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Dortmund | Wegen Angriffsserie: Bei Obdachlosen geht die Angst um


Betroffene berichten von Brutalität
Bei Obdachlosen geht wegen Angriffsserie die Angst um


13.04.2024Lesedauer: 3 Min.
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Ein Obdachloser sitzt mit seinen gesamten Habseligkeiten auf einer Bank (Archivbild): In Dortmund geht wegen der Angriffsserie die Angst um. (Quelle: Anja Cord/imago-images-bilder)

Dortmund wird von einer Serie brutaler Angriffe auf Obdachlose erschüttert. Unter ihnen ist das längst Gesprächsthema. Ein Besuch in der Suppenküche.

Am Freitag gibt es Elfis Erbsensuppe. Eigentlich beginnt die Essensausgabe erst um 12 Uhr, aber bereits um 11 stehen die ersten an der Dortmunder Suppenküche an der Mallinckrodtstraße Schlange. Auch Michael. Leicht ist es nicht, ins Gespräch zu kommen. Die Armen und Obdachlosen, die sich hier einfinden – oft sind es bis zu 300 – sind skeptisch. Dass jemand Fremdes sie mit gutem Willen anspricht, sind viele nicht gewohnt.

Doch Michael ist neugierig, worum es geht. Die Gewalttaten gegen Wohnungs- und Obdachlose in Dortmund? Ja, davon hat er gehört. "Die Angst hat zugenommen. Alle verstecken sich noch mehr", sagt er. Die Fußgängerzone sei kein sicheres Pflaster, auch wenn dort mehr Passanten unterwegs seien. "Hilft am Ende doch eh keiner", sagt er.

Serie brutaler Angriffe

Die Serie brutaler Angriffe, bei der sogar Menschen ums Leben kamen, hat sich in Dortmund herumgesprochen. Manche kannten die Opfer persönlich. Anfang April wurde ein 31 Jahre alter Obdachloser am Dortmunder Hafen von einem 13-Jährigen erstochen. Die tödliche Messerattacke wurde mit einem Handyvideo dokumentiert.

Ebenfalls Anfang April versuchte ein noch Unbekannter, das Nachtlager einer 72-jährigen obdachlosen Frau in Brand zu setzen. Die Mordkommission ermittelt wegen versuchter Tötung. Nicht die einzigen Taten: Im vergangenen Jahr wurden mehrere wohnungslose Menschen im Bereich der Brückstraße von Rechtsextremisten angegriffen. Die Liste ließe sich weiter fortführen.

Obdachloser: "Angreifer werden jünger"

"Früher war es so: Wenn du Ärger wolltest, hast du Ärger gekriegt. Mittlerweile musst du Angst haben, auch wenn du dich friedlich verhältst. Die Angst geht um", sagt Andi, der auch auf der Straße lebt. Die Gefahren kämen dabei von unterschiedlichen Seiten, kaum an einem Ort fühle man sich noch sicher. "Es wird untereinander geklaut und wenn du dann gerade mit dem Schlafsack einen Ort gefunden hast, verscheucht dich das Ordnungsamt", sagt der Dortmunder. Nicht nur von den Behörden fühle er sich so behandelt, als sei er nichts wert.

"Die Pöbler und Angreifer werden jünger und immer häufiger sind auch Messer im Spiel", berichtet Andi. Wenn er einen sicheren Platz gefunden hat, verliert er kein Wort darüber. "Besser außerhalb, in der Nähe von Vereinsheimen oder Kleingartenanlagen", verrät er nur. Manche Obdachlose tun sich bewusst in Gruppen zusammen, um sich so gegenseitig vor Angriffen zu schützen. "Aber dann wird im nächsten Moment der Schlafsack geklaut oder die Prügelei geht wegen Pfandflaschen los", sagt Andi. Aus seiner Sicht braucht es mehr sichere Schlafplätze.

Verrohung der Gesellschaft

Übernachtungsmöglichkeiten für Obdachlose gibt es in Dortmund an verschiedenen Stellen. Die Notschlafstelle des Sozialen Zentrums Dortmund verfügt beispielsweise über 20 Schlafplätze, 16 davon für Männer und vier separate Plätze für Frauen. In der Männerübernachtungsstelle an der Unionstraße gibt es 55 Schlafplätze. "Manchmal sind die überbelegt", sagt Andi. Manche würden die Schlafstellen auch meiden, aus Angst, beklaut zu werden.

"Ich denke, die allgemeine Verrohung der Gesellschaft hat etwas damit zu tun, dass die Gewalt schlimmer wird", sagt Thomek. Er arbeitet ehrenamtlich in der Suppenküche und ist nah dran an der Stimmung unter den Wohnungslosen. "Hier geht es manchmal auch heiß her, da fliegen die Fäuste", berichtet er. Eine Rolle spiele es auch, welcher Zeitpunkt im Monat es sei. "Anfang des Monats sind die Leute noch entspannter, dann ist bei manchen noch Geld da", sagt er.

Konkurrenz nimmt zu

Die Konkurrenz untereinander sei spürbar schlimmer geworden. "Es sind einfach mehr Wohnungslose. Viele sind auch aus anderen Ländern gekommen", sagt Thomek. Tatsächlich belegen offizielle Statistiken, dass die Zahlen gestiegen sind. So hoch wie Mitte der 90er-Jahre sind die Wohnungslosenzahlen in Deutschland zwar nicht mehr. Damals waren es mehr als 900.000. Aber während im Jahr 2008 noch 227.000 Wohnungslose gezählt wurden, waren es 2016 bereits 422.000, hinzu kamen 436.000 anerkannte wohnungslose Flüchtlinge.

Dortmund gehört zu den Städten in NRW mit der höchsten Anzahl wohnungsloser Menschen. Knapp 2.000 sollen es sein, 500 bis 600 davon ganz ohne Obdach. Der Rest kommt beispielsweise bei Freunden unter, zählt dann aber dennoch als wohnungslos. "Nicht nur die Konkurrenz untereinander, allgemein in der Gesellschaft neidet man sich immer mehr", sagt auch Lamin, der am Freitag zum Erbseneintopf-Essen gekommen ist. Wenn es allen Menschen besser gehe, so hofft er, trete man auch nicht mehr nach den Schwächeren. "Aber das wird lange dauern und die Politik ist gefragt", sagt er. Bis dahin versteckt auch er sich lieber noch ein bisschen besser als sonst.

Verwendete Quellen
  • Reporterin vor Ort
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