Studie aus Bremerhaven Deshalb steckt im üblichen Klimamodell nur die halbe Wahrheit

Die globalen Temperaturen steigen. So weit nichts Neues. Doch nicht nur der kontinuierliche Anstieg setzt der Nordsee zu, so Forscher aus Bremerhaven.
Neue Studien zeigen: Hitzewellen in der Nordsee haben das Potenzial, das marine Ökosystem grundlegend zu verändern. Zu diesem Schluss kommen Forscher der Biologischen Anstalt Helgoland des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) aus Bremerhaven. Sie haben in mehreren Studien untersucht, wie sich plötzliche Temperaturanstiege auf das Plankton auswirken. Das teilte das AWI am Freitag mit.
Die Wissenschaftler analysierten langfristige Temperaturreihen und simulierten künftige Klimaszenarien in sogenannten Mesokosmen, also einem für die Forschung extra separierten Teil des Ökosystems. Das Ergebnis: Während die allmähliche Erwärmung das Artenspektrum hin zu kleineren, wärmeliebenden Arten verschiebt, verschärfen plötzliche Hitzewellen diesen Wandel deutlich. Besonders betroffen ist das mittelgroße Zooplankton, zu dem unter anderem Ruderfußkrebse gehören. Einige Gruppen schrumpfen, andere breiten sich aus.
Zwei Szenarien – und ein beunruhigendes Ergebnis
Im Versuch setzten die Forscher Planktongemeinschaften zwei Szenarien aus: den heutigen Bedingungen und jenen eines Klimaszenarios, das eine globale Erwärmung um vier Grad bis 2100 vorsieht. In beiden Fällen fügten sie eine fünftägige Hitzewelle hinzu.
Die Ergebnisse zeigen unter anderem, dass bestimmte Bakterienarten der Gattung Vibrio von den Veränderungen profitieren, da sie sich bei höheren Wassertemperaturen schneller vermehren und dadurch die Zusammensetzung der mikrobiellen Gemeinschaft beeinflussen.
Beim Phytoplankton bleiben die Mengen hingegen stabil, die Zusammensetzung verschiebt sich jedoch zu kleineren Arten. Besonders wärmeliebende Gruppen wie Phytoflagellaten und Coccolithophoriden nehmen zu.
Beim Zooplankton beobachten die Forscher unter wärmeren Bedingungen einen Biomasseverlust. Das leuchtende Meeresorganismus Noctiluca scintillans gehört zu den Verlierern. Studienleiter Dr. Cédric Meunier betont: "Die Auswirkungen von Hitzewellen reichen bis in die Grundlage des Nahrungsnetzes."
Veränderungen haben weitreichende Folgen für die Nordsee
Seit 1962 hat sich die Nordsee um 1,9 Grad erwärmt – das entspricht etwa der doppelten globalen Durchschnittserwärmung im gleichen Zeitraum. Das Team nutzte unter anderem die Datenreihe Helgoland Reede, eine der längsten marinen Umweltzeitreihen weltweit. Demnach treten Hitzewellen immer häufiger und länger auf, besonders im Spätsommer.
Die Forschung verdeutlicht demnach: Klimamodelle, die nur auf Durchschnittstemperaturen setzen, greifen zu kurz. Auch kurzfristige Extremereignisse wie Hitzewellen müssen in die Prognosen einfließen.
Denn sie können die Basis mariner Ökosysteme massiv verändern – etwa durch eine veränderte Verfügbarkeit von Nahrungsquellen für Jungfische oder das Verschwinden temperaturanfälliger Arten wie des Herings, was langfristig die Fischbestände in der Nordsee beeinträchtigen kann.
- awi.de: Mitteilung vom 23. Mai 2025