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Kiel: Wohnungsnot – Der Kampf um bezahlbare Wohnungen


Große Nachfrage
Wohnungsnot in Kiel – wer's günstig will, muss lange warten

Von Sven Raschke

Aktualisiert am 03.10.2020Lesedauer: 4 Min.
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Ein Altbau in Kiel (Archivbild): In Kiel soll es immer mehr kleine Haushalte geben.Vergrößern des Bildes
Ein Altbau in Kiel (Archivbild): In Kiel soll es immer mehr kleine Haushalte geben. (Quelle: Shotshop/imago-images-bilder)

In Kiel sind Wohnungen knapp – obwohl hier immer weniger Menschen leben. Das lässt viele Bewohner verzweifeln. Wie kann das sein?

Auf dem Wohnungsmarkt in Kiel brodelt es. Es fehlen vor allem Sozialwohnungen. Mit verschiedenen Projekten will die Stadt dem Mangel Herr werden. Doch Kritikern gehen die Pläne längst nicht weit genug.

Faiçal El Kassab (52) wohnt mit seiner Frau und den beiden Kindern in der Wik nahe des Holstein-Stadions. 1.200 Euro warm für 90 Quadratmeter in einem Mehrparteienhaus. Ziemlich teuer, findet El Kassab. Durch die Fenster zieht es, aber der Vermieter findet immer wieder Ausreden, warum sich da nichts machen lasse. Und wenn Spieltag im Stadion ist, gestaltet sich die Parkplatzsuche wie ein Glücksspiel mit der Knöllchen-Behörde.

Die Familie würde deshalb gern umziehen. Doch das ist auf dem Kieler Wohnungsmarkt nicht so einfach. "Wir haben ein dreiviertel Jahr lang nach etwas Neuem gesucht", sagt El Kassab. "Wir wollen auf dem gleichen Niveau bleiben, mit guter Schullage und Nähe zur Arbeit in der Stadt. Und wenn möglich, etwas günstiger. Aber man findet einfach keine großen Wohnungen für eine Familie mehr. Und alles andere ist sogar noch teurer als das, was wir jetzt haben."

Mit ihrer verzweifelten Suche nach einer passenden Wohnung ist Familie Kassab in Kiel keine Ausnahme. Ist endlich doch etwas gefunden, konkurriert der Suchende in der Regel mit einer Vielzahl anderer Interessenten.

Zahl der Sozialhilfeempfänger steigt

Das Problem, das Kiel mit den meisten großen Städten in Deutschland teilt: Es gibt zu wenig Wohnungen. Wie der kürzlich veröffentlichte aktuelle Sozialbericht der Stadt offenlegt, waren 2019 1.156 Menschen wohnungslos gemeldet. Das sind etwa 150 mehr als noch 2018. Gerwin Stöcken, Wohnungsdezernent der Stadt, bestätigt im Sozialbericht: "Die Nachfrage nach Wohnraum überschreitet das Angebot teilweise. Vermieter können unter den Interessierten aussuchen." Und das, obwohl die Gesamtzahl der Wohnungen gestiegen ist – bei gleichzeitigem leichtem Rückgang der Bevölkerungszahl. Wie passt das zusammen?

"Wir haben immer mehr kleinere Haushalte in Kiel", erklärt Ann Sophie Mainitz, Geschäftsführerin des Kieler Mietervereins. 56 Prozent der Wohnungen werden mittlerweile nur von einer Person bewohnt. Auch der stetige Zuzug von Studenten macht laut Sozialbericht bezahlbaren Wohnraum in Universitätsnähe immer knapper. Und obwohl die Arbeitslosenzahlen in den vergangenen Jahren kontinuierlich gesunken sind, steigt zugleich die Zahl der Sozialhilfeempfänger – und damit die der Räumungsklagen sowie der Anträge auf Mietschuldenregulierung. Die Corona-Krise könnte diese Probleme künftig noch weiter verschärfen.

Vor allem Männer sind betroffen

Betroffen von der Wohnungsnot sind vor allem Menschen mit niedrigem Einkommen und zu 90 Prozent Alleinstehende, in aller Regel Männer. Mit einer Online-Befragung von Tausenden Haushalten will die Stadt nun den aktuellen Mietspiegel erheben. Wohnungsdezernent Stöcken hofft, dass die Ergebnisse zur Fairness auf dem Wohnungsmarkt beitragen.

Das eigentliche Problem sieht Ann Sophie Mainitz im Mangel an Sozialwohnungen, der sich auch auf den übrigen Wohnungsmarkt auswirke: "Wenn sich die Anzahl der Transferleistungsempfänger in Kiel Jahr für Jahr erhöht und diese auf noch bezahlbaren Wohnraum auf dem freien Markt ausweichen, wird hier die Konkurrenz größer. Es entsteht eine sehr hohe Nachfrage bei einem sehr kleines Angebot – was die Mietpreise in die Höhe treibt."

Bauen gegen den Mangel

Um dem Mangel Herr zu werden, wird in Kiel fleißig gebaut. 2019 wurden rund 1.000 Wohnungen fertiggestellt und damit fast dreimal so viele wie im Vorjahr. Auch die Zahl der fertiggestellten Sozialwohnungen (239) ist um 61 Prozent gestiegen.

Damit sich diese Entwicklung fortsetzt, wurde Ende 2019 von der Stadt die Kieler Wohnungsgesellschaft (KiWoG) gegründet. Erklärtes Ziel der KiWoG ist es, in den nächsten Jahren bezahlbaren Wohnraum besonders für Familien und Menschen mit geringem Einkommen zu schaffen. Das erste große Vorzeigeprojekt der KiWoG: Marthas Insel.

Bis voraussichtlich 2022 sollen am Ende der Marthastraße nahe den Bahngleisen auf 1,4 Hektar 240 Wohnungen entstehen. "Fast die Hälfte der neuen Wohnungen sind geförderter und damit bezahlbarer Wohnraum", heißt es dazu vom Oberbürgermeister. Doch gegen das Projekt gibt es auch Protest: Anwohner forderten einen höheren Anteil an Sozialwohnungen.

Ein weiteres Wohnquartier soll auf einer bisher landwirtschaftlich genutzten Fläche westlich des Steenbeker Moors am Olof-Palme-Damm entstehen. Hier sollen einmal 800 Wohnungen Platz finden – davon 30 Prozent Sozialwohnungen.

Reicht das?

Für den Kieler Mieterverein ist das nicht genug. "Mit ihren Projekten ist die KiWoG auf dem richtigen Weg", sagt Geschäftsführerin Mainitz zu. "Aber auch wenn wir jetzt eine vermehrte Bautätigkeit haben, reicht das bei weitem nicht aus. Es muss vor allem viel mehr bezahlbare Wohnungen geben." Zur Zeit stünden rund 6.000 Sozialwohnungen in Kiel. "Um den Bedarf zu decken, müssten es mindesten 15.000 sein."

Einen naturgemäß ganz anderen Blick auf die Wohnungsmarktsituation hat Sönke Bergemann. Der Geschäftsführer des Eigentümervereins Haus & Grund in Kiel hört das Wort Wohnungsnot nicht gern: "Aus unserer Sicht gibt es das in Kiel gar nicht." Irgendwo könne jeder irgendetwas finden – nur eben nicht unbedingt das Wunschobjekt am Wunschort, sagt er.

Die mittlere Miete in Kiel liegt nach Angaben von "Haus & Grund" bei 6,50 Euro pro Quadratmeter. Bei Sozialwohnungen sind es 5,90 Euro. Kein wesentlicher Unterschied, wie Bergemann meint. Allerdings: Die 6,50 Euro gelten hauptsächlich für Bestandsmieten. Bei Neubauten oder neuen Verträgen liegt der Preis in aller Regel deutlich darüber.

Familie Kassab aus der Wik nützt der vergleichsweise moderate Bestandsmietenpreis daher wenig. Faiçal und seine Frau haben die Wohnungssuche mittlerweile aufgegeben. "Obwohl wir unzufrieden sind, ist es in unserer jetzigen Wohnung immer noch besser als alles, was wir finden konnten", sagt Faiçal Kassab resignierend. Ihr jetziger Vermieter ist dabei, das Haus zu verkaufen. Vielleicht, so hoffen die Kassabs, wird sich dann ja etwas ändern. Die Frage ist nur, ob ihnen das Resultat gefallen wird.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Faiçal El Kassab
  • Gespräch mit Gerwin Stöcken, Ann Sophie Mainitz, Sönke Bergemann
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