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Hajo Schumacher: "Wollen wir miteinander schlafen?"


Hajo Schumacher
"Wollen wir miteinander schlafen?"

MeinungHajo Schumacher

30.08.2018Lesedauer: 4 Min.
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Ein Paar: In den Siebziger und Achtziger Jahren verhedderten sich laut Hajo Schumacher Neugier auf alles Sexuelle und erste Rollenbilder.Vergrößern des Bildes
Ein Paar: In den Siebziger und Achtziger Jahren verhedderten sich laut Hajo Schumacher Neugier auf alles Sexuelle und erste Rollenbilder. (Quelle: South_agency/getty-images-bilder)

Der Mann, ein notorisch übergriffiger Lustmolch? So einfach ist es nicht, meint Hajo Schumacher. In seinem neuen Buch "Männerspagat" erklärt er, warum eine verklemmte Kommunikation zu tragischen Missverständnissen führen kann. Und warum junge Männer manchmal ein klares, offenes Wort brauchen.

Aufgeklärt wurde ich klassisch, bei Doktorspielen mit der Nachbarstochter im Gebüsch zwischen zwei Mietshäusern. Soweit ich mich erinnere, war ich lieber der Patient, der sich ebenso gespannt wie bange fragte: Was machen wir hier? Darf man das? Wie geht das genau? Es ging das Gerücht, der Junge dringe in das Mädchen ein. Konnten, wollten wir uns nicht vorstellen. Das tat doch weh. Was sollte daran toll sein?

Zwischen "Ratz und Rübe" und "Bravo"

Die angebliche sexuelle Revolution der Achtundsechziger zog an mir vorbei. Ich erinnere mich nicht ohne Unbehagen an die etwas zwanghafte Aufklärungsarbeit jener Tage. "Ratz und Rübe" hießen zwei Fernsehfiguren, die zum Beispiel Synonyme für das männliche Genital aufsagten: Pimmel, Gurke und derlei mehr, und sich dabei kaputtlachten. Das klang nach Aufklärung, aber war eher Realsatire. Mehr Details lieferte die Bravo, wo endlich mal angesprochen wurde, was zu Hause oder in der Schule zu technisch, zu verdruckst, oder mit Hilfe von Bienen, die sich ganz doll lieb haben, höchst unpraktikabel umschrieben wurde.

Dann kam die Zeit, als ältere Geschwister angefleht wurden, doch Kondome zu besorgen oder merkwürdig schmeckende Verhütungsschäume mit abschreckend klingenden Namen wie Patentex Oval oder wenigstens zu teilen. Unbändige Neugier auf alles Sexuelle und erste Rollenbilder und -erwartungen verhedderten sich unentwirrbar zu einem Knäuel erotischer Missverständnisse, die bis heute oft nicht aufgeklärt sind.

Die Aufteilung in "Chauvi" und "Softie"

In der Schule der Achtziger hatte der frühe Feminismus uns Jungs in zwei Kategorien eingeteilt, die für meine erste heftige Männlichkeitsverwirrung sorgten: "Chauvi" und "Softie". Der Chauvi trug Lederjacke, trank Bier, fuhr Kraftrad und wollte "bumsen". Der Softie steckte in einem verflusten Wollpullover, den er selbst gestrickt hatte, zumindest die einfachen Teile, er trank Tee mit Vanillearoma, war ebenfalls körperlich interessiert, traute sich aber nicht so richtig. Mit ihm konnten die Mädchen "gut reden", was meist das Gegenteil von erotischer Attraktivität bedeutete. Die Softi begann Sätze einfühlsam mit "Du ..." während der Chauvi konsequent "Ich..." sagte.

Beide Typen sorgten bei den Mädchen gleichermaßen für Ekel und Faszination. Der steinzeithafte Chauvi versprach Abenteuer, taugte aber nicht für eine tiefere Bindung. Die wäre mit dem ausdauernd zuhörenden Softie möglich gewesen, der ansonsten aber leider langweilig war. Der Chauvi betrachtete den Softie als Verräter, der den offenen Kampf scheute und sich mit billigen Tricks Sympathie erschlich. Der Softie hasste den Chauvi für seinen breitbeinigen Opportunismus, den er insgeheim natürlich beneidete.

Und ich? Was wollte ich? Macho-Arsch sein, aber befriedigt? Oder einfühlsamer Gesprächspartner, dafür unbefriedigt? Es gab hypermännlich oder unmännlich, aber keine Mitte. Vor allem aber gab es viel Theater, aber wenige ehrliche Worte.

Das Wort "Nein" richtig übersetzen

Und es wurde noch komplizierter. Denn die Mädchen waren ebenfalls auf tückische Rollenspiele getrimmt. Die meisten hatten zu Hause gelernt, was "gute Mädchen" tun und vor allem lassen. Sexuelle Lust, also ein schnelles, eindeutiges Ja zur körperlichen Liebe, war völlig ausgeschlossen, es galt als nuttig. Gute Mädchen mussten sich rarmachen oder zumindest eine Weile lang so tun.

Ein Nein ist ein Nein, so lautet ein unverhandelbarer Grundsatz des menschlichen Miteinanders. Klingt einfacher, als es für viele von uns jungen Männern damals war. Denn wir Jungs sahen uns mit einer komplexen Übersetzungsaufgabe konfrontiert: Welches "Nein" war wie ernst gemeint? War es ein echtes "Nein" oder nur ein "Vati-Gehorsams-Nein", das schamhaft ein "Ja, gern" camouflierte? Die Erfahrung lehrte, das ein "Nein" mit ausdauerndem Werben zu relativieren war. Was wiederum dazu führte, dass ein echtes "Nein" nicht verstanden werden wollte und Übergriffigkeiten zur Folge hatte.

Und dann noch der verdammte Alkohol. Unsere Eltern lebten diese promillebedingte Lockerheit vor, an Geburtstagen, zu Karneval oder beim Gartenfest. Persico Apfelkorn, Rum-Cola – nach ein paar Kurzen war die Stimmung deutlich entspannter. Genau das war unser Problem: Wo endete die Entspanntheit, wo begann das Willenlose? Was war nach drei Drinks noch freie Entscheidung? Dünn war das Eis, über das wir da schwankten. Gut möglich, dass damals manche von uns zu Vergewaltigern geworden sind, ohne es überhaupt gemerkt oder gewollt zu haben. Nicht akzeptabel, keine Frage, aber erklärbar durch schamhaft verdruckste Kommunikation.

Ehrlichkeit hätte geholfen

Uns allen wäre damals leicht zu helfen gewesen – mit Ehrlichkeit. Kaum jemand hat damals offen gesagt: "He, ich finde dich toll. Wollen wir miteinander schlafen?" Nein, ich will hier auf gar keinen Fall auch nur den leisesten Übergriff relativieren. Aber ich möchte Verständnis wecken für eine Verwirrung, die viele von uns früh erfahren haben. Unterdrückte Gefühle, merkwürdige Rollenspiele, Projektion, Enttäuschung, Verwirrung – was viele Männer heute an emotionalem Durcheinander spürten, nahm in der Jugend oft seinen Anfang.

Bis heute hat sich daran nicht viel geändert. Auf Pornoportalen bekommen junge Männer absurde Bilder in den Kopf gehämmert, wie Männer und Frauen beim Sex angeblich agieren. Sexualkundeunterricht bedeutet meist, gemalte Körperquerschnitte an die Wand zu werfen. Und alle kichern. Hat je ein Biologielehrer über Gefühle, über Lust und erogene Zonen, über Spaß an spannenden Stellungen referiert, über respekt- und liebevolle Offenheit beim Sex? Stattdessen orientieren sich junge Männer hilflos an absurden Zehn-Punkte-Plänen der Marke "So machst Du sie garantiert heiß".

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Sexuelle Freiheit und Offenheit gehören zu den großen Lügen unserer Zeit. Viel zu oft sitzen da viele kleine Dämonen auf Schultern, Bettpfosten und Schenkeln und wiehern, weil es nicht so aussieht wie bei Youporn, in der Werbung, in den Ratgeber-Büchern. "Was muss ein richtiger Mann jetzt tun, wie muss er aussehen, klingen, riechen?", war lange Jahre meine erotische Leitfrage statt: "Was macht mir Freude? Wie kann ich Freude bereiten?" Die Tabuisierung praktischer Sexualität einerseits und ihre Mystifizierung andererseits führen zu einer toxischen Werteverdrehung. Politiker, die Milliarden vergeuden, haben größere Überlebenschancen als jene, die eine einvernehmliche Affäre hatten. Was hilft? Der Mut zum offenen Wort. Erst dann kann eine gleichberechtigte, lustvolle sexuelle Revolution beginnen, die wir uns bislang nur einbilden.

Verwendete Quellen
  • Hajo Schumacher: "Männerspagat"
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