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Start-up aus Kiel: Biomüll als nachhaltiger Plastik-Ersatz


Unternehmen aus Kiel
Biomüll als nachhaltiger Plastikersatz

Von Sven Raschke

12.07.2021Lesedauer: 4 Min.
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Vom Kirschkern zum fertigen Produkt: Aus Kirschkernen kann etwa Öl für Kosmetik gewonnen werden, oder die Schalen werden zum Grundstoff für Gefäße wie Tassen.Vergrößern des Bildes
Vom Kirschkern zum fertigen Produkt: Aus Kirschkernen kann etwa Öl für Kosmetik gewonnen werden, oder die Schalen werden zum Grundstoff für Gefäße wie Tassen. (Quelle: Sven Raschke/leer)

Ein Unternehmen in der Nähe von Kiel will aus Kaffeebohnen, Kirschkernen und Holzresten nachhaltige Alternativen zu Plastik schaffen. Der Weg dahin ist mit zahlreichen Hindernissen gepflastert.

Die Kunststoffverpackung ist das Erste, was im Müll landet, aber häufig zugleich das Produkt, mit dem die Natur am längsten zu kämpfen hat. Ein offensichtliches Problem und ein Widerspruch, den ein junges Unternehmen nahe Kiel auflösen möchte.

Torben Schierbecker arbeitet in Felde an alternativen Materialien: möglichst nachhaltige, im besten Fall komplett kompostierbare Grundstoffe nicht nur für Verpackungen, sondern für alle möglichen Produkte, die klassischerweise aus Plastik hergestellt werden. Den Weg dahin allerdings erlebt er als mühseligen Kampf gegen komplizierte Vorschriften und festgefahrene Strukturen.

Vom Kirschabfall zum Kaffeebecher

Ein gutes Beispiel für Schierbeckers Arbeit sind Kirschkerne. 150 Tonnen bekommt er davon jedes Jahr aus ganz Europa geliefert. Als Reststoff werden die Kerne üblicherweise einfach verbrannt. Bei Schierbecker finden sie gleich mehrfach Verwendung. Von Kirschresten gereinigt wird daraus Kirschkernöl gewonnen. Der Geruchstest in der Werkstatt in Felde offenbart: Riecht wie Marzipan. Und findet entsprechend als Ersatzstoff oder natürlicher Geschmacksverstärker Verwendung – oder als Bestandteil von Kosmetikprodukten.

Die Blausäure im Inneren des Kerns ist nützlich für die chemische Industrie, die Schalen dienen als Kissenfüllung. Unterschiedlich fein gemahlen wird aus dem Kirschkern, so das Ziel, schließlich ein Kunststoffersatz, aus dem sich dann etwa Verpackungen, Behälter oder Kaffeetassen formen lassen. Die Verbrennung zur Wärmegewinnung ist für Schierbecker die letzte Option.

Hersteller und Kunden müssen sich an die neuen Produkte gewöhnen

Auf dem Weg zum fertigen Produkt arbeitet Schierbecker mit Annika Frye zusammen. Der Unternehmer und die Industriedesignerin haben über die Vermittlung des Muthesius Transferparks zueinandergefunden, einem Projekt der Kieler Kunsthochschule, das Verbindungen zwischen Wirtschaft und Forschung schaffen will, und das mit dem Fokus auf Nachhaltigkeit.

Frye arbeitet gerade zusammen mit Schierbecker und dem Kieler Start-up Oceanbasis an einer nachhaltigen Kosmetikverpackung aus Algen. "Damit könnten wir beweisen, dass es wirklich geht", sagt Schierbecker. Frye erklärt: "Wenn man so einen Biokunststoff hat, fühlt er sich anders an, riecht vielleicht auch noch nach Alge. Viele Designer würden das als Verunreinigung ansehen."

Nachhaltiger Look ist modern

Nicht so Frye und Co. Die Herausforderung für sie: Die Verpackung so zu gestalten, dass auch andere als wertvoll betrachten, was in der klassischen Designer-Denke als Mangel gilt: das nicht Perfekt-Glatte, Unregelmäßige, dem man seinen natürlichen Ursprung ansieht.

"Da muss man sehr viele bisherige Grenzen und Sehgewohnheiten überwinden", sagt Frye. "Im Design haben diese Fragen noch keine lange Tradition. Leute, die das gemacht haben, galten anfangs als Ökofreaks." Doch das ästhetische Verständnis ändere sich gerade. "Ein nachhaltiger Look ist heute hip. Produkte, die eine Ehrlichkeit ausstrahlen, werden heute bevorzugt."

Zahlreiche Vorschriften und viele Fragezeichen

Die Experimente zur Kompostierbarkeit der Algenverpackung laufen gerade an. Frye: "Man muss so ehrlich sein: Im Moment gibt es noch keine Kompostierungsanlagen, die Biokunststoffe entsprechend verwerten können – außer sie zu verbrennen. Aber das liegt nicht am Biokunststoff, sondern an den Anlagen, die dafür noch nicht ausgelegt sind."

Schierbecker und Frye stehen mit ihren Bemühungen, wie sie selbst sagen, noch ganz am Anfang. Zahlreiche Fragen seien noch offen, so Schierbecker, der Weg zum Ziel sei gespickt mit verschiedensten Hürden. "Wenn das ein Marathon wäre, wären wir vielleicht auf Kilometer acht. Und auf jedem Kilometer treffen wir auf neue Hindernisse."

Wertstoff statt Abfall

Denn nicht nur beim Kunden gilt es, alte Gewohnheiten zu überwinden. Wieder das Beispiel der Kirschkerne: Damit ein Hersteller seine Kerne an Schierbecker zur Weiterverarbeitung abtreten darf, muss er sie statt als Abfallstoff als Wertstoff deklarieren. Das allerdings, so Schierbecker, sei mit zahlreichen Vorschriften verbunden, die es den Unternehmen schwer machten.

Viel zu verdienen gibt für die Unternehmen an den Resten meist nicht, weshalb sie sich im Zweifel häufig gegen den Aufwand entscheiden würden. "Ich würde mir wünschen, dass die Einstiegshürden für Unternehmen wie uns einfacher zu überwinden sind, damit wir für die Produktentwicklung leichter an entsprechende Materialien kommen", sagt Schierbecker.

Strenge Regeln in der Experimentier-Werkstatt

Wenn ein Wertstoff es schließlich bis in die Experimentier-Werkstatt in Felde geschafft hat, warten schon die nächsten Vorschriften. So müssen etwa Materialien, die in Kontakt mit Lebensmitteln kommen, extra strenge Regeln befolgen und zahlreiche Tests bestehen. Aus Verbrauchersicht durchaus verständlich. "Aber das ist aufwendig und teuer und für kleine Start-ups ein echtes Hindernis", so Schierbecker.

Und dann bleibt am Ende noch die Frage der Wirtschaftlichkeit: Rechnet sich nach all den Mühen die Herstellung? Können die recycelbaren Materialien gegen die billige Konkurrenz aus Plastik am Markt bestehen? "Die endgültigen Kosten sind noch sehr unklar", sagt Schierbecker, "genau wie vieles andere."

Trotz aller Unsicherheit ist Torben Schierbecker insgesamt optimistisch: "Uns unterstützt ein gewisser gesellschaftlicher Wandel, der es uns leichter macht als noch vor einigen Jahren." Zudem erhält er Förderung von der Kieler Initiative "Kreative Stadt". "Was uns antreibt", so Schierbecker, "ist, die nächsthöhere Stufe zu finden: Wie weit können wir die Wiederverwertbarkeit vorantreiben, um am Ende eine echte Kreislaufwirtschaft zu schaffen?"

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Torben Schierbecker und Annika Frye
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