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Karlsruher Citypfarrer: Gottes Segen mit Erdbeertörtchen


Karlsruher Citypfarrer
Gottes Segen mit Erdbeertörtchen

Von Ariane Lindemann

30.05.2021Lesedauer: 5 Min.
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City-Pfarrer Dirk Keller spricht auf der Straße: Der Karlsruher bringt die Kirche auf die Straße.Vergrößern des Bildes
City-Pfarrer Dirk Keller spricht auf der Straße: Der Karlsruher bringt die Kirche auf die Straße. (Quelle: Gaby Hufler)

Er veranstaltet Gottesdienste in Kaffeehäusern, predigt in Mundart, hat einen eigenen YouTube-Kanal und mischt sich immer direkt unter die Menschen. Der Karlsruher Citypfarrer Dirk Keller bringt in Kooperation mit städtischen Institutionen, Geschäften oder Einzelpersonen christliche Themen mit originellen Projekten ins öffentliche Gespräch.

Martin Luther ist nie in Karlsruhe gewesen. Trotzdem ist er in der Stadt lebendig. Den Bezug zum großen Reformator hat die badische Metropole einem Tausendsassa der evangelischen Kirche in der Innenstadt zu verdanken. Dirk Keller ist Citypfarrer. Seine Aktion zum 500. Geburtstag der Reformation 22 Ton-Büsten von Luther medienwirksam in der Stadt zu platzieren, war eine von vielen aufsehenerregenden Ideen, die der progressive Geistliche immer wieder umsetzt. Mit ausgefallenen Aktionen bringt er christliche Themen dorthin, wo Menschen leben, arbeiten, lieben und genießen. Mitten in den Karlsruher Alltag.

Immer wieder taucht Keller, der seit Februar zu hundert Prozent Citypfarrer in Karlsruhe ist, mit seinen Aktionen in die Lebenswelten der Menschen ein. "Ich möchte Menschen mit christlichen Themen an überraschenden Orten begegnen", sagt er. Durch die schwindende Zahl der Gemeindemitglieder und nicht zuletzt auch durch Corona nehmen der natürliche Kontakt und die Begegnungsflächen ab. "Wenn die Menschen nicht mehr in die Kirche kommen, müssen wir raus und zu ihnen gehen."

Dylan statt Bach

"Wir müssen Räume öffnen, die bisher nicht bestellt sind", sagt er und nennt als Beispiel die City-Gottesdienste, die einmal im Monat in der Stadtkirche am Marktplatz stattfinden und bei denen mitreißende Gitarrenriffs von Bob Dylan oder Songs von Leonard Cohen den Kirchenraum zum Beben bringen. "Das sind Gottesdienste mit Rock, Pop und Jazz-Musik. Wir müssen ja nicht immer Bach oder Brahms spielen. Mit dieser Musik erreichen wir die Menschen auf einem ganz anderen Level. Und es macht richtig Spaß, die gute und positive Stimmung wahrzunehmen, die sich jedes Mal in der großen Kirche ausbreitet."

The Times Are A ChangingDie Zeiten ändern sich – Dirk Keller macht den berühmten Songtext von Bob Dylan auch gleich zum Thema für seine Predigtinspirationen. "Die momentanen Veränderungen durch Corona bedrohen uns, aber sie tragen uns gleichzeitig auch weiter in eine neue Zeit und bringen uns nach vorne." Kellers Predigten als Citypfarrer sind anders als im konventionellen Gottesdienst. "Im normalen Gottesdienst richtet sich die Predigt nach einem feststehenden Bibeltext. Als Citypfarrer nehme ich aktuelle Themen, die uns alle bewegen, und suche dann dazu ein passendes Bibelzitat und Musik unserer Zeit aus."

Gottesdienste in Mundart

Pfarrer Keller, der vor seinem Amtsantritt 2012 in Karlsruhe zwölf Jahre Dekan in Mosbach war, bricht gern mit Konventionen. "Ich sehe die Citykirchenarbeit als das kreative Labor für experimentelle evangelische Arbeit in der Stadt." Sein oberstes Ziel und innigster Wunsch: möglichst nah an die Menschen zu kommen. In seiner Mosbacher Zeit veranstaltet er bereits Mundart-Gottesdienste, bei denen er auch die Bibeltexte auf Kurpfälzisch zitiert und in seinem Dialekt predigt. Da wird der Gang in die Kirche gleichzeitig zu einer Kulturveranstaltung – laut lachen ausdrücklich erwünscht.

Seine immer völlig frei gehaltenen Reden sind erfrischend, lebendig, herzlich, weltoffen und humorvoll, aber auch ernsthaft und vor allem: auf der Höhe der Zeit. Als Entertainer möchte er deshalb nicht verstanden werden. Auch wenn seine unkonventionellen Aktionen immer großes mediales Interesse auslösen. Die "Bild"-Zeitung berichtet über seine ökumenischen "Gottesdienste für Mensch und Tier", ZDF und ARD kommen zum Dreh vorbei, um den ungewöhnlichen Geistlichen bei der Arbeit zu filmen.

Die Einwohner des Karlsruher Stadtteils Hohenwettersbach werden sich sicher noch an die Aktion des Aktivisten Keller erinnern: Schon in den 90er Jahren haben er und sein Team eine Woche vor Ostern die dortige Kirche mit einem breiten Trauerflor umwickelt. "Die Idee dahinter war, die Leute neugierig zu machen. Sie sollten Fragen stellen und sich mit den Ereignissen an Ostern auseinandersetzen. Und tatsächlich, der tiefschwarze Hingucker verfehlte seine Wirkung nicht. Der Austausch war spannend und fruchtbar."

Pfarrer "to go"

Ins Gespräch kommen, Fragen stellen, gerne auch kritische, auch mal nicht einverstanden sein mit der Bibel und Jesus hinterfragen, dessen Bild sich wandelt – Dirk Keller will wissen, was die Menschen denken, was sie umtreibt. Und er will die Menschen genau dort erreichen, wo sie sind. Auch auf der Straße. So lässt er sich von einer Karlsruher Konditorei hunderte von "Segenskeksen" backen, schnappt sein Team und eine Ringleuchte, die er kurzerhand zum Heiligenschein umfunktioniert, und tourt während des Stadtfestes mit einem Lastenrad durch die Kaiserstraße, um einen "mobilen Segen" zu verteilen. Erinnerungsfoto inklusive.

"Wir haben an die 300 Leute gesegnet", erinnert sich Keller. "Das waren magische und intensive Momente. Das hat uns gezeigt: Wenn wir es auf diese Weise schaffen, die Menschen zum Innehalten zu bringen, dann ist der Schritt nicht mehr groß, eine vertrauensvolle Situation aufzubauen, damit eine ganz persönliche Sache, wie das Segnen auch in der Öffentlichkeit möglich ist." Dass es sich auch bei Kaffee und Erdbeertörtchen in einem Kaffeehaus wunderbar gemeinsam beten lässt, wissen viele KarlsruherInnen, die schon einmal in diesen besonderen Genuss des Initiators Keller kamen.

Remote-Gottesdienste auf YouTube

In der Corona-Pandemie veranstaltet der umtriebige Pfarrer Online-Gottesdienste auf seinem eigenen YouTube-Channel, die ein regionaler Fernsehsender mehrfach ausstrahlt. "Unseren Himmelfahrtsgottesdienst auf der Dachterrasse der Stadtkirche haben mehr als 1.000 Leute aufgerufen, das sind sogar mehr Gottesdienstbesucher als bei einem analogen Gottesdienst. "Wichtig ist, dass die digitalen Gottesdienste nicht einfach gefilmte Gottesdienste sind", betont Keller. "Ich habe erst mal lernen müssen, wie online funktioniert: kurz und knapp und immer mit Action."

"Voices of the World – Hand aufs Herz" heißt die nächste Aktion, ein ökumenisches und interreligiöses Projekt, bei dem Karlsruher befragt werden, was sie umtreibt und bewegt. Die Statements werden am Ende als kalligrafisches Kunstwerk umgesetzt. Wie das funktionieren wird? Man darf gespannt sein. Das Ergebnis wird beim Karlsruher Stadtfest im Oktober gezeigt.

Der Wunsch, Pfarrer zu werden, war bei Dirk Keller früh angelegt. "Ich habe schon mit fünf Jahren kleine Gottesdienste bei uns zuhause im Wohnzimmer abgehalten. Meine Oma sagte damals: 'Der Bub wird mal Pfarrer'."

"Luther, einer von uns", hieß die Aktion mit den Tonbüsten zum Reformationsjubiläum. Einer von uns – das will auch Dirk Keller sein, wenn er sich mit seinen überraschenden und kreativen Ideen immer wieder unters Volk mischt. Und er betont: "Ich möchte inspirierend sein, nicht missionarisch."

Der nächste City-Gottesdienst findet am 6. Juni 2021 in der Evangelischen Stadtkirche am Marktplatz statt.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Gespräch mit Dirk Keller
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