Mögliche Folgen für "Letzte Generation" "Wir gehen von Gefahr für Leib und Leben aus"
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Der "Letzten Generation" schlägt regelmäßig Wut entgegen. Eine Expertin untersucht das Extremismuspotenzial der Bewegung und warnt vor einer aufkeimenden Gefahr.
Sie kleben auf den Straßen, bewerfen Kunstwerke mit Lebensmitteln, beschmieren Luxusgüter mit Farbe und blockieren Flughäfen: Die "Letzte Generation" hat in den letzten Monaten viele Diskussionen und Kritik provoziert. Nun kehren die Aktivistinnen und Aktivisten aus ihrer Sommerpause zurück. Weitere Aktionen sind in Planung.
Mehrere renommierte Extremismus- und Terrorismusforscherinnen und -forscher des Europäischen Instituts für Terrorismusbekämpfung und Konfliktprävention (EICTP) haben sich daher nun der Frage gewidmet, wie viel Extremismuspotenzial in der Klimaschutzbewegung steckt. In dem Sammelband "Zwischen zivilem Ungehorsam und Militanz. Die radikale Klimaschutzbewegung und ihr extremistisches Potenzial" stellen sie ihre Ergebnisse vor.
Astrid Bötticher forscht am Europäischen Institut für Terrorismusbekämpfung und Konfliktprävention. Im Gespräch mit t-online unterscheidet sie zwischen extremistischer und radikaler Klimabewegung.
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Ich glaube, die "Letzte Generation" muss sich genau überlegen, ob sie radikale Maßnahmen nicht auch mit positiven Maßnahmen kombiniert."
Sie kleben auf den Straßen, bewerfen Kunstwerke mit Lebensmitteln, beschmieren Luxusgüter mit Farbe und blockieren Flughäfen: die "Letzte Generation" hat in den letzten Monaten für viele Schlagzeilen gesorgt.
Oft schlägt der Bewegung Wut und Unverständnis aus der Bevölkerung entgegen, im Rahmen der radikalen Aktionen war sogar schon von einer extremistischen "Klima-RAF" die Rede.
Astrid Bötticher erforscht das Extremismuspotenzial der "Letzten Generation" besonders in Bezug auf Angriffe auf Kunstwerke und unterscheidet bei den Aktionen klar zwischen radikal und extremistisch.
"Es ging eben nicht darum, die Kunstwerke unbedingt zerstören zu müssen, sondern es wurde in Kauf genommen. Und hier würde ich sagen, befindet sich die Schwelle zum Extremismus. Denn das in Kauf nehmen unwiederbringlicher Schätze, die für die demokratische Kultur wichtig sind, die für die Diversität wichtig sind, ist bereits sozusagen in den Anfängen eines Extremismus enthalten."
Aktivisten, die sich auf die Straße kleben, ordnet Bötticher hingegen als klar radikal ein:
"Es handelt sich bei der Nutzung des eigenen Körpers auch um möglicherweise eine radikale Aktion, wo letzten Endes etwas betroffen ist, nämlich die Straße, die aber wiederhergestellt werden kann. Das Einsetzen des eigenen Körpers muss nicht unbedingt mit Extremismus in Verbindung stehen, sondern kann auch radikal sein."
Eine Abgrenzung der beiden Begriffe sei wichtig: Während Radikalismus noch keine Bedrohung für die demokratische Grundordnung darstelle, verfolgten extremistische Personen das Ziel, den demokratischen Verfassungsstaat zu bekämpfen.
"Radikale Aktion stören oft in dem Sinne, als sie polarisierend wirken. Das heißt, wir haben starke Empfindungen in der Bevölkerung, die auch unter Umständen gegeneinander wirken. Das sind Nebeneffekte, die potenziell problematisch sein können, auch für die Bewegung selber. Oftmals handelt es sich bei Rechtsradikalen um Gruppierungen, die sehr schnell in den Extremismus abgleiten, sodass wir auch von Gefahr für Leib und Leben unter Umständen ausgehen müssen, sodass das eine negative Komponente von radikalen Aktionen ist, die eigentlich aber in sich selbst noch ein gewisses Friedenspotenzial beinhalten."
Was bringen die Aktionen, außer weiter Unverständnis hervorzurufen und möglicherweise rechtsradikale Gruppierungen zu aktivieren?
Um wirklich Veränderung zu bewirken, müssten laut der Expertin andere Instrumente genutzt werden:
"Die "Letzte Generation" muss sich genau überlegen, ob sie radikale Maßnahmen nicht auch mit positiven Maßnahmen kombiniert, um sozusagen auch in der Bevölkerung ein Image zu bekommen, das eben nicht nur als störend wahrgenommen wird. Radikale Aktionen schaffen erst mal Aufmerksamkeit, aber sie verändern in dem Sinne nichts. Wir haben Instrumente vor uns, wo wir wirklich Veränderung bewirken können, die gar nicht durch äußere Aktionen, die medial vielleicht wirksam sind, zu erreichen sind, sondern wir können selbst aktiv werden in Parteien, wir können aktiv werden in Gewerkschaften, wir können aktiv werden in Kirchen. Also es gibt bereits Organisationen, die für gesellschaftlichen Wandel stehen."
Doch der gesellschaftliche Wandel vollzieht sich für die Aktivistinnen und Aktivisten zu langsam. Rückblickend ist er dennoch zu erkennen. Zu verdanken ist das eben denjenigen, die sich für die Veränderung einsetzen und die Politik zum Handeln bewegen:
"Die Politik bewegt sich schon oft langsamer, als radikale Gruppierungen sich das wünschen. Aber letzten Endes, wenn Sie schauen, wie Deutschland noch vor 30 Jahren aufgestellt war, dann müssen wir schon sagen: Die Politik hat mit Instrumenten reagiert, die es Menschen möglich machen, ihre Freiheit besser zu nutzen. Wir wissen natürlich nicht, wie die Welt in zehn Jahren aussieht, aber ich denke, es wird graduelle Veränderungen geben."
Doch wie schnell diese umgesetzt werden und ob sie letztlich ausreichen, um uns und nachfolgende Generationen vor den Folgen der Klimakrise zu schützen, lässt sich nicht vorhersehen.
Wo die Expertin bereits extremistische Ansätze bei der Klimaschutzbewegung erkennt und in welchem Bereich sie eine noch größere Gefahr sieht, erfahren Sie hier oder oben im Video.
- Eigenes Interview
- Nachrichtenagentur Reuters