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Testament: Wer erbt, wenn nahe Verwandte fehlen?


Ein Erbenermittler erzählt
Wer erbt, wenn Testament und Kinder fehlen?


12.07.2025 - 17:40 UhrLesedauer: 5 Min.
Überraschende Nachrichten: Erbenermittler sorgen dafür, dass der Nachlass in der Familie bleibt.Vergrößern des Bildes
Überraschende Nachrichten: Erbenermittler sorgen dafür, dass der Nachlass in der Familie bleibt. (Quelle: Milan Markovic/getty-images-bilder)
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Viele Deutsche hinterlassen kein Testament. In manchen Fällen kommen dann Erbenermittler zum Einsatz – und bescheren entfernten Verwandten schon mal ein Millionen-Erbe.

Als Bernd Clasen den Kontoauszug herumreicht, brechen die Dämme. Zwei Frauen beginnen zu weinen – und auch die anderen können nur schwer fassen, was sie da lesen: 15 Millionen Euro aus einer Schweizer Schokoladendynastie, aufzuteilen unter neun Erben zwar, aber dennoch so viel mehr als alles, was sie jemals besessen haben. Die Erblasserin: ihnen allen vollkommen unbekannt.

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Geschichten wie diese kann Clasen zuhauf erzählen. Er arbeitet als Erbenermittler und spürt mit seinem 35-köpfigen Team weltweit Nachfahren auf, wenn niemand weiß, wem das Vermögen eines Verstorbenen zusteht. Zwar sind Millionen-Nachlässe dabei nicht die Regel, große Gefühle hingegen schon. Und das nicht nur wegen des unerwarteten Geldes.

"Einer unserer emotionalsten Fälle war der von zwei Halbschwestern, beide Mitte 50, die nicht voneinander wussten", erinnert sich Clasen. "Die lagen sich weinend in den Armen, als sie sich zum ersten Mal gesehen haben. Der Nachlass war ihnen völlig egal."

Zwei Drittel der Deutschen haben kein Testament

Dass sich die Halbschwestern überhaupt kennenlernen durften, haben sie einem Umstand zu verdanken, der in vielen Familien auftritt: Es gab kein Testament. Zwei Drittel der Deutschen geben an, dass sie aktuell keinen letzten Willen besitzen. Bleibt das bis zum Tod so, greift die gesetzliche Erbfolge. In der Regel erben dann Kinder, Partner, Eltern oder Geschwister. Doch nicht immer leben diese noch oder haben jemals existiert. Dann wird es knifflig.

"Stellen Sie sich vor, jemand stirbt im Krankenhaus und hatte keinen Besuch und hinterlässt nur ein Portemonnaie sowie einen Schlüsselbund. Dann muss das Krankenhaus erst die Meldebehörde einschalten", erklärt Clasen. "Finden sich darüber keine Angehörigen, schaut das Nachlassgericht nach einem Testament. Existiert dieses nicht und sind auch sonst keine Erben bekannt, wird ein Nachlasspfleger eingesetzt, der den Nachlass sichert und uns, wenn es schwierig wird, als Erbenermittler beauftragt." Die Detektivarbeit beginnt.

Ohne Erbenermittler auch kein Erbe

Voraussetzung ist allerdings, dass nach Abzug aller Kosten, die aufgrund des Todesfalls entstehen, noch ein "nennenswerter" Betrag vom Nachlass übrig bleibt. Was als "nennenswert" gilt, variiert von Fall zu Fall. "Selbst 250.000 Euro können zu wenig sein, wenn der Fall komplex ist und es viele Erben gibt", sagt Clasen. "Gibt es hingegen nur einen Erben und der Nachlass ist unkompliziert abzuwickeln, kann sich die Arbeit auch schon bei einem Vermögen von 30.000 Euro lohnen."

Kleinere Fälle bearbeiten Clasen und Team zwar auch, dann aber auf Basis eines Stundensatzes, den sie dem Nachlasspfleger in Rechnung stellen. In Fällen mit höheren Summen schließt die Erbenermittlung Verträge mit den Erben, in denen sich diese bereit erklären, einen Teil des Nachlasses an die Ermittler abzugeben. Muss in der sogenannten dritten Erbordnung geforscht werden, sei etwa eine Beteiligung von 25 Prozent üblich.

"Manchmal haben die Leute damit ein Problem, aber 25 Prozent sind angesichts des zeitlichen Aufwands und der Tatsache, dass wir für viele Dinge auch finanziell in Vorleistung gehen, angemessen. Außerdem ist es doch schöner, 75 Prozent von etwas zu erben, als 100 Prozent von nichts", sagt Clasen. "Ohne uns hätte der Nachfahre keine Kenntnis von dem Erbfall und schließlich gar kein Erbe – denn die Erbenermittlung und die Beantragung des Erbscheines in der dritten oder vierten Erbordnung sind für Laien schlichtweg nicht möglich."

Zur Person

Bernd Clasen ist anerkannter Erbenermittler und Nachlasspfleger aus Hamburg und sitzt im Präsidium des Bundes Deutscher Nachlasspfleger (BDN) e. V. Über seinen YouTube-Kanal "Vorsicht Erbschaft?" vermittelt er auch online Wissen rund ums Erben und Vererben. Hauptberuflich ermittelt Clasen Erben weltweit und hat unter anderem in Kaschmir und Australien Menschen für ein Erbe ausfindig gemacht.

In der dritten Ordnung erben Großeltern, Tanten, Onkel sowie Cousins und Cousinen. Sie wird erst relevant, wenn keine Erben der ersten Ordnung (Kinder und Enkel) und der zweiten Ordnung vorhanden sind (Eltern, Geschwister, Nichten und Neffen). Findet sich auch niemand in der dritten Ordnung, gibt es noch eine vierte (Urgroßeltern und deren Kinder) und eine fünfte (Ururgroßeltern und deren Kinder). Lesen Sie hier mehr dazu, wie die gesetzliche Erbfolge aussieht.

Bloß keinen Erben übersehen

"Bevor wir in der vierten Erbordnung ermitteln, stellen wir die dritte noch mal sicher, dass alle Ergebnisse der dritten Erbordnung richtig sind, und prüfen alles, was noch zu prüfen ist", sagt Clasen. Denn dort vervielfache sich der Aufwand noch einmal. "Jeder Mensch hat vier Urgroßelternpaare. Von diesen ausgehend müssen wir jeden Erbstamm bis in die Gegenwart durchermitteln. Wenn der Erblasser mit 80 Jahren gestorben ist, geht es dann um einen Zeitraum von etwa 170 Jahren, den wir zurück in die Vergangenheit gehen müssen."

Rutscht den Ermittlern auch nur ein Erbe einer höheren Ordnung durch, kann das bedeuten, dass der einst mit dem Nachlass bedachte Erbe später doch wieder leer ausgeht. Oder die Erbquote fällt geringer aus, falls innerhalb derselben Ordnung weitere Erben auftauchen. "Ein Erbschein kann jederzeit vom Gericht wieder eingezogen werden, wenn sich an der Sachlage etwas ändert", sagt Clasen. "Deshalb ist es so wichtig, dass wir absolut sorgfältig arbeiten."

Was ist ein Erbschein?

Der Erbschein weist die Erben aus und gibt an, wie groß die jeweiligen Erbteile sind. Erben können damit zum Beispiel gegenüber Banken, Versicherungen und Behörden nachweisen, dass sie berichtigt sind, Zugriff auf Konten des Verstorbenen zu erhalten. Den Erbschein gibt es in der Regel auf Antrag beim Nachlassgericht des letzten Wohnsitzes des Verstorbenen. Dabei müssen Sie jedoch diverse Unterlagen einreichen. Bei entfernteren Verwandten kommen manchmal Hunderte Urkunden zusammen – denn jede Abstammung, jeder Namenswechsel durch Heirat, jeder Todesfall muss dokumentiert werden. Mehr zum Erbschein lesen Sie hier.

Je weiter es dabei in die Vergangenheit geht, desto anstrengender wird es in der Regel. Denn früher hatten Paare nicht nur deutlich mehr Nachkommen, in den Kriegsjahren sind Todesfälle oft nicht dokumentiert worden. Doch jeder sogenannte Wegfall eines Erben muss bewiesen werden, damit ein anderer zu seinem Recht kommen kann.

"Auch Geburtenlücken müssen wir im Auge haben", sagt Clasen. "Angenommen, eine Mutter hat sonst alle drei Jahre ein Kind geboren, plötzlich aber erst wieder nach acht Jahren. So etwas muss uns auffallen, da hier eventuell Kinder geboren wurden, die in den uns vorliegenden Unterlagen nicht festgehalten sind." Dann sei zu klären, was der Hintergrund war. Ob es tatsächlich kein weiteres Kind gibt, das innerhalb dieser acht Jahre geboren wurde und möglicherweise erbberechtigte Nachkommen hat. Mühevolle Kleinarbeit, aber für Clasen gleichzeitig ein Vergnügen.

Oft führt die Suche in die ehemaligen Ostgebiete

"Man kann über Geburtseinträge bei Standesämtern oder Meldedaten wahnsinnig viel herausfinden. Schon eine Randnotiz kann reichen, um uns auf eine neue Fährte zu führen. Das macht unglaublich Spaß." Oft müsse man dabei auch in den ehemaligen Ostgebieten recherchieren – in Polen oder Tschechien beispielsweise. Viele seiner Mitarbeiter seien daher Historiker mit Spezialisierung auf Osteuropa und mit entsprechenden Sprachkenntnissen. Und offenbar ziemlich gut in ihrer Arbeit: "Unsere Erfolgsquote liegt bei 99 Prozent", sagt Clasen. In dem einen Prozent der Fälle, in denen sich niemand findet, gibt es aber trotzdem einen Erben: den Staat. "So etwas mögen wir gar nicht."

Mit dem Finden von Erben ist der Job aber nicht getan. Die Nachfahren müssen auch glauben, dass das Erbe echt ist. "Meine Aufgabe ist es, den Leuten das Misstrauen zu nehmen", sagt Clasen. "Das gelingt meist schon, wenn sie merken, dass ich mehr über ihre Familie weiß als sie selbst." Einige seien sogar mehr am Stammbaum interessiert als am Erbe.

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Diesen Fehler sollten kinderlose Paare vermeiden

Auch wenn Clasen damit Geld verdient, dass Menschen kein Testament hinterlassen, rät er jedem, sich rechtzeitig darum zu kümmern – insbesondere einer Personengruppe: "Einer der schwerwiegendsten Fehler, den man im Erbrecht machen kann, ist es, als kinderloses Ehepaar kein Testament zu haben", sagt er. "Die Leute denken immer, sie beerben sich gegenseitig allein. Dem ist aber nicht so."

Er nennt ein Beispiel: Der Mann stirbt und hinterlässt ein 400.000 Euro teures Haus. Der Frau stehen davon dann nur drei Viertel zu, das restliche Viertel geht an die Geschwister des Mannes – oder im Todesfall an ihre Nachkommen. Dann muss die Frau plötzlich 100.000 Euro an Neffen und Nichten zahlen. Hat sie die nicht auf dem Konto liegen, muss das Haus verkauft werden. "So etwas ließe sich vermeiden, wenn man einfach aufschreiben würde: 'Wir setzen uns gegenseitig als Erben ein'", sagt Clasen.

Andernfalls kann man nur hoffen, dass wirklich keine weiteren Erben existieren.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Bernd Clasen, Erbenermittler und Nachlasspfleger
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