Prostituiertenschutzgesetz Sexarbeiter in Berlin: "Es geht nur darum, uns zu kontrollieren"

Seit 2017 gibt es das Prostituiertenschutzgesetz. Kürzlich wurde untersucht, ob es etwas bewirkt. Schützt es wirklich jene, die mit Sex Geld verdienen? Ein Prostituierter aus Berlin sieht es kritisch.
Als Caspar Tate 1999 geboren wurde, galt Prostitution in Deutschland noch als sittenwidrig. Dies änderte sich 2002 mit dem Prostitutionsgesetz. 2017 folgte das Prostituiertenschutzgesetz, dessen Ziel es ist, die rechtliche Situation von Sexarbeitern zu stärken und Zwangsprostitution und Menschenhandel besser zu bekämpfen.
Mit diesem Gesetz wurden in Deutschland umfassende Regeln für den Betrieb eines Prostitutionsgewerbes geschaffen. So müssen sich Sexarbeiter registrieren und regelmäßig gesundheitlich beraten lassen.
Bettwäsche wechseln statt HIV-Prophylaxe
Auch trans Mann Caspar Tate registrierte sich vor sechs Jahren als Sexarbeiter. Als er begann, mit Prostitution seinen Lebensunterhalt zu verdienen, hatte der inzwischen 26-jährige Berliner gerade seine Geschlechtsangleichung begonnen, nahm seit einem Jahr Testosteron. Er hatte einen Workshop einer Sexarbeiterin besucht und war zur Einstiegsberatung bei Hydra, einer Interessenvertretung von Prostituierten, gegangen. Dort gab es Informationen über den Arbeitsalltag von Sexarbeitern, über Rechte und Pflichten, aber auch über die politischen Rahmenbedingungen. Danach fühlte sich Tate gut vorbereitet für den Job.
Die gesetzlich vorgeschriebene Gesundheitsberatung fand er allerdings "komplett absurd", wie er sagt. Er habe damals schon die PrEP genommen – ein Prophylaxe-Medikament, um sich vor einer Ansteckung mit HIV zu schützen. Die PrEP ist eine anerkannte und wirksame Safer-Sex-Methode. Bei korrekter Anwendung schützt sie laut der Deutschen Aidshilfe so gut wie Kondome vor HIV. Doch in der vorgeschriebenen Beratung habe man ihm davon abgeraten: Das Medikament sei viel zu stark. Stattdessen sei ihm ausführlich erklärt worden, dass er Handtücher und Bettwäsche regelmäßig zu wechseln habe.
"Dir wird gesagt, wie du als Sexarbeiter zu arbeiten hast, aber nicht von jemandem, der sich auskennt, sondern von einer Sozialarbeiterin, die nicht oder schlecht geschult ist", erzählt Caspar Tate.
Caspar Tate findet seine Kunden über Online-Plattformen
Für trans Männer wie Caspar Tate gibt es mittlerweile eine große Nachfrage, gerade im Bereich MSM – also bei Männern, die Sex mit Männern haben. "Als ich anfing, war ich fast der einzige trans Mann auf den gängigen Plattformen." Einen Ort wie den Straßenstrich mit trans Frauen in der Schöneberger Frobenstraße gibt es für ihn und seine trans männlichen Kollegen allerdings nicht. Er findet seine Kunden über Online-Plattformen und fährt zu ihnen nach Hause, trifft sie im Hotel oder im Auto. Die meisten Kunden sind 40 Jahre alt oder älter.
Außerdem bietet er einen Begleitservice an, darunter die sogenannte "Boyfriend Experience". Hier gibt er vor, mit dem Kunden eine Beziehung zu führen, sie fahren dann gemeinsam in den Urlaub oder gehen ins Kino. "Die Männer wollen natürlich auch Sex haben", sagt Tate. "Aber es geht auch viel um Einsamkeit, um körperliche Nähe oder einfach eine Unterhaltung."
Keine Drogen und Vorsichtsmaßnahmen bei Kunden
Der Sexarbeiter trifft immer Vorsichtsmaßnahmen: Wenn er die Wohnung eines Kunden oder dessen Hotelzimmer betritt, orientiert er sich als Erstes: Wo ist die Toilette? Ist der Raum abschließbar? "Wenn etwas passiert und ich es nicht zur Tür schaffe, um die Wohnung zu verlassen, könnte ich mich wenigstens im Bad einschließen", sagt er.
Caspar Tate rührt keine Getränke an, die er nicht selbst geöffnet hat. Alkohol trinkt er ohnehin nicht, nimmt auch keine Drogen mit seinen Kunden. Grundsätzlich findet er das aber nicht fragwürdig und möchte es auch nicht bewerten: "Wer mit Kunden Drogen und Alkohol konsumiert, arbeitet nicht automatisch unsicher oder riskant", sagt er.
Manchmal gebe es Probleme mit Kunden, während Corona habe er von den meisten Gewaltfällen gehört, sagt Tate. "Wegen des Sexkaufverbots während der Pandemie blieben die netten Kunden weg, die wollten nichts Verbotenes machen. Die, die dich weiterhin gebucht haben, waren die, denen Regeln scheißegal sind."
Nur wenige Sexarbeiter melden sich behördlich an
Acht Jahre gibt es in Deutschland nun das Prostitutionsgesetz. Der Verein "Trans*sexworks", für den sich Tate engagiert, sprach damals bei der Verabschiedung des Gesetzes von einem "schlimmen Tag in der Geschichte der Sexarbeiterrechte". Denn statt Opfern von Menschenhandel und Zwangsprostitution zu helfen, verschärften die Zwangsregistrierung und Beurteilung durch eine staatliche Behörde das vorhandene Stigma, so Trans*sexworks.
Seit Ende Juni liegen die Ergebnisse einer Überprüfung des Prostitutionsschutzgesetzes vor. Um herauszufinden, ob es die gewünschten Ziele erreicht hat, befragte das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) rund 2.300 Prostituierte. Das Ergebnis: Nur wenige Sexarbeiter melden sich behördlich an. Zu groß ist offenbar die Angst vor Benachteiligung und der Sicherheit der Daten.
Die Daten der registrierten Sexarbeiter werden automatisch ans Finanzamt weitergeleitet. Die Prostituierten haben Angst vor Diskriminierung bei der Wohnungssuche oder bei eventuellen Sorgerechtsstreitigkeiten um ein Kind, wenn die Sexarbeit den Behörden bekannt ist. Caspar Tate glaubt: "Es geht nur darum, uns zu kontrollieren und zu überwachen." Sicherheit habe das Gesetz jedenfalls nicht gebracht.
Sexarbeiter in Berlin haben ein eigenes Warnsystem
Einmal wurde Tate von einem Kunden ins Gesicht geschlagen. Angezeigt hat er ihn nicht, obwohl er seinen Namen hatte, die Adresse, sogar ein Bild. Wie viele Sexarbeiter glaubt er nicht, dass die Polizei ihm helfen kann oder will. Sein Vertrauen in die Behörden ist nicht sehr ausgeprägt.
Dafür hat sich ein eigenes Warnsystem unter Berliner Sexarbeitern etabliert. Chatgruppen, in denen Bilder von Kunden geteilt werden, die gewalttätig geworden sind, dazu Nummern und Kontaktdaten – auch von Leuten, die besonders unhöflich kommunizieren, sich rassistisch oder transfeindlich äußern oder den Preis verhandeln wollen.
Caspar Tate: "Man muss viel mehr Risiken eingehen"
In den vergangenen Jahren sei Sexarbeit als Einnahmequelle weniger verlässlich geworden, sagt Caspar Tate. Die Preise seien gefallen. Es gebe eine höhere Nachfrage nach kondomlosem Sex, auch bei den Heterokolleginnen. "Man muss viel mehr Risiken eingehen und geht irgendwann auch mit dem Preis runter: Lieber verdient man 20 Euro weniger die Stunde, als einen Kunden zu verlieren."
Caspar Tate hat Glück. Einige Stammkunden buchen ihn schon seit Jahren. Wie es weitergeht, weiß er aber noch nicht. Er hat mittlerweile einen zweiten Job, als Sachbearbeiter in einem Büro. Und demnächst will er ein Studium beginnen, Sozialarbeit.
- Gespräch mit Caspar Tate
- zdfheute.de: Gesetz schützt Prostituierte noch unzureichend
- berufsverband-sexarbeit.de: Neue Studie zeigt schädliche Auswirkungen des Sexkaufverbotes in Schweden und Norwegen
- frauenrechte.de: Sexkaufverbot - für die Gleichberechtigung
- aidshilfe.de: FAQ PrEP