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Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Secondhand schlägt Amazon Ausgerechnet Frankreich zeigt, wie es geht

In Frankreich hat die Plattform Vinted für Secondhand-Kleidung erstmals mehr verkauft als jeder andere Mode-Anbieter. Gut so, findet unsere Kolumnistin. Aber Secondhand-Kleidung ist für sie kein Freifahrtschein zum Shoppen.
Ich muss zugeben, ich bin spät dran: Vor Kurzem habe ich zum ersten Mal etwas bei Vinted gekauft. Das ist eine Onlineplattform, auf der jedermann gebrauchte Kleidung kaufen und verkaufen kann. Von T-Shirts für drei Euro bis zu Handtaschen von Luxusmarken für mehrere Hundert Euro gibt es dort alles. Angeboten werden die Waren von Privatpersonen. Einige Angebote zeigen ungebügelte Hosen, ausgebreitet auf dem Fußboden, oder Blusen auf Kleiderbügeln, aufgehängt an Türklinken; andere wirken fast professionell fotografiert. Wie in anderen Onlineshops finden sich Angaben über die Größe, den Preis, die Farbe und das Material. Zusätzlich gibt es eine Information darüber, wie gut die Sachen erhalten sind: gut, sehr gut oder neu. Nicht wenige Artikel werden noch mit Preisschild angeboten.
In Frankreich hat Vinted laut einer Auswertung des Institut Français de la Mode (IFM) in den ersten drei Monaten des Jahres 2025 mehr Teile verkauft als jeder andere Mode-Anbieter. Vinted lag sogar vor Amazon, vor der verbreiteten französischen Billigmarke Kiabi und vor den asiatischen Billig-Onlinehändlern Temu und Shein. Schon 2024 hatte das Unternehmen, das mittlerweile Käufer und Verkäuferinnen in vielen europäischen Ländern verbindet, ein starkes Wachstum gemeldet. 2024 hatte sich der Umsatz der Secondhand-Plattform um 36 Prozent auf knapp 740 Millionen Euro gesteigert.
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Gebrauchte Kleidung finde ich plötzlich cool
Secondhand-Verkäufe sind im Kommen. Dem Bericht zufolge machen Wiederverkäufe in Frankreich mittlerweile 10,9 Prozent des gesamten Bekleidungsumsatzes aus. Bei jungen Menschen zwischen 18 und 34 Jahren liegt der Marktanteil sogar bei 16,3 Prozent. Mit 9,1 Prozent Umsatzanteil lag Deutschland 2024 noch etwas hinter dem Nachbarland, knapp die Hälfte der Deutschen hat schon mal gebrauchte Kleidung gekauft. Auch hier wächst der Markt kontinuierlich. Und das ist eine gute Nachricht. Denn die Modeindustrie verschmutzt nicht nur stark die Umwelt, sie verbraucht auch wertvolle Ressourcen. Wer also Secondhand-Mode kauft, leistet einen wichtigen Beitrag, um diese Probleme einzudämmen.
Ich selbst habe mich erst nach und nach an gebrauchte Kleidung herangetastet. In meiner Kindheit haben wir manchmal getragene Klamotten von älteren Cousinen und Freunden bekommen, oder aussortierte Sachen zum "An- und Verkauf" gebracht. Gekauft haben wir dort aber nie. Das sei etwas für ärmere Menschen, dachte ich lange. Teilweise galt gebrauchte Kleidung sogar als Makel oder unhygienisch. Doch während meines Studiums erschien gebrauchte Kleidung nicht nur interessant für mich, weil sie weniger kostete – sondern auch, weil sie plötzlich als cool galt. Die Läden hießen nicht mehr "Zweite Hand", sondern "Vintage" und suggerierten einen gewissen Stil und sogar Wertigkeit. Dass Secondhand-Käufe auch gut für Umwelt und Klima sind, hat mich lange gar nicht interessiert.
Die Daten der Modeindustrie
Dabei sind die Argumente schlagend. Die Modeindustrie ist für 10 Prozent der CO2-Emissionen weltweit verantwortlich und erzeugt mehr Treibhausgase als die Luft- und Schifffahrt zusammen. Tendenz steigend. Für die Herstellung von Textilien werden außerdem viele natürliche Ressourcen verbraucht. Der Textilsektor war im Jahr 2020 die drittgrößte Quelle für Wasserverschmutzung und Flächenverbrauch. Dem EU-Parlament zufolge wurden in dem Jahr durchschnittlich pro EU-Bürger neun Kubikmeter Wasser, 400 Quadratmeter Land und 391 Kilogramm Rohstoffe benötigt, um Kleidung und Schuhe herzustellen. Schätzungen zufolge ist die Textilproduktion für etwa 20 Prozent der weltweiten Wasserverschmutzung durch Färben und Veredelung verantwortlich. Um ein einziges Baumwoll-T-Shirt herzustellen, braucht es schätzungsweise 2.700 Liter Süßwasser. Das ist so viel, wie eine Person während 2,5 Jahren zum Trinken benötigt.
Eine einzige Waschmaschinenladung voll Polyesterkleidung kann 700.000 Mikroplastikfasern freisetzen, die in die Nahrungskette gelangen können. Dabei wird der größte Teil des Mikroplastiks während der ersten paar Waschgänge freigesetzt. Die globale Textilproduktion hat sich seit dem Jahr 2000 mehr als verdoppelt. Was auch daran liegt, dass Kleidung immer kürzer getragen wird.
60 Kleidungsstücke pro Jahr
Im Durchschnitt kauft jeder Deutsche 60 Kleidungsstücke pro Jahr. Knapp 40 Prozent davon werden nie oder nur selten getragen. Onlineshopping verstärkt diese Tendenz weiter. 80 bis 400 Tonnen Partikel Mikroplastik werden schätzungsweise durch Kleidung in Deutschland freigesetzt. Pro Jahr werden mehr als 15 Kilogramm Alttextilien pro Person gesammelt. Das sind etwa zwei Drittel der entsorgten Kleidung, ein weiteres Drittel landet im Restmüll. Davon werden rund 62 Prozent zur Wiederverwendung aufbereitet, knapp 26 Prozent werden recycelt. Das klingt erst mal gar nicht schlecht, heißt aber, dass alte, oft wenig brauchbare Kleidungsstücke in Entwicklungsländer exportiert werden oder daraus Putzlappen oder Dämmmaterial entstehen. Nur ein Prozent wird zur Produktion neuer Kleidung eingesetzt.

Kleidung länger zu nutzen, trägt dazu bei, all diese negativen Auswirkungen auf unsere Umwelt, unseren Nahrungs- und Wasserkreislauf zu reduzieren. Gebrauchte Kleidung ist grundsätzlich nachhaltig, da weiterverwendet wird, was es bereits gibt. Weniger neu gekaufte Klamotten bedeuten weniger Emissionen, weniger Wasser- und Landverbrauch, weniger Mikroplastik. Dabei ist es normal und verständlich, dass man mal neue Kleidungsstücke braucht oder alte nicht mehr passen.
Secondhand-Kleidung ist kein Freifahrtschein zum Shoppen
Vor allem Eltern kennen das gut: Die Sporthose ist noch einwandfrei, aber die Tochter ist schon wieder herausgewachsen. Viele meiner Freundinnen (und ja, es sind vor allem die Mütter) haben daher in den vergangenen Jahren "Mamikreisel" genutzt, eine Verkaufsplattform für Kinderkleidung, um zu klein gewordene Kleidung zu verkaufen und neue zu besorgen. "Mamikreisel" war wie das Erwachsenen-Pendant "Kleiderkreisel" ein Angebot der Firma Vinted, die 2020 zu einer einzigen Plattform zusammengeführt wurden.
Ich werde allerdings auch in Zukunft wohl wenig zum Vinted-Umsatz beitragen. Denn ich bin kein großer Fan davon, Kleidung online zu kaufen. Auch Socken und Unterwäsche, Schlafanzüge und Sportkleidung kaufe ich zwar möglichst nachhaltig, aber dennoch neu. Was ich aber liebe, vor allem wenn ich verreise, sind Secondhand-Läden. Die gibt es in vielen, auch kleinen Städten im In- und Ausland. Hosen und Röcke, Blusen, T-Shirts und Jacken – viele meiner Lieblingsstücke habe ich so entdeckt.
Ein Freifahrtschein zum Shoppen ist Secondhand-Kleidung für mich trotzdem nicht. Wer Kleidung nur verkauft, um für Neues Platz und Geld zu machen, oder regelmäßig mehr kauft, als er braucht, weil es günstig ist, unterstützt die Überproduktion im Zirkus der schnellen Mode-Trends, auch mit gebrauchten Sachen. "Reduce, reuse, recycle" (reduzieren, wiederverwenden, wiederverwerten) heißt ein Slogan, der Bewusstsein dafür fördern soll, wie wichtig es ist, Abfall zu vermeiden und – erst im dritten Schritt – zu recyceln. Aber wer nur kauft, was er braucht, hat mit gebrauchter Kleidung ökologisch und finanziell einen echten Vorteil.
- fashionunited.de: "Vinted ist der größte Modehändler in Frankreich"
- statista.com: "Umsatzanteil von Secondhandkleidung in Deutschland" (Deutsch)
- momox.biz: "momox Second Hand Report Bücher und Medien 2024" (Deutsch)
- statista.com: "CO₂e-Emissionen der weltweiten Bekleidungsindustrie bis 2030" (Englisch)
- bmuv.de: "Mode und Textilien – Nachhaltiger Konsum und Produkte"
- earth.org: "Fast Fashion Statistics" (Englisch)
- mckinsey.com: "Textile-Recycling: Pressemitteilung vom 14. Juli 2022" (Deutsch)
- utopia.de: "Ist gebrauchte Kleidung doch nicht nachhaltiger? 4 Argumente auf dem Prüfstand"