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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Mit der Wärmepistole durch Berlin Auf dem Spielplatz hat es 64 Grad

Am heißesten Tag des bisherigen Jahres lädt eine Bundestagsabgeordnete der Grünen zum Mess-Spaziergang durch Berlin. Die Botschaft: Es braucht mehr Schutz vor Hitze.
"Tut mir leid, bei Ihnen sind es 40 Grad", sagt Julia Schneider. Die Bundestagsabgeordnete der Grünen steht unter einem Baum im Köllnischen Park in Berlin-Mitte. Sie richtet eine Wärmebildkamera auf eine Gruppe Journalisten, die etwas entfernt im Halbschatten steht. Dann schwenkt sie die Kamera auf den Boden zu ihren Füßen. "Bei mir sind es nur 30 Grad."
Schneider hat die Presse zu einem Spaziergang durch den Park eingeladen, um über Hitzeschutz zu sprechen. Mithilfe der Wärmebildkamera will sie demonstrieren, wo es in der Stadt besonders heiß wird und was Abhilfe schaffen kann. Ihre Bundestagsfraktion hat gerade einen Vorstandsbeschluss zu diesem Thema verabschiedet. Darin fordern die Grünen unter anderem, dass 650 Millionen Euro aus dem Bundeshaushalt für Projekte zur Anpassung an große Hitze in Deutschland bereitgestellt werden.
Seit 2018 gab es mehr als 1.400 Hitzetote in Berlin
"Hitze kann lebensgefährlich sein", sagt Schneider. Sie zitiert Zahlen des Robert Koch-Instituts (RKI), wonach es im Hitzesommer 2018 in Deutschland schätzungsweise 8.000 Hitzetote gab. Für 2022 schätzt das RKI die Zahl der Hitzetoten auf mehr als 4.000, 2023 und 2024 jeweils etwa 3.000. In Berlin starben nach Angaben des Amts für Statistik Berlin-Brandenburg zwischen 2018 und 2024 schätzungsweise mehr als 1.400 Menschen durch Hitze. Betroffen sind vor allem Menschen im hohen Alter.
Auf einem Rundgang durch den Park demonstriert Schneider die großen Temperaturunterschiede der verschiedenen Flächen. 30 Grad direkt am Baumstamm im Schatten, auf der Wiese in der Sonne 50 Grad. Der Asphalt auf der Straße am Park hat sich auf 62,6 Grad aufgeheizt. Als Schneider die Wärmebildkamera auf den Sand auf dem Spielplatz im Park richtet, zeigt das Gerät sogar 64 Grad an. "Spielplätze ohne Schatten sind im Sommer nicht benutzbar", sagt sie.
Die Temperaturunterschiede würden deutlich zeigen, dass man weniger Beton und mehr Bäume in den Städten brauche, sagt Schneider. "Der Schutz vor den Auswirkungen des Klimawandels muss beim Katastrophen- und Bevölkerungsschutz mitgedacht werden."
"Der Hitzeschutz in Berlin ist schlecht aufgestellt"
Die Abgeordnete, die ihren Wahlkreis in Pankow hat, sieht auch in der Hauptstadt deutlichen Nachholbedarf. "Der Hitzeschutz in Berlin ist schlecht aufgestellt." Dabei zeige das Aktionsbündnis Hitzeschutz, dass es viele Akteure gebe, die mit geeigneter Finanzierung noch wirksamer sein könnten. Die Bezirke seien häufig unterfinanziert, die Zusammenarbeit mit dem Senat würde nicht gut genug funktionieren. "Wir warten außerdem immer noch auf den Hitzeschutzplan, den der Senat versprochen hat."
Sie kritisiert außerdem das "Schneller-Bauen-Gesetz", das 2024 in Berlin verabschiedet wurde. Dieses Gesetz bremse die dringend notwendige Klimaanpassung in einer immer heißer werdenden Stadt wie Berlin. Denn es ermögliche, wertvolle Ökosysteme zu bebauen und sich entweder "finanziell freizukaufen" oder andernorts Ausgleichsflächen zu schaffen. "Davon haben die Menschen vor Ort gar nichts", sagt Schneider.
"Ein Armutszeugnis" sei die Absage der Regierung an das sogenannte Bäumeplus-Gesetz, sagt Schneider. Die Initiative "Baumentscheid" will dieses mit einem Volksbegehren durchsetzen und so erreichen, dass in Berlin 300.000 zusätzliche Stadtbäume gepflanzt werden. Der Senat lehnt das aus Kostengründen ab.
Unter einem der Bäume im Köllnischen Park liegt eine Frau und schläft. Neben ihr steht ein Wagen mit einer Isomatte, einem Schlafsack und vollgepackten Tüten. Menschen ohne Wohnung sind der Hitze besonders schutzlos ausgeliefert.
"Eine der Gerechtigkeitsfragen unserer Zeit"
In Berlin gebe es zwar Angebote wie das Hitzetelefon der Stadtmission oder die Kampagne "Bärenhitze", trotzdem müsse noch mehr getan werden, sagt Schneider. Beispielsweise müssten die Hitzebusse der Stadtmission, die jetzt helfen und Abkühlung bringen, finanziell besser ausgestattet werden.
Generell würden ärmere Menschen stärker unter Hitze leiden als reichere, sagt Schneider. Wer reich ist, könne sich etwa aussuchen, wo er wohnen will. "Im Villenviertel im Grunewald ist es angenehmer als in einer dicht bebauten Betonwüste", sagt sie. Hitzeschutz sei deshalb auch "eine der Gerechtigkeitsfragen unserer Zeit".
Nach knapp einer Stunde ist der Hitzespaziergang vorbei. Ein vorher angedachter Marsch zur Kreuzung an der Jannowitzbrücke, um dort noch mal zu messen, fällt aus. Es ist zu heiß, alle wollen in den Schatten.
- Reporter vor Ort
- rki.de: Zahlen zur hitzebedingten Mortalität
- statistik-berlin-brandenburg.de: Zahlen zu Hitzetoten in Berlin
- rbb24.de: "Senat lehnt Gesetzentwurf der Initiative 'Baumentscheid' ab"