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Der letzte Tag der Dortmunder Traditionsbäckerei Dahlmann: "Feierabend für immer"


Abschied nach über 100 Jahren
Traditionsbäckerei schließt – "Feierabend für immer"

Von Sophie Schädel

Aktualisiert am 02.04.2022Lesedauer: 3 Min.
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Frau Dahlmann und das Geschäft in der Mallinckrodtstraße: Nach über 100 Jahren ist Schluss.Vergrößern des Bildes
Frau Dahlmann und das Geschäft in der Mallinckrodtstraße: Nach über 100 Jahren ist Schluss. (Quelle: Sophie Schädel)

Seit 1913 betrieb die Familie Dahlmann in Dortmund die Bäckerei und Konditorei in der Mallinckrodtstraße 30. Nun ist Schluss. t-online hat Annemarie Dahlmann an ihrem emotionalen letzten Tag begleitet.

Viele Dortmunder sagen nicht: "Ich gehe zur Bäckerei Dahlmann", sondern: "Ich gehe zu Frau Dahlmann". Woran liegt das? "Keine Ahnung, ich bin halt Frau Dahlmann", sagt sie selbstbewusst und lacht.

"Mein Mann ist immer hinten in der Backstube, den sehen die Kunden nicht so oft. Ich bin immer vorn am Tresen." Doch dahinter steckt mehr, denn Frau Dahlmann ist eine Institution in Dortmund. Jeder kennt sie, besonders hier in der Nordstadt.

Annemarie Dahlmann ist eine Frau mit recht brüsker Art, sie sagt sehr klar, was sie will, und verlangte stets viel von ihren Angestellten. Aber sie packte auch an, wenn jemand Hilfe brauchte. Einer ihrer Mitarbeiterinnen half sie, Deutsch zu lernen und eine Ausbildung zu finden. Wohnungslose bekamen in der Bäckerei zu essen. Und als am Tag der Schließung eine alte Frau nur etwas Kleingeld auf den Tresen legt, zählt Frau Dahlmann nicht nach. "Ach komm, gib ihr einfach zehn Brötchen", weist sie ihre Verkäuferin an.

Viele kommen am letzten Tag vorbei, um sich zu verabschieden. Frau Dahlmann bekommt Blumen und Präsentkörbe. Es bedanken sich Kunden in ihren 50ern, die schon als kleine Kinder das Dahlmann-Brot gegessen haben. Ein paar Tränen fließen. "Ihr habt mich mein ganzes Leben begleitet", sagt ein Kunde. "Du uns ja auch", antwortet Frau Dahlmann und fällt ihm um den Hals.

Die nächste Kundin ist extra hergekommen, um ein letztes Mal Dahlmanns Quarkbällchen zu kaufen. "Das sind meiner Meinung nach wirklich die besten in ganz Dortmund", sagt sie und kauft direkt alle, die noch da sind.

Seit über 100 Jahren traditionelles Backhandwerk

Die Geschichte der Bäckerei reicht um einiges weiter zurück als das Lebensalter derer, die sich heute verabschieden. An der Wand hängt ein Plakat, auf dem die Chronik des Familienunternehmens seit dem Jahr 1906 aufgelistet ist. Ein Foto von 1913 zeigt, wie die Filiale in der Mallinckrodtstraße öffnete. Daneben ist der Meisterbrief des heutigen Bäckers Bernd Dahlmann aus dem Jahr 1971 zu sehen, darunter ein Hochzeitsbild mit ihm und Annemarie von 1978.

Bis zum Schluss blieb die Bäckerei ein Traditionsunternehmen. "Wir stillen Ihre Sehnsucht nach echtem Handwerksbrot", stand viele Jahre auf einem Schild an der Bäckerei. Nun wird diese Aufgabe ein anderer übernehmen.

Die Bäckerei Beckmann führt diese Filiale der Dahlmanns weiter, genauso wie ihre zweite in der Robert-Koch-Straße 12 im Kaiserviertel. Und Beckmanns backen wie Dahlmanns noch selbst, statt nur Tiefgekühltes aufzuwärmen. Das war Frau Dahlmann wichtig. "Beckmann ist wirklich ein würdiger Nachfolger." Das hilft ihr, loszulassen. Genauso wie die Tatsache, dass alle Verkäuferinnen übernommen wurden und die Bäcker neue Jobs gefunden haben.

Rente nach Jahrzehnten mit 7-Tage-Woche

Traurig fühlt sich Frau Dahlmann an ihrem letzten Tag nicht, eher aufgekratzt wegen der vielen Aufregung. Und sie ist zufrieden mit dem Timing der Schließung. "Wir gehen wirklich auf den Punkt", betont sie. "Die Mehlpreise explodieren ja gerade. Die Energiekosten auch. Nein, nein, das ist schon gut so."

Außerdem falle jetzt vieles von ihr ab. Ihr Mann ist 73 Jahre alt, sie ist 65. Und trotzdem meisterte die zupackende Dame die körperliche stark beanspruchende Arbeit bis zum Schluss. Um 4 Uhr ging es jeden Morgen los, um 5 öffnete der Laden. Frau Dahlmann stand hier stets 12 Stunden, manchmal länger. Und das an sieben Tagen die Woche.

Sie und ihr Mann wollen nun noch etwas vom Leben haben, den aufkommenden Frühling als Rentner genießen. Sie ziehen ins nahe gelegene Werne und genießen dort die Ruhe, die sie an der trubeligen, immer lauten Mallinckrodtstraße nicht hatten.

"In den Urlaub fahren wir nicht. Ich könnte jetzt nicht den Strand genießen, während in der Ukraine die Leute in U-Bahn-Stationen ausharren müssen." Aber zumindest für ihren ersten freien Morgen hat sie einen Plan. "Ich gehe direkt um 8 Uhr schwimmen."

Doch vorher muss sie noch die letzten Brötchen schmieren, die letzten Kuchen verpacken, die letzten Croissants verkaufen. Ihre finale Amtshandlung ist am Abend, die Tür hinter sich abzuschließen. "So, dann ist Feierabend", sagt sie und stemmt die Hände in die Hüfte. "Feierabend für immer."

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen und Gespräche vor Ort
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