Vor Oberverwaltungsgericht Gutachterstreit zur Räumung des Dortmunder "Hannibal"

Räumung wegen Brandschutzmängeln: War die Gefahr für die Bewohner im Hannibal-Hochhaus in Dortmund wirklich so akut? Ein Gerichtsgutachter hat eine klare Meinung – und die sorgt für Streit.
Im juristischen Streit um die Räumung eines Hochhauskomplexes in Dortmund vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG) haben die Ausführungen eines Gutachters für Kopfschütteln bei Vertretern von Stadt und Feuerwehr gesorgt. 2017 hatte die Stadt angeordnet, dass der Besitzer das Gebäude mit bis zu 17 Etagen wegen Brandschutzmängeln unmittelbar räumen muss. Innerhalb weniger Stunden mussten die Bewohner vor knapp acht Jahren ihre 400 Wohnungen im "Hannibal" verlassen.
In der mündlichen Verhandlung vor dem OVG in Münster ging es jetzt um die Frage, ob Stadt und Feuerwehr zu Recht eine unmittelbare Gefahr für das Leben der Bewohner gesehen haben. Dass das Gebäude Brandschutzmängel hatte, darin stimmte der vom Gericht bestellte Gutachter mit der Stadt überein. Nach seiner Auffassung aber gab es durch keinen der festgestellten Mängel eine unmittelbare Gefahr. Das Gericht wollte von dem Gutachter in der mündlichen Verhandlung wissen, ob bei einem ausgebrochenen Brand die Bewohner in Lebensgefahr gewesen seien.
Kopfschütteln bei der Feuerwehr
Der Gutachter verneinte die Frage bei mehreren festgestellten Mängeln. Darunter waren Defekte in Versorgungsschächten, Luftöffnungen von der Tiefgarage in Fluchttreppenhäuser und nicht funktionierende Steigleitungen für Löschwasser. Bei den Verantwortlichen der Dortmunder Feuerwehr erntete der Gutachter mit seiner Einschätzung mehrfach Kopfschütteln.
Das OVG vertagte sich am Montag nach einer mehrstündigen mündlichen Verhandlung. Der Vorsitzende Richter Jens Saurenhaus betonte zum Abschluss des ersten Tages die Besonderheit des Streits um den "Hannibal". Sein Senat sei zwar mit Brandschutz vertraut. Dieser Fall sei aber sehr speziell. Wann es weitergeht mit dem nächsten Verhandlungstag, will das OVG zu einem späteren Zeitpunkt mitteilen.
In der Vorinstanz hatte die Stadt Dortmund vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen eine Teilschlappe erlitten. Zwar sei das Nutzungsverbot rechtmäßig gewesen, nicht allerdings die Räumung. Mit der Anordnung habe sich die Stadt an die Mieter und nicht an die Klägerin als damalige Eigentümerin richten müssen, entschied das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen im Jahr 2022. Um diese Frage ging es im ersten Teil der mündlichen Verhandlung vor dem OVG aber noch nicht.
Der damalige Besitzer war davon überzeugt, dass die Brandschutzmängel hätten schrittweise beseitigt werden können. Die eilige Räumung sei damals nicht nötig gewesen. Deshalb legte der damalige Besitzer Klage gegen die Entscheidung der Stadt ein.
Bundesweite Schlagzeilen nach Feuer in London
Die für die Bewohner überraschende Räumung vor rund acht Jahren hatte bundesweit für Schlagzeilen gesorgt. Die Mieter kamen bei Freunden und Bekannten unter oder schliefen vorübergehend in einer großen Sporthalle der Stadt. Bis heute ist das Gebäude nicht wieder bezogen. Die Sanierungsarbeiten durch den neuen Besitzer sind nicht abgeschlossen.
Kurz vor der Räumung des "Hannibal" in Dortmund hatte es im Juni 2017 einen Hochhausbrand in London mit 72 Toten gegeben. Der im 4. Stockwerk ausgebrochene Brand hatte sich rasend schnell über die Fassade des 24-stöckigen Sozialbaus ausgebreitet. Dabei hatte vor allem die Fassadenverkleidung eine fatale Rolle gespielt und als Brandbeschleuniger gewirkt.
- Nachrichtenagentur dpa