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Corona/Mainz: Arbeit im Hospiz – zwischen Nähe und Distanz


Alltag im Hospiz
Wie arbeitet es sich dort, wo andere sterben?

Von Sophia Allenstein

29.12.2020Lesedauer: 4 Min.
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Der Flur eines Hospizes (Symbolbild): Herausforderung in den Einrichtungen ist der Mittelweg zwischen Empathie und Distanz.Vergrößern des Bildes
Der Flur eines Hospizes (Symbolbild): Herausforderung in den Einrichtungen ist der Mittelweg zwischen Empathie und Distanz. (Quelle: Wassilis Aswestopoulus/imago-images-bilder)

Brigitte Gruner arbeitet, wo andere ankommen, um zu sterben. Nur etwa drei Wochen bleiben die Bewohner des Christophorus-Hospizes im Schnitt. Ihre Betreuung erfordert eine ruhige Handhabe in Krisensituationen – und das richtige Maß an Nähe und Distanz.

Eine Antikanrichte, ein Ohrensessel und Blumentöpfe – wer zum ersten Mal das Christophorus-Hospiz in Mainz betritt, den mag die heimelige Atmosphäre verwundern. Klinische Kühle sucht man vergebens, stattdessen stößt der Besucher im Aufenthaltsraum auf eine gemütliche Sitzecke und breite Fensterfront. Die klinische Kühle in Krankenhäusern, meint Brigitte Gruner, habe sie auch zu ihrem Job im Hospiz gebracht. Ein tiefergehender persönlicher Kontakt fehle oft im Krankenhaus, der Mensch sei dort nur eine Nummer.

Gruner, 53 Jahre, mit kurzen grauen Haaren, Rundschal und freundlicher runder Brille, wollte näher am Menschen sein. Dem Tod war sie bereits als Krankenschwester in Notaufnahme- und Erste-Hilfe-Stellen begegnet. Aber den Zwiespalt zwischen einer kurativen, auf Heilen und Retten ausgerichteten Medizin und den Bedürfnissen eines Sterbenden nach Begleitung und Nähe habe sie irgendwann nicht mehr ausgehalten. Nachdem die gebürtige Mannheimerin Kranke in Kliniken in Berlin, Oldenburg und Mannheim versorgt hatte, begann sie zunächst ehrenamtlich einen Kurs als Hospizbegleiterin. Als das Ehrenamt nicht genügte, sattelte sie hauptberuflich um. Gruner half, die ambulante Versorgung von lebensbedrohlich Erkrankten im Rheinhessischen aufzubauen, arbeitete für einen Zusammenschluss mehrerer Pflegedienste. 2011 dann der Wechsel in das stationäre Christophorus-Hospiz, 2013 übernahm sie die stellvertretende pflegerische Leitung.

Das Christophorus-Hospiz ist mit seinen acht Zimmern und 18 Pflegekräften weit von der Oberflächlichkeit und Hektik großer Kliniken entfernt. Im Tag- und Nachtdienst beaufsichtigen nach Möglichkeit zwei Pflegekräfte die acht Hospizbewohner. "Wenn der Mensch im Mittelpunkt steht, braucht es den Betreuungsschlüssel auch", erklärt Gruner, besonders bei zeitintensiven Tätigkeiten wie Verbandswechseln. Die Zuwendung der Palliativpflegekräfte beschränkt sich zudem nicht nur auf körperliche Pflege. "Wenn die Seele zwickt, kann man nicht sagen: Ich komme dann in zwei Stunden wieder." Da brauche es einen sofortigen Zuhörer.

Zwischen Empathie und Distanz

Tragische Schicksale, Traumata, verpasste Gelegenheiten: Ihr Beruf konfrontiert die stellvertretende Leiterin regelmäßig mit emotional belastenden Situationen. Die Mehrheit der Patienten, Gruner nennt sie in Abgrenzung zum Klinikjargon "Gäste", kommt mit Krebserkrankungen im Endstadium in Bauchspeicheldrüse, Lunge oder Brust. Eine weit fortgeschrittene, lebensverkürzende Krankheit ist Teil der Aufnahmekriterien. Ebenso wie die Notwendigkeit einer durchgängigen Betreuung. Die Palliativkräfte balancieren bei der Betreuung daher auf dem schmalen Grat zwischen Empathie und Distanz. Zu ihrem eigenen Schutz. Gruner sagt, sie begleite und betrachte das Leben der Anderen. Sie erhalte Einblicke in Familienkonstellationen, Biografien, Geschichten. Aber sie mache die Geschichten nicht zu ihren eigenen. Ihr Ziel ist ein Ernstnehmen und Begleiten der Gäste – ohne ihren Schmerz mitzufühlen.

Aller Traurigkeit zum Trotz ist das Hospiz für sie ein Ort der Lebendigkeit. "Wir sind hier kein Haufen Trauerklöße", sagt Gruner. "Hier wird gelacht, hier wird gelebt, hier wird Musik gemacht. Im Angesicht der begrenzten Tage erst recht." Für das Team sei es wichtig, die begrenzte verbleibende Zeit gut zu nutzen. Die gelernte Krankenschwester sieht sich selbst als positiv eingestellten Menschen – die vielen Lachfältchen rund um die Augenwinkel geben ihr recht. Ihren Lebensoptimismus habe sie auch während der Auseinandersetzung mit Not und Elend nicht verloren: Sie versuche, allen Situationen etwas Positives abzugewinnen.

Neulich etwa verrannte sich eine Hospizbewohnerin in ihrer Angst wie in einer Einbahnstraße. Die alte Dame konnte wegen eines Tumors die rechte Hand nicht mehr bewegen. Dann begann auch die linke zu kribbeln. Sich in den letzten Tagen noch füttern lassen? Für die alte Dame undenkbar. Gruner gelang es, ihre Wahrnehmung wieder auf den Augenblick zu lenken. Denn aus Furcht vor dem Verlust ihrer Selbstständigkeit hatte die Dame völlig außer Acht gelassen, dass ihre Linke trotz Kribbeln noch voll einsatzfähig war.

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Sorge für andere und sich selbst tragen

Den Job einer Palliativpflegekraft, räumt Gruner aber ein, könne nicht jeder machen. Dafür brauche es eine gefestigte Persönlichkeit, meist gekoppelt an eine gewisse Lebenserfahrung sowie eine gute Erdung. Die 53-Jährige selbst strahlt diese Bodenständigkeit aus – gemeinsam mit einer herzlichen Offenheit und einer Prise Pragmatismus. Einen Ausgleich zu den emotional fordernden Arbeitstagen schafft sie sich mit langen Spaziergängen mit ihrem Hund, die Natur helfe bei der mentalen Regeneration. Und der Gedanke an einen Fluss des Lebens, der weitergehe, egal was passiert – das habe etwas Beruhigendes an sich.

Der Alltag im Hospiz erfordert zudem eine Sensibilität für die eigenen Grenzen. "Was das Arbeiten an diesem Ort mitbringt, ist die Erkenntnis: Wir sind alle verletzlich", sagt Brigitte Gruner. "Und zu unseren Aufgaben gehört nicht nur, für andere da zu sein und zu versorgen, sondern auch Sorge für uns selbst zu tragen." Als Konsequenz ist Gruner bemüht, Überstunden für sich und ihr Team zu minimieren und die psychische Gesundheit zu schonen. Zumindest wenn akute Notfälle dies nicht verhindern. Von einer Verausgabung profitiere schließlich niemand: weder die Mitarbeiter selbst noch die Gäste.

Einen emotionalen Ausgleich nach belastenden Situationen, so erklärt Gruner, bringen normalerweise auch Gruppensitzungen mit dem Team. Durch die Hygienebestimmungen wurden Kollegentreffen seit April allerdings ausgesetzt oder sind nur mit begrenzter Personenzahl möglich, zulasten der psychischen Balance, des Austausches und Teamzusammenhaltes. Parallel stiegen mit der Pandemie die Anforderungen an die Palliativbegleiter: Etwa mit der Erfassung der Kontaktdaten der Hospizbesucher, einem gesteigerten Gesprächsbedarf seitens der Angehörigen oder fehlender Kinderbetreuung für Nachwuchs im Schul- und Kindergartenalter.

Dass individuelle Grenzen während und außerhalb der Pandemie kommuniziert und akzeptiert werden können, ist für Gruner aber ein großer Unterschied zwischen Hospiz- und Krankenhausalltag. "Dort ist man nur ein wertiges Teammitglied, wenn man immer stark, präsent und leistungsfähig ist. Das können wir nicht." Auch in der Notaufnahme habe sie Dinge erlebt, bei denen sie gewusst habe: Das könne an keinem spurlos vorübergehen. "Nur war dort der Raum für solche Eingeständnisse nicht da. In unserem Hospiz ist er da. Und das macht es so wertvoll hier zu arbeiten."

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Brigitte Gruner
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