Medikamente im Vorbeigehen freigegeben? Pfleger: Station in Köln war für Ulrich S. nur der "Auftakt"

Gerüchte, Versäumnisse und Schweigen: Der Mordprozess um den Pfleger des Rhein-Maas-Klinikums geht weiter. Wieder sagt ein weiterer Kollege aus.
Manchmal war es ein Flüstern auf dem Gang, manchmal ein ungutes Gefühl und manchmal vielleicht auch einfach nur ein Gerücht: Das ist, woran sich viele Ärzte und Pfleger heute erinnern, die mit Ulrich S. in dem Rhein-Maas-Klinikum (RMK) oder dem Krankenhaus in Köln-Merheim zusammengearbeitet haben. Die Aussagen, die sie in dem Fall vor Gericht treffen, sind manchmal wirr, immer ratlos und oft davon beeinflusst, was Dritte berichtet haben.
Der Krankenpfleger Ulrich S. soll von Dezember 2023 bis Mai 2024 in seinen Nachtdiensten neun Patienten auf der Palliativstation der Klinik mit Medikamenten ermordet haben. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm darüber hinaus 34-fachen versuchten Mord an weiteren Patienten vor.
Am Mittwoch (21. Mai) sagt Sebastian F. (Name geändert) vor dem Aachener Landgericht gegen seinen ehemaligen Kollegen Ulrich S. aus. Sebastian F. und Ulrich S. haben im Krankenhaus Köln Merheim auf derselben Station gearbeitet, noch bevor Ulrich S. an das RMK wechselte.
Ehemaliger Kollege aus Köln belastet Ulrich S. nachträglich
Über die gemeinsam verbrachte Arbeitszeit hat Sebastian F. im Rahmen seiner polizeilichen Befragung eine harte Aussage getroffen: Er vermute, dass Ulrich S. an der Kölner Klinik bereits mit dem Morden angefangen hätte, was er dann am RMK auf die Spitze getrieben habe. Die Vermutungen des Zeugen stützen sich dabei allerdings nicht auf konkrete Vorfälle, die er aus erster Hand miterlebt habe, sondern auf Gerüchte und eigene Charakterstudien.
Sebastian F. berichtet etwa, dass die Beziehung zwischen ihm und dem Angeklagten Ulrich S. respektvoll gewesen sei, dass er sich in seiner Gegenwart aber dennoch stets unwohl gefühlt habe. "Wegen seinen Launen", sagt Sebastian F. Oft sei Ulrich S. herrisch gewesen, er habe auf dem Gang mit sich selbst geredet und herumgeschimpft.
Wenn ein Arzt Ulrich S. eine Anweisung gegeben hat, habe der den Vorgesetzten oft diskreditiert. "Was sind das für Spacken", soll er etwa über seine Chefs gesagt haben. "Hoffentlich kratzt er ab, dann hab' ich meine Ruhe", habe Ulrich S. über seine pflegeintensiveren Patienten gesagt. Und ebenso wie Sebastian F. sollen auch die Patienten der Station in der Gegenwart von Ulrich S. ein Unbehagen gespürt haben. Einer der Patienten soll darum gebeten haben, nicht mehr von Ulrich S. betreut zu werden: "Den Tätowierten will ich diese Nacht nicht noch mal haben, der war mir unheimlich", soll der Patient gesagt haben.
Auch in Köln gab es einen Zwischenfall mit einem Patienten
Einmal sei auch ein Patient auf die Intensivstation gekommen, wegen einer Medikamentenüberdosis, erinnert sich Sebastian F. Eine Kollegin habe ihm gesagt, das sei die Schuld von Ulrich S. gewesen. Doch der Patient erholte sich zügig, kam wieder zurück auf die Normalstation und der Fall war schnell vom Tisch, erinnert sich Sebastian F.
Ob Sebastian F. heute denke, dass all das Dinge gewesen seien, die man damals hätte melden sollen, fragt Richter Markus Vogt den Krankenpflegehelfer. "Ich habe mich mies gefühlt, dass wir so blind gewesen waren", sagt der Kölner.
Auch die Stationsärztin am RMK, die ehemalige direkte Vorgesetzte von Ulrich S., erinnerte sich erst in der Rückschau (während ihrer Aussage bei der Polizei) an Gerüchte und Verdachtsmomente. Sie ist diejenige, die während der Dienstzeiten von Ulrich S. im Patienteninformationssystem die Medikamente freigegeben hat. Die Ärztin war zuvor auch schon vor Gericht geladen und hatte sich dabei auf ihr Auskunftsverweigerungsrecht berufen. Deswegen berichtet am Mittwoch die protokollierende Polizistin von der Vernehmung.
Ärztin möchte sich vor Gericht nicht belasten
Der Polizistin gegenüber hatte die Ärztin geäußert, dass sie einen Verdacht gegenüber Ulrich S. gehegt hätte. Dieser sei entstanden, nachdem sie gehört hätte, dass Ulrich S. regelmäßig das Schlafmittel Zopiclon gegen seine Schlafstörungen einnehme. Ihr sei auch aufgefallen, dass ihre Patienten nach der Nachtschicht von Ulrich S. bis weit in den Nachmittag hinein sehr müde gewesen seien. Einen Verdacht auf ein konkretes Medikament, das Ulrich S. regelmäßig vergebe, habe sie aber nicht gehabt, berichtet die Polizistin.
Dabei wäre es für die Ärztin leicht gewesen, alle Medikamente, die Ulrich S. in der Nacht vergeben hatte, im Patienteninformationssystem einzusehen. Dazu sagt ein Sachverständiger aus, dass allein die Ärztin alle Medikamente aus der Nachtschicht genehmigen durfte. Diese hatte früher zur Freigabe der Medikamente gesagt: "Das sind drei Klicks, wir geben die oft im Vorbeigehen frei." Die vernehmende Polizistin ging damals davon aus, dass die Ärztin viel wisse, dass sie aber das Gefühl hatte, dass die Medizinerin nie alles, was sie wisse, mitteilen wollte. "Wahrscheinlich, um sich selbst nicht zu belasten", so die Ermittlerin.
Die nächste Verhandlungstermin im Fall Ulrich S. findet am 11. Juni statt.
- Reporter vor Ort
- Eigene Texte