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Oscars 2024: Warum tauchte der Name İlker Çatak nirgends auf?


Gerechtigkeit für Oscar-Kandidaten
Schweigen, überall nur Schweigen

  • Steven Sowa
MeinungVon Steven Sowa

09.03.2024Lesedauer: 5 Min.
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İlker Çatak: Der Regisseur könnte deutsche Oscars-Geschichte schreiben.Vergrößern des Bildes
İlker Çatak: Der Regisseur könnte deutsche Oscar-Geschichte schreiben. (Quelle: JC Olivera)

Er ist für den Oscar nominiert, sein Film "Das Lehrerzimmer" wird viel gelobt. Doch warum spricht keiner über İlker Çatak? Diese Ungerechtigkeit muss aufhören.

Ich könnte jetzt an dieser Stelle schreiben, wie ignorant und gemein die deutsche Medienszene ist. Warum große Medienhäuser Fehler gemacht haben und renommierte, kluge Menschen, die dort arbeiten, zu engstirnig waren und das bislang nicht so recht öffentlich zugeben wollen. Ich könnte, kurz gesagt, so richtig draufhauen.

Aber stattdessen möchte ich lieber bei mir selbst beginnen. Und mich entschuldigen. İlker Çatak, es tut mir leid. Ich habe Ihnen Unrecht getan und ich möchte an dieser Stelle erklären, warum diese Ungerechtigkeit viel mehr ist als nur eine individuelle Kleinigkeit.

Warum tauchte der Name İlker Çatak nirgends auf?

Fangen wir mit dem Offensichtlichen an: İlker Çatak ist für den Oscar nominiert – und kaum jemand in diesem Land nimmt Notiz davon. Von Sandra Hüller hat inzwischen jeder gehört, auch Wim Wenders ist den meisten geläufig. Doch fragen Sie mal nach İlker Çatak: "Nie gehört", wäre wohl die ernüchternde Antwort.

Das ist in erster Linie kein Problem der Medienkonsumenten, sondern der Medien selbst. Als am 23. Januar 2024 die Kandidaten für den bedeutendsten Filmpreis der Welt, den Academy Award, bekannt gegeben wurden, tauchte der Name İlker Çatak selten in den deutschen Medien auf. Stattdessen war häufig von einer Nominierung für "Das Lehrerzimmer" zu lesen. Ich möchte dabei nicht auf die unzähligen Publikationen anderer Medien verweisen, in denen das nachweislich der Fall war, sondern t-online selbst als Beispiel nehmen.

Dort erschien am Tag der Verkündung eine Meldung unter der Schlagzeile: "Deutsche Stars für gleich mehrere Oscars nominiert". Dazu gab es ein Bild von Sandra Hüller zu sehen. İlker Çatak tauchte auch in dem Artikel auf, sogar gleich im ersten Satz, in einem Atemzug mit Wim Wenders – bedauernswerterweise aber mit einer falschen Schreibweise: Dort hieß er nur "Ilker Catak".

"Mein Name kam kaum vor"

Genau darüber hat sich İlker Çatak in einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" aufgeregt. "In sehr vielen Überschriften stand: Sandra Hüller und Wim Wenders sind für den Oscar nominiert. Mein Name kam kaum vor, wenn dann der Titel meines Films: Hüller, Wenders, 'Das Lehrerzimmer'. So langsam bekomme ich den Eindruck, dass man anscheinend einen deutschen Namen braucht, um in der Berichterstattung erwähnt zu werden", sagte der Filmemacher dort und monierte: "Wenn ich dann doch noch irgendwo in einem Nebensatz erwähnt wurde, dann meistens auch noch falsch geschrieben."

Autsch, dachte ich da: erwischt. Ich habe den besagten t-online-Artikel nicht geschrieben. Aber ich hätte es sein können. Als ich Çataks Kritik las, dachte ich an die Mechanismen der Medienwelt, an die Regeln der Reichweitenoptimierung, die üblichen Verkürzungen und Kniffe, mit denen wir Journalisten unsere Artikel überschreiben, um sie möglichst lesbar und attraktiv zu gestalten und dadurch so viele Leser wie möglich zu erreichen.

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Bei Sandra Hüller kann noch folgendes Argument greifen: Sie ist erstmals seit den Dreißigerjahren eine Deutsche, die bei den Oscars für die Beste Hauptdarstellerin nominiert ist – sie persönlich, für ihre schauspielerische Leistung in "Anatomie eines Falls". Es liegt auf der Hand, das beim Namen zu nennen, denn es kommt einer Sensation gleich. Bei Çatak hingegen stellt sich die Sachlage anders dar: Sein Werk "Das Lehrerzimmer" ist nominiert, nicht zwangsläufig nur er als Person. Es ist die ganze Produktion, die prämiert werden könnte und daran trägt er stellvertretend als Regisseur und einer der zwei Drehbuchautoren großen Anteil.

Man könnte nun sogar einwenden, dass der Preis, sollte er am Sonntag beim Auslandsoscar tatsächlich an Deutschland und "Das Lehrerzimmer" gehen, auch Ingo Fliess gehört. Er ist der Produzent des Films und als "Das Lehrerzimmer" im vergangenen Jahr den Hauptpreis als Bester Spielfilm beim Deutschen Filmpreis gewann, nahm Fliess die Trophäe stellvertretend für das Werk entgegen. İlker Çatak wurde an dem Abend als Bester Regisseur gekürt und entsprechend auf der Bühne gefeiert – aber diese Extrakategorie gibt es beim Auslandsoscar nicht.

Das sollten wir feiern, es ist eine Erfolgsgeschichte

Seien wir ehrlich: Das ist nur Kleinklein und lenkt vom Problem ab. Denn wieso Wenders und nicht Çatak? Beide tauchen in der gleichen Kategorie auf, unter Bester internationaler Film. Der eine mit "Perfect Days", der andere mit "Das Lehrerzimmer". Wie kann es dann sein, dass in manchen Medien die Rede davon war, "Hüller, Wenders und 'Das Lehrerzimmer' mit deutschen Oscar-Chancen"? Das ist unlogisch und nur bedingt damit zu erklären, dass Wim Wenders mit seinen 78 Jahren den wohl bekannteren Namen hat und Çatak mit 40 noch vergleichsweise neu in der Branche ist.

Nein, das Problem liegt tiefer. Es liegt daran, dass İlker Çataks Name nicht deutsch klingt, dass er Deutscher mit Migrationsgeschichte ist. Er habe "vor Wut geweint", sagte Çatak und bezeichnete den Umgang der Medien mit seiner Person als "Demütigung", er forderte mehr "Sensibilität". Es ist eben keine Lappalie, sondern ein Zeichen dafür, wie wir miteinander umgehen und was für eine Gesellschaft wir sind. Eine Gesellschaft, die aus vielen verschiedenen Menschen besteht und auf deren Migrationsgeschichte und Integration wir angewiesen sind. Nur haben zu viele von uns das offensichtlich noch immer nicht verinnerlicht. Auch deshalb machen wir noch immer einen Unterschied zwischen Menschen mit deutschklingenden Namen und solchen ohne.

İlker Çatak wurde 1984 als Sohn türkischer Einwanderer in Berlin geboren, er absolvierte sein Filmstudium in Deutschland und ist nun mit seinem Regiewerk für den Oscar nominiert. Das sollten wir feiern, es ist eine Erfolgsgeschichte.

Eine Geschichte, die uns vor Augen führt, wie wichtig es ist, an eine heterogene Gesellschaft zu glauben. İlker Çatak ist eines von vielen Paradebeispielen dafür, dass Deutschland auch deshalb eine der fortschrittlichsten und reichsten Volkswirtschaften der Welt ist, weil hier so viele Menschen mit unterschiedlichen Prägungen leben und ihren Beitrag dazu leisten – und das tagtäglich, nicht nur auf der großen Bühne in Los Angeles, auch am Fließband in Wolfsburg, einer Fabrik im Ruhrpott oder an einer Universität in München.

Das muss beim Namen genannt werden, damit es weiter Schule macht. Damit sich die Erfolgsgeschichte fortschreibt und herumspricht. Denn die Sichtbarkeit von Herkunft und ihren Karrierechancen zeigt anderen Menschen mit Migrationsgeschichte einen Weg in unserem Land auf. Hoffen wir, dass İlker Çatak kreativen Kindern eine Perspektive eröffnet – ob mit einem Goldjungen in der Hand oder ohne.

Verwendete Quellen
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