen Militärs.

Nun verdichtet sich die Beweislage. Es wird vermutet, dass das russische Militär dazu einen mächtigen Störsender nutzt, der "Baltic Jammer" getauft wurde. Ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums teilt auf Anfrage von t-online mit: "Die anhaltenden Störungen des globalen Navigationssatellitensystems sind mit hoher Wahrscheinlichkeit russischen Ursprungs und basieren auf Störungen im elektromagnetischen Spektrum, unter anderem mit Ursprung im Oblast Kaliningrad."

"Es gibt keinen Zweifel mehr"

Auch die Osint-Spezialisten des X-Accounts "Markus Jonsson" sind sich sicher: "Es gibt keinen Zweifel mehr. Der 'Baltic Jammer' ist in Kaliningrad, an der Küste, glaube ich." Hinter diesem Pseudonym verbergen sich eine oder mehrere Personen, die durch Open Source Intelligence (Osint) Informationen aus öffentlich zugänglichen Quellen gewinnen und auswerten.

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Die Erkenntnisse der Spezialisten sind erstaunlich. Allein seit Ende Dezember habe es "Tausende Fälle" gegeben, bei denen die GPS-Positionsbestimmung ziviler und militärischer Flugzeuge gestört wurde. Anhand der Meldungen von Flugzeugcrews über Signalverluste haben die Experten die Dichte der sogenannten Funkhorizonte des Störsenders berechnet. Der Funkhorizont ist die Grenze des Bereichs, in dem ein Funksignal direkt auf einen Empfänger gesendet werden kann. Wegen der Erdkrümmung ist der Horizont unter anderem von der Höhe der Sendeantenne abhängig.

Ralf Ziebold, Leiter der Abteilung Nautische Systeme am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), hält diese Methode für sinnvoll. "Wie valide die Daten tatsächlich sind, kann ich jedoch nicht bewerten", sagt Ziebold t-online. Berichte über GPS-Störungen im Ostseeraum gebe es schon länger – und sie häuften sich etwa seit März 2022. "Dabei geht es vor allem um Ausfälle beim GPS-Equipment von Flugzeugen und Schiffen", so der Experte. Die Häufung der Störungen fällt etwa mit dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine zusammen.

Das Global Positioning System (GPS) ist ein satellitenbasiertes System zur Positionsbestimmung, das von den USA entwickelt wurde. Das europäische Pendant heißt Galileo.

Ralf Ziebold vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
(Quelle: Enno Kapitza)

Zur Person

Ralf Ziebold arbeitet am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Neustrelitz. Er leitet dort am Institut für Kommunikation und Navigation die Abteilung Nautische Systeme. Dort entwickelt sein Team unter anderem eine landbasierte Alternative zu satellitengestützten Systemen zur Positionsbestimmung.

Stimmen die Vorwürfe gegen Russland, würden sie abermals die Fähigkeiten des Kremls in Sachen elektronischer Kriegsführung unterstreichen. Das russische Militär gilt in diesem Bereich als weit fortgeschritten. Auf dem Schlachtfeld in der Ukraine macht sich das besonders beim Einsatz von Drohnen bemerkbar. Mehr dazu lesen Sie hier. Doch längst scheint Russland seine elektronische Kriegsführung über die Grenzen der Ukraine hinaus auszuweiten.

GPS-Störungen: "Jamming" und "Spoofing"

Die Internetseite gpsjam.org registriert und verzeichnet gemeldete GPS-Störungen auf einer öffentlich einsehbaren Karte. Dort ist zu sehen, an welchen Tagen und wo Störungen auftreten. Allein am 16. März 2024 waren demnach große Teile Polens und des Baltikums sowie die Ostsee zwischen Polen und Schweden von schweren Störungen betroffen. Selbst bis in den Nordosten Deutschlands hinein reichten die Störungen an diesem Tag.

Das Bundesverkehrsministerium teilt dazu mit, dass "sporadische" Störungen im nordöstlichen Luftraum Deutschlands bereits seit Dezember 2023 bekannt seien. Störungen in der Schifffahrt seien jedoch nicht bekannt. Auch die Bundesnetzagentur spricht auf Anfrage von t-online lediglich von Störungen im Luftraum, der Schiffsverkehr sei bisher nicht betroffen. Angesichts der Ausmaße der bei gpsjam.org vermerkten Störungen ist das zweifelhaft. Allerdings beschäftigen sich die Behörden auch nur mit Meldungen, die das deutsche Hoheitsgebiet betreffen.

Vorrangig gibt es zwei Arten von GPS-Störungen: das "Jamming" und das "Spoofing". Beim "Jamming" wird das Signal derart gestört, dass es beim Empfänger nicht mehr ankommt. Das GPS fällt aus. Das hat für den Angreifer den Nachteil, dass der Betroffene sofort die Störung erkennen kann. Anders beim "Spoofing": Hierbei wird ein manipuliertes GPS-Signal gesendet, das dann beim Empfänger eine falsche Position ausgibt. Diese Methode gilt als technisch deutlich anspruchsvoller, ist jedoch aus Sicht eines Angreifers effektiver, da die Störung nicht direkt erkannt werden kann.

Einfachste GPS-Störsender kommen übrigens auch im Alltag zum Einsatz. Zwar sind solche Geräte in der EU und auch den USA verboten. Dennoch sind sie über Umwege erhältlich. Manche Lkw-Fahrer nutzen solche Jammer, die leicht über den Zigarettenanzünder des Fahrzeugs betrieben werden können, um den im Lastwagen eingebauten GPS-Sender zu stören. So wird die Positionsbestimmung etwa durch den Auftraggeber vermieden.

"Dann stehen wir schnell vor großen Problemen"

"Die Auswirkungen der Störungen sind im Ernstfall gravierend", sagt DLR-Experte Ziebold. In der Luftfahrt könnte es brenzlig werden, wenn ein Flugzeug in einem Gebiet landen will, in dem das GPS-Signal gestört wird. "Überfliegt eine Maschine ein solches Gebiet lediglich und wird gestört, kann die Crew auch andere Instrumente zur Positionsbestimmung nutzen", so Ziebold. Anders in der Schifffahrt: "Man stelle sich vor, das GPS-System fällt aus und auf See herrscht schlechte Sicht. Dann kann es durchaus zu schweren Unfällen kommen."

Aber auch im normalen Alltag vieler Menschen könnten GPS-Störungen potenziell gravierende Folgen haben. Mit GPS-Signalen würden nämlich nicht nur Positionen, sondern auch die Zeit bis auf eine Nanosekunde werde genau bestimmt, sagt Ziebold. Das sei für mobile Datenübermittlung, aber auch für Finanztransaktionen wichtig, so der Experte. "Wenn diese Signale gestört werden, dann stehen wir schnell vor großen Problemen."

Sollte Russland tatsächlich hinter den Störungen stecken, so müsste der "Baltic Jammer" in Kaliningrad relativ große Ausmaße haben. DLR-Experte Ziebold eklärt: "Um in einem größeren Gebiet GPS-Signale stören zu können, braucht es zum einen eine entsprechende Sendeleistung, dazu jedoch auch eine Antenne, die möglichst hoch ist." Je höher die Antenne, desto größer ist auch der Radius, in dem GPS-Signale gestört werden können. Der Funkhorizont einer hohen Antenne ist also weiter als der einer niedrigeren.

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Bundeswehr: "Klar, haben wir das auch gemerkt"

Unterdessen werden bereits Gegenmaßnahmen ersonnen, um das Stören von GPS-Signalen zu verhindern. Ralf Ziebold entwickelt mit seiner Abteilung derzeit ein bodenbasiertes System, das die Positionsbestimmung etwa von Schiffen ohne Satelliten möglich macht. In drei Jahren könnte es in größerem Ausmaß angewandt werden. "Auch in Südkorea beschäftigt man sich wegen des langen Konflikts auf der koreanischen Halbinsel schon länger damit, Positions- und Zeitbestimmung resilienter zu machen", so der Experte. "Letztlich müssen wir anerkennen, dass Systeme, die wir für die Positions- und Zeitbestimmung nutzen, für uns als Gesellschaft besonders kritisch sind und dementsprechend robust gestaltet werden müssen."

Auch die Bundeswehr ist sich offenbar der Bedrohungslage bewusst. Militärische Bedarfsträger würden auf die Nutzung alternativer Navigationsverfahren hingewiesen, erfährt t-online aus dem Bundesverteidigungsministerium. "Klar, haben wir das auch gemerkt", sagte Ministeriumssprecher Arne Collatz bereits im Februar auf einer Pressekonferenz mit Blick auf GPS-Störungen im Baltikum. Militärische Systeme würden sich ohnehin nicht nur auf zivile Navigationssysteme verlassen, so Collatz. "Die Funktionsfähigkeit militärischer Strukturen bleibt erhalten."

Die Bundesnetzagentur teilt mit, dass Funkstörungen, deren Ursache außerhalb Deutschlands liegen, "grundsätzlich" in den Zuständigkeitsbereich des Staates fallen, "in dem sich die Quelle von Störungen befinden". Sollte sich die Einschätzung des Verteidigungsministeriums und der Experten bewahrheiten, wäre also Russland "zuständig". Dann gilt laut Bundesnetzagentur ein "festgelegter Meldeweg": "Über die Internationale Fernmeldeunion wird der zuständige Staat zur Ergreifung von Maßnahmen aufgefordert."

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Telefoninterview mit Ralf Ziebold
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