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Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Neil Young-Konzert in Berlin Viel Altbewährtes – und ein paar Überraschungen

Die Musiklegende Neil Young spielt mit seiner neuen Band The Chrome Hearts auf der Waldbühne in Berlin. Er bleibt sich dabei treu – und hat doch Überraschungen parat.
Vor wenigen Tagen führte ein Auftritt von Neil Young zu einem Disput. Beim legendären Glastonbury Festival in England spielte der Kanadier als Headliner auf der Hauptbühne. Parallel dazu performte Pop-Superstar Charli XCX. Das Feld vor der Bühne von Young blieb verhältnismäßig leer, viele Menschen strömten stattdessen zum Set des britischen Partygirls. Ihre Fans sollen sogar argumentiert haben, dass Young eines Headliners auf der Hauptbühne nicht würdig sei. Zu wenig Show, zu wenig Euphorie, zu wenig Kommunikation mit dem Publikum? Oder zusammengefasst: nicht mehr zeitgemäß?
Seine Fans in Berlin scheint das nicht zu stören. Sie kommen zahlreich, trotz horrender Eintrittpreise, meist weit mehr als 100 Euro. Die Waldbühne ist am Donnerstagabend mit über 22.000 Zuschauern fast ausverkauft. Die 79-jährige Legende der Rock-, Folk- und Grunge-Szene zeigt sich auch hier als wortkarger Mann. Seine Songs, ein Ritt durch viele Jahrzehnte seiner riesigen Diskografie, spielt er routiniert runter. Trotzdem schafft er an diesem Abend einen rohen und rauen Sound, den wohl nur er erzeugen kann. Das Publikum wird ihm ausgelassen danken – aber erst zum Ende des Sets.
Neil Young überrascht mit Hit als zweitem Song
Der Auftritt beginnt kurz nach 20 Uhr. Young schreitet unter Applaus mit langsamen Schritten auf die Bühne. Er trägt ein schwarzes T-Shirt, ein graues Hemd und eine Mütze, die er weit in sein Gesicht hineinzieht. Der Friedens- und Umweltaktivist scheint wenig auf sein Erscheinungsbild zu geben. Auch die Bühne ist nicht besonders hergerichtet. Hinter der Band ist lediglich ein "Love Earth"-Banner aufgehängt, der Name der aktuellen Tour. Die Musik und das, was sie ausdrücken soll, stehen im Vordergrund.
Er fasst sich ans Herz, grüßt ins Publikum und spielt "Ambulance Blues". Eine neunminütige Folk-Perle, beliebt bei Young-Fans, die der Musiker selten live mit einer seiner Bands auf die Bühne bringt. Getrübt wird dieser Moment durch den schlechten Sound. Einige der Boxen scheinen zunächst nicht zu funktionieren, was für kurze Irritationen im Publikum sorgt. Das ist schnell vergessen, als Young – anders als bei vorherigen Konzerten – bereits als zweiten Song seinen Hit "Hey Hey, My My (Into The Black)" spielt. Es ist definitiv eine Überraschung, die für eine kurze Welle der Euphorie auf der Waldbühne sorgt.
Ansonsten unterscheidet sich die Setlist wenig von vorherigen Konzerten. Auch in der Waldbühne spielt Young mit seiner neuen Band The Chrome Hearts Solosongs sowie Lieder, die er in vergangenen Jahrzehnten mit der Band Crazy Horse oder mit der Formation Crosby, Stills, Nash and Young aufgezeichnet hat. Auffällig: Sie spielen keinen Song seiner neuen Band, die erst vor Kurzem ein eigenes Album veröffentlicht hat.
Es ist so, als wolle Young – immerhin fast 80 Jahre alt – abermals sein Lebenswerk präsentieren. Das geschieht während des Sets mal wild und ungezähmt, mit markanten Riffs bei Songs wie "Be The Rain", "Cinnamon Girl" oder "Fuckin' Up". Andere Male gibt er sich ruhig und emotional, als er mit seiner prägnanten Stimme und der Mundharmonika um den Hals Songs wie "The Needle and the Damage Done" oder den Klassiker "Harvest Moon" spielt.
Zum Ende des Konzertes steigt die Stimmung merklich
Das ist musikalisch einwandfrei. Trotzdem schafft es Young – abgesehen von wenigen Ausnahmen – in dieser Phase nicht, das Publikum komplett an sich zu reißen. Als er in das Rund der Waldbühne blickt, sagt er kurz: "Ich war lange nicht mehr hier. Das ist ein toller Ort." Doch dann schnell zurück zur Musik: Mit "Southern Man" spielt Young einen weiteren Solosong mit Seltenheitsfaktor.
Hinten raus steigt die Stimmung merklich. Der grandiose Live-Dauerbrenner "Like a Hurricane" sorgt dafür, dass sich ein Großteil des Publikums von seinen Sitzen erhebt, in die Hände klatscht und lauthals mitsingt. "Danke, dass ihr hier seid", sagt er kurz darauf und hebt den Daumen zum Publikum. Als Young danach die Country-Ballade "Old Man" auf seiner Akustikgitarre spielt, verwandelt sich die Waldbühne in ein Lichtermeer. Anschließend verschwindet er von der Bühne.
Für die Zugabe kommt der 79-Jährige mit seiner Band ein letztes Mal heraus. "Die Welt ist im Moment ein verrückter Ort. Wir müssen aufeinander aufpassen", sagt er. Wohl jeder Fan weiß, was als Nächstes kommt: "Rockin' In The Free World". Der Song sorgt dafür, dass es in der Waldbühne kein Halten mehr gibt. Und dass Young es wieder geschafft hat – auch ohne große Worte oder Show.
Der Musiker ist ein Mann mit festen Prinzipien, der seiner inneren Logik vertraut. Das führt bei ihm abseits der Musik nicht selten zu konträren Impulsen und einer Art Unberechenbarkeit. Bei Konzerten wird sich an der Herangehensweise des mürrischen Kanadiers aber nichts ändern. Nicht umsonst betont er wiederholt, kein Entertainer, sondern ein Musiker zu sein. Und das ist auch völlig in Ordnung.
- Konzert von Neil Young And The Chrome Hearts in der Waldbühne Berlin (3. Juli 2025)