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"Netzfeminismus": Was bleibt von #Aufschrei und #meeToo?


"Netzfeminismus"
Was bleibt von #Aufschrei und #meeToo?

MeinungVon Laura Stresing

08.03.2018Lesedauer: 6 Min.
Meinung
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Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

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Fünf Jahre #AufschreiVergrößern des Bildes
Fünf Jahre #Aufschrei: Was bleibt von der Frauenbewegung im Netz? (Quelle: Lisa Ducret/dpa-bilder)

Der neue Feminismus im Netz wird als besonders radikal empfunden. Doch ist er langfristig auch mehrheitsfähig? Noch stellt sich die Frage nicht. Denn die meisten progressiven Ideen gehen sowieso im Social Media-Getöse unter. Schade eigentlich.

Feminismus-Debatten im Netz nerven. Sie nerven auf eine „Und täglich grüßt das Murmeltier“-Art. Das ist diese 90er Jahre-Komödie, in der Wettermoderator Phil (Bill Murray) in einer Zeitschleife gefangen ist und denselben Tag wieder und wieder erlebt. Erst ist der darüber verwirrt, dann verärgert und schließlich verzweifelt.

An einer Stelle haut Phil einen alten Schulfreund völlig unvermittelt um, weil er ganz genau weiß, was dieser jetzt gleich sagen wird. Phil kann das Gelaber nicht mehr hören. Er will einfach nur schnellstmöglich aus seiner sehr verfahrenen Situation raus. (Der Gewaltausbruch hilft ihm dabei natürlich kein Stück.)

Auch die sogenannten Feminismus-Debatten im Netz sind so vorhersehbar wie ein Murmeltiertag geworden – für beide Seiten, würde ich mal behaupten. Der Ton ist oft aggressiv. Und genau wie Phils Schulfreund im Film wundert sich die jeweilige Gegenseite wahrscheinlich, warum ihr auf einmal so viel Ablehnung entgegen schlägt.

Die Netzdebatten dümpeln an der Oberfläche

In Kampfbegriffen wie „Femnazi“ spiegelt sich nicht nur eine unfassbare Wut wieder, sondern auch der Unwille, sich mit den feministischen Thesen und Ideen auseinanderzusetzen. Selbst in den großen, medienwirksamen Sexismus-Debatten der vergangenen Jahre, von #Aufschrei bis #meeToo, ging es oft nur am Rande um Feminismus.

Die Mehrheit der Kommentatoren verzettelte sich stattdessen in „Männer sind so, Frauen sind so“-Debatten. Der Erkenntnisgewinn ist gleich Null. Denn am Ende kommt man immer zu dem Schluss, dass man das ja nicht verallgemeinern könne. Sexualität und die Beziehung zwischen Mann und Frau seien schließlich etwas sehr Individuelles.

Feminismus wird dadurch zu etwas Privatem erklärt, zu einer Frage des Geschmacks oder einer Meinungsäußerung unter vielen. Du denkst so, ich denke so. Dann sind wir uns ja einig. Die Gesellschaft kann aufatmen, die Politik weiter machen wie bisher. Murmeltier-Modus.

Trotzdem stellt sich das Gefühl ein, man habe das Thema ausgiebig diskutiert. Regelmäßig quellen die Kommentarspalten über, wenn eine deutsche Beamtin über eine gendergerechte Nationalhymne nachdenkt, oder die Schweden eine Reform des Sexualstrafrechts planen. Ist ja auch toll, dass diese Themen nicht nur den Experten und Bürokraten vorbehalten sind. Da wird Politik auf einmal greifbar. Die Rentenformel versteht keine Sau. Aber jeder hat seine persönlichen Erfahrungen mit dem eigenen und dem fremden Geschlecht gemacht, jeder hat eine Meinung dazu, manchmal sogar mehrere zur gleichen Zeit. Im Netz prallen sie alle aufeinander.

Warum aber bringt der Feminismus die Menschen im Netz so auf die Palme?

Offiziell ist dabei niemand gegen Gleichberechtigung. Ein Feminismus, der die gleiche Teilhabe von Frauen am wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben einfordert, gilt als akzeptabel – ob er das nun mit oder ohne Quotenregelung tut. Gegen einen gleichen Zugang zu den gleichen Ressourcen für beide Geschlechter zu argumentieren ist kaum noch möglich, ohne als Sexist dazustehen. Das ist schon mal ein Fortschritt.

Doch ein junger Feminismus, der die gesellschaftlichen Strukturen grundsätzlich in Frage stellt, ist noch lange nicht mehrheitsfähig. Was junge Feministinnen und Feministen im Netz fordern, geht an die Substanz: In ihren Thesen geht es zum Beispiel um die Macht der Sprache und die politische Dimension von alltäglichen Situationen im Haushalt, in einer Bar, bei der Arbeit oder online.

Grenzüberschreitungen am Arbeitsplatz, ungleiche Arbeitsbelastung in der Familienarbeit: Da kommen auf einmal viele Dinge öffentlich zur Sprache, die Frauen bisher unter sich ausmachten. Viele Männer fühlen sich vor den Kopf gestoßen und verunsichert.

Eine inhaltliche Auseinandersetzung bleibt trotzdem häufig aus. Die „neuen“ Informationen passen einfach nicht ins Selbst- und Weltbild. Stattdessen werden die Autorinnen und Autoren, die auf die Probleme hinweisen, angefeindet, bedroht und lächerlich gemacht.

Was wollt ihr denn noch, schallt es den Feministinnen entgegen. Seid ihr denn nie zufrieden? Wollt ihr die Männer zerstören? Und auf einmal drehen sich feministische Debatten um die Frage, was Frauen (ein)fordern dürfen und was nicht – weil sie damit anderen oder sich selbst schaden könnten. Klar: Wenn was schief läuft, sind die Frauen schuld.

Feminismus geht uns alle an

Dann gibt es natürlich noch viele Männer und Frauen, die das Problem nicht sehen. Nach dem Motto: Wir haben eine Kanzlerin, was wollt ihr noch? Gleiche Chancen sind gegeben, sie müssen nur genutzt werden (Frau ist wieder selbst schuld, wenn sie das nicht tut).

Vielleicht müssen wir an dieser Stelle mal klar stellen, was die Frauenbewegung eigentlich will. Es geht nämlich nicht darum, einzelnen Frauen einen Quotenbonus zu verschaffen, damit sie Karriere machen und mehr verdienen können. Es geht um Lösungen für Probleme, die der Gesamtgesellschaft schaden, die Kosten verursachen und Leid zufügen.

So belegt die noch junge Disziplin der Gendermedizin gerade, dass Männer und Frauen tatsächlich anders erkranken. Das heißt einerseits: Ja, die Männergrippe gibt es wirklich. Weniger lustig ist hingegen die Tatsache, dass ein Herzinfarkt bei einer Frau in der Vergangenheit weitaus seltener richtig diagnostiziert wurde – weil sich die Symptome bei Frauen offenbar anders darstellen als bei Männern und von Ärzten einfach nicht erkannt wurden. Bis heute wird die Medizin und die medizinische Forschung von Männern dominiert. Medikamente werden viel zu selten an Frauen und Männern gleichermaßen getestet, bevor sie auf den Markt kommen.

Emanzipation will die Befreiung der Frau, auch von wirtschaftlichen Zwängen

Es gibt noch viele andere Felder, wo Geschlechterfragen eine zentrale Rolle spielen: Familien- und Schulpolitik, Armut im Alter, Fachkräftemangel. Das sind „Frauenthemen“, das sind feministische Themen. Die ungleiche Verteilung von Einkommen, Vermögen oder Einfluss durch die Besetzung zentraler Posten sind dabei nicht das eigentliche Problem. Sie sind die Symptome und weisen auf tief in der Gesellschaft verwurzelte Ungerechtigkeiten hin. Wer sie beseitigen will, muss die Ursachen erforschen, um Lösungen zu entwickeln.

Auch hier gibt es große Missverständnisse. Die Lösung des Feminismus liegt nämlich nicht darin, Hausfrauen hinter dem Herd hervor zu zerren. Die Emanzipation, die Befreiung der Frau, besteht ja gerade in der Beseitigung von Zwängen. Wenn die Frau also zu Hause bleiben will, dann soll sie das auch können.

Die Idee, unser Konzept von Arbeit und Produktivität radikal in Frage zu stellen und zum Beispiel die „Care-Arbeit“, also die Erziehungsleistung von Eltern oder die Pflege eines Angehörigen finanziell und gesellschaftlich aufzuwerten, ist daher ein radikal feministischer Gedanke. Würde man die Arbeitsstunden, die Frauen zu Hause leisten in Zahlen fassen und in volkswirtschaftliche Berechnungen miteinbeziehen, würden sich viele Fragen nach der Vereinbarkeit von Beruf und Familie nicht mehr stellen.

Es ist ebenso feministisch, Unternehmenskulturen ändern zu wollen, so dass die Frauen, die Karriere machen wollen, dies auch tun können. Überkommene Vorstellungen davon, was eine Führungskraft mitbringen muss, verhindern nach wie vor in vielen Unternehmen, dass Frauen in die Chefetagen aufsteigen.

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Die Hälfte der Bevölkerung ist in Politik und Öffentlichkeit nur mangelhaft vertreten

Für mehr Diversität in Unternehmen sprechen auch ökonomische Gründe. Vor allem aber gibt es keinen logischen Grund, warum die entscheidenden Positionen in der Gesellschaft fast nur Männern vorbehalten sein sollten, die dann über die andere Hälfte der Bevölkerung mitentscheiden. Das betrifft auch die digitale Sphäre: In den mächtigsten Tech-Unternehmen der Welt arbeiten heute überwiegend Männer. Während technische Kenntnisse immer wichtiger werden, bleiben Frauen wiederum zurück.

Deshalb gibt es Initiativen wie "Ruby on Rails", die jungen Frauen das Programmieren beibringen. Deshalb werden auf Tech-Konferenzen Speakerinnen-Listen herumgereicht, damit in den Vorträgen und Diskussionsrunden auch die andere Hälfte der Bevölkerung vertreten ist.

Doch es gibt Bereiche, auf die solche Initiativen keinen Einfluss haben, Ungerechtigkeiten, die nicht so offensichtlich und daher auch nicht so leicht zu beseitigen sind, zum Beispiel die sogenannte "Gender Bias", also die Voreingenommenheit. Ein paar Beispiele aus der Forschung:

Ich finde das alles unglaublich niederschmetternd. Und das ist nur ein kleiner Ausschnitt. Die Fakten sind eindeutig: Es gibt Strukturen, die es Frauen schwerer machen, sich Gehör zu verschaffen. Das Netz hat hier nur ein wenig „Waffengleichheit“ geschaffen.

Fazit: Ungleichheit zwischen den Geschlechtern funktioniert zum Teil auf eine sehr subtile Art und Weise. Diese Mechanismen muss man erst erkennen - und anerkennen - bevor man sie bekämpfen kann, gesellschaftlich, politisch und von Mensch zu Mensch.

Und mal angenommen, wir würden diese Mechanismen abschaffen? Angenommen, Frauen würden in mehr gesellschaftlichen Bereichen eine Stimme bekommen. Männer hätten dadurch nicht weniger Einfluss. Denn Einfluss ist nichts, das weniger wird, wenn man es gleichmäßig verteilt. Genau wie die Menschenrechte.

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