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Ist diese Begierde noch normal?


Kolumne "Lust, Laster und Liebe"
Ist diese Begierde noch normal?

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MeinungEine Kolumne von Jennifer Buchholz

Aktualisiert am 16.11.2022Lesedauer: 3 Min.
Meinung
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Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
Schuhe: High Heels gelten als erotisch.Vergrößern des Bildes
Schuhe: High Heels gelten als erotisch. (Quelle: LightFieldStudios/getty-images-bilder)

"Ich gebe dir 80 Euro, wenn ich sie dir ausziehen darf!" Das Objekt der Begierde: ein altes Paar High Heels, das vor fünf Jahren 60 Euro gekostet hat. Der Interessierte: ein Mann.

Nach dem Ausmisten standen sie vor ihr: Zehn Paar getragene Schuhe, die noch relativ gut aussahen. Also stellte Anne sie zum Verkauf ins Internet. Anders als gedacht waren ihre alten Treter heiß begehrt – allerdings nicht von Frauen, sondern von Männern, die eindeutige Anfragen schickten: "Wie alt ist die Trägerin? Gibt es Bilder mit den Schuhen und der Trägerin?" oder auch "Riechen die Schuhe?" und "Darf ich Ihnen die Schuhe bei der Übergabe an- und wieder ausziehen?" Anne war geschockt. Ihre erste Reaktion: "Das ist doch pervers!" Aber sind die Gelüste der Schuhfetischisten wirklich schlimm?

Das Objekt der Begierde

Spätestens seit dem 18. Jahrhundert ist der Fetisch für Schuhe als sexuelle Neigung bekannt. Ab dieser Zeit erschienen immer wieder Schriftstücke – beispielsweise von Nicolas Rétif de La Bretonne (“Le Pied de Fanchette“, zu Deutsch: Fanchettes Fuß) oder Honoré de Balzacs ("Le Chef-d'oeuvre inconnu", zu Deutsch: Das unbekannte Meisterwerk) –, die Füße und Schuhe als erotisches Objekt beschrieben. Dabei ist jedoch bis heute bei dem Schuhfetisch zu beachten: Nicht die Trägerin oder der Träger erregt den anderen. Vielmehr ist es der Schuh an sich, um den sich die sexuellen Begierden und Gelüste drehen. Und das muss nicht immer der High Heel (Altocalciphilie) oder Lackstiefel sein. Gummistiefel, Sportschuhe oder Clogs sind bei einigen Männern und Frauen mit der sexuellen Neigung ebenfalls beliebt – besonders, wenn sie getragen werden oder wurden. Denn neben dem Tragen erregt auch der Geruch benutzter Schuhe einige Fetischisten.

Mit dem Schuhfetisch zur Therapie?

Zahlen, wie weit der Fetisch verbreitet ist, gibt es nicht. Schuhfetischisten verschweigen ihre sexuelle Neigung häufig oder leben sie heimlich mit dem Partner oder in geheimen Gruppen aus. Ein möglicher Grund: Laut Sexualmedizin handelt es sich bei einem Fetisch um eine "Störung der Sexualpräferenz".

"Störungen der Sexualpräferenz" bzw. "paraphile Störungen" nach ICD-10 und DSM-5
"Unter die paraphilen Störungen fallen nach Kriterium A des DSM-5 "über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten wiederkehrende und intensive sexuelle Erregung, [...] in Fantasien, dranghaften Bedürfnissen oder Verhaltensweisen [...]", bezogen auf [...] unbelebte Objekte[...] (Fetischismus)."

Dabei muss ein Schuhfetisch nicht zwingend eine "Störung" sein. Erst wenn "unübliche sexuelle Aktivierungsmuster im Erleben so viel Raum einnehmen, dass die Person entsprechend handelt oder unter ihnen leidet", handelt es sich um eine Störung oder Paraphilie und sollte therapiert werden.

Ist ein Schuhfetisch pervers?

Sich von Schuhen sexuell angezogen zu fühlen oder durch sie erregt zu werden, ist also laut Medizinern bis zu einem gewissen Maße weder krank noch pervers. Und es kann angesichts des großen Schuhangebots in Erotikshops oder Beiträgen in Fetisch-Foren davon ausgegangen werden, dass viele diese sexuelle Vorliebe haben. Nichtsdestotrotz spricht kaum einer darüber. Und somit gilt der Schuhfetisch weiterhin als Tabuthema und wird dementsprechend in der Öffentlichkeit abgewertet.

Schuhfetisch weiterhin verschweigen?

Dabei sind der Schuhfetisch sowie alle anderen Fetische eine individuelle Neigung und somit Teil der eigenen Sexualität. Es gibt demnach keinen Grund, sich dafür zu schämen oder ihn zu unterdrücken – sofern dadurch niemand zu Schaden kommt. Sicherlich ist es ein ungewohntes und für einige unbekanntes oder unbequemes Thema. Das ist allerdings noch lange kein Grund, die Personen zu verurteilen, die sich offen zu ihrer sexuellen Präferenz bekennen. Vielmehr ist es ein wichtiger Schritt für die eigene sexuelle Identität. Sie sollte daher gegenüber einem selbst nicht geleugnet oder vor dem Partner verheimlicht werden.

Anne hat ihre Schuhe an weibliche Interessenten verkauft. Ihr war es zu heikel, den Schuhfetischisten ihren richtigen Namen zu nennen oder sich mit ihnen zu treffen. "Auch wenn einige Männer sehr freundlich fragten, ob es für mich in Ordnung sei, meine Schuhe als sexuelle Stimuli zu nutzen, fühlte ich mich nicht wohl damit", erzählte Anne.

Niemand sollte anderen zuliebe etwas tun, wobei er sich unwohl fühlt. Manchmal kann es aber auch gut sein, nicht alles sofort als negativ abzustempeln, sondern etwas offener zu sein. Vielleicht braucht es noch ein wenig Zeit, weitere Aufklärung und mehr Offenheit der Gesellschaft, ehe harmlose sexuelle Neigungen etwas mehr Akzeptanz finden.

Jennifer Buchholz, Redakteurin bei t-online.de, schreibt in ihrer Kolumne "Lust, Laster, Liebe" über Liebe, Partnerschaft und Sex.

Verwendete Quellen
  • Institut für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin CCM der Charité – Universitätsmedizin Berlin: ICD-10 Diagnoseschlüssel F65: Störung der Sexualpräferenz
  • Stephan Grunst, Ralf Flüggen: Neurologie und Psychiatrie. Elsevier GmbH, 2005, ISBN 3-437-48120-7, S. 218.
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