Aussetzung des Familiennachzugs "Familie ist kein Gnadenrecht": Das "Café Zuflucht" ist entsetzt

Subsidiär schutzberechtigte Geflüchtete müssen künftig mehrere Jahre darauf warten, ihre Familien nachholen zu dürfen. Die Aachener Flüchtlingshilfe warnt vor dramatischen Folgen und beschreibt Fälle von Betroffenen.
Das "Café Zuflucht" kritisiert die am 27. Juni vom Bundestag beschlossene Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär schutzberechtigte Geflüchtete scharf. Die Entscheidung sei ein "großes Unglück" und verletze ein "grund- und menschenrechtlich verbrieftes Recht, als Familie zusammenzuleben", schreibt die Beratungsstelle und Menschenrechtsorganisation auf Anfrage von t-online. Sie betreut in Aachen seit fast 35 Jahren geflüchtete Menschen bei asyl-, aufenthalts- und sozialrechtlichen Fragen.
Die Aussetzung führe konkret dazu, dass Betroffene mindestens zwei weitere Jahre warten müssten, bevor sie überhaupt Anträge auf Familiennachzug bei deutschen Auslandsvertretungen stellen dürften. "Erfahrungsgemäß folgen dann erneut Jahre der Wartezeit, bevor diese Anträge bearbeitet und entschieden werden. Diese langwierigen Abläufe führten bisher schon dazu, dass Familien oftmals fünf Jahre und noch länger voneinander getrennt sind", so die Organisation.
Geflüchtetenhilfe weist auf psychische Belastung für Betroffene hin
Die Entscheidung treffe Menschen, die meist eine gefährliche Flucht hinter sich haben, mit der Hoffnung, in Deutschland Schutz zu finden und ihre Familien nachholen zu können. "Viele dieser Personen leben inzwischen seit Jahren in Deutschland. Sie sind integriert, arbeiten hier und bemühen sich um Teilhabe", heißt es in der Stellungnahme. Bereits seit Jahren stünden ihre Angehörigen auf Wartelisten – die Aussetzung verhindere ein baldiges Wiedersehen.
Konkret nennt die Organisation Fälle aus ihrer Beratungspraxis, etwa Mustafa aus Syrien, der seit zwei Jahren gut integriert in Deutschland lebe. Seine Ehefrau und vier Kinder, darunter ein körperlich und geistig beeinträchtigter Sohn, lebten weiterhin in Damaskus in Angst vor "Krieg, Verfolgung und existenzieller Bedrohung". Seine Familie stehe kurz davor, ihre Wohnung in Damaskus zu verlieren und obdachlos zu werden. Mustafa sei verzweifelt angesichts der Tatsache, noch mehrere Jahre von seiner Familie getrennt zu sein – die psychische Belastung für ihn sei "unerträglich". Er leide "unter Schuldgefühlen und Hilflosigkeit", da er aus der Ferne nicht helfen könne.
Anspruch auf Familiennachzug erlischt mit dem 18. Lebensjahr
Ebenfalls betroffen sei der 16-jährige Adnan, der 2022 aus Syrien nach Deutschland floh und in Aachen subsidiären Schutz erhielt. Die Jahre davor habe er mit seiner Familie in einem Zeltlager für Binnengeflüchtete unter schwierigsten Bedingungen gelebt, weil sie ihr Haus und ihren gesamten Besitz durch einen Bombenangriff verloren hätten.
Im Juli 2024 sei Adnan im Asylverfahren ein subsidiärer Schutz zuerkannt worden. Seitdem hätten seine Eltern vergeblich auf einen Termin bei der Deutschen Botschaft in Beirut gewartet. Durch die Entscheidung werde er seine Eltern nicht mehr nachholen können, da sein Anspruch auf Familiennachzug mit Vollendung des 18. Lebensjahrs erlischt. "Für Adnan ist das nicht zu verstehen, er ist unsagbar traurig", schreibt das "Café Zuflucht".
"Café Zuflucht": "Familie ist kein Gnadenrecht"
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des "Café Zuflucht" erlebten täglich, wie belastend die Situation für die Betroffenen sei. "Man gewöhnt sich als Berater nicht an den Umgang mit so viel Traurigkeit und Verzweiflung", so die Organisation weiter. Man könne zudem kaum Lösungsansätze geben, "es gilt Unerklärliches erklärbar zu machen, was regelmäßig nicht gelingen kann". Nicht selten würden Menschen aufgrund der Sorge um ihre Familienangehörigen krank. Gespräche zu diesem Thema seien "emotional sehr belastend".
Die Entscheidung der Bundesregierung bezeichnet das "Café Zuflucht" als "symbolischen wie auch willkürlichen Akt", mit dem die Politik signalisiere, "dass sich geflüchtete Menschen in Deutschland nicht zu Hause fühlen dürfen".
Man schließe sich einer Aussage der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl an: "Familie ist kein Gnadenrecht – sondern ein Grundrecht, das für alle Familien gilt." Die Beratungsstelle fordert, dass geflüchtete Kinder, Mütter und Väter ihr Recht auf Familie "ohne staatlich legitimierte Diskriminierung geltend machen können". Verantwortung für die Entscheidung trage die Bundesregierung, die Familien bewusst voneinander trenne, kritisiert das "Café Zuflucht" abschließend in ihrer Stellungnahme.
Den Gesetzesentwurf zur Aussetzung des Familiennachzugs hatte Bundesinnenminister Alexander Dobrindt auf den Weg gebracht – nach eigenen Angaben, um ein "Geschäftsmodell von kriminellen Banden und Schleppern" zu zerschlagen. Laut ihm würden dadurch 12.000 Menschen weniger im Jahr nach Deutschland kommen.
- Anfrage beim Café Zuflucht
- Eigene Recherche