Kinderarmut Wo in Deutschland am meisten arme Kinder leben
Urlaub kennen sie nicht, ihre Wohnverhältnisse sind miserabel, es fehlt ihnen sogar an warmer Winterkleidung: 19 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland sind von Armut bedroht. Eine brisante Studie der Hans-Böckler-Stiftung zeigt, wo die Not am größten ist.
In Bremen und Mecklenburg-Vorpommern ist das Armutsrisiko für Kinder mit mehr als 33 Prozent bundesweit am höchsten. Das geht aus der in Düsseldorf vorgestellten Untersuchung zur regionalen Armutsentwicklung hervor, die auf Zahlen von 2012 beruht. Die niedrigste Quote gibt es in der bayrischen Oberpfalz mit knapp zehn Prozent, dicht gefolgt von weiteren Gegenden in Bayern und Baden-Württemberg. Der Bundesdurchschnitt lag demnach 2012 bei 18,9 Prozent.
Experten schlagen Alarm
Obwohl Bremen die höchste Quote von Kinderarmut hat, ist die Einkommensarmut im Osten generell verbreiteter als im Westen. In Berlin, in Teilen Brandenburgs, rund um Chemnitz und Leipzig sowie in Sachsen-Anhalt liegt sie zwischen 25 und 30 Prozent.
Allerdings habe es in den vergangenen Jahren eine Annäherung zwischen beiden Landesteilen gegeben, schrieben die Sozialwissenschaftler in ihren neuen WSI-Report. Während die Kinderarmut in Ostdeutschland seit 2005 sank, stieg sie insbesondere in einigen Regierungsbezirken Nordrhein-Westfalens deutlich an.
Vor allem über die Situation in Nordrhein-Westfalen äußerten sich die Experten alarmiert. "Das Ausmaß und die Entwicklung der Einkommensarmut unter Kindern in den Regionen Nordrhein-Westfalens sind bedenklich", erklärten sie. So habe es im Bezirk Münster im Vergleichszeitraum den bundesweit höchsten Anstieg der Quote von 18 Prozent auf 22,4 Prozent (2012) gegeben.
Die Tabelle zeigt den Anteil der armutsgefährdeten Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren nach Bundesländern:
Bundesland | Armutsgefähr- dungsquote | Bundesland | Armutsgefähr- dungsquote |
Bremen | 33,7 Prozent | Niedersachsen | 21,1 Prozent |
Mecklenburg-Vorpommern | 33,5 Prozent | Thüringen | 21,0 Prozent |
Sachsen-Anhalt | 29,2 Prozent | Saarland | 19,4 Prozent |
Berlin | 26,9 Prozent | Rheinland-Pfalz | 18,4 Prozent |
Sachsen | 25,1 Prozent | Hessen | 16,3 Prozent |
Brandenburg | 24,9 Prozent | Schleswig-Holstein | 15,6 Prozent |
Nordrhein-Westfalen | 21,8 Prozent | Baden-Württemberg | 13,2 Prozent |
Hamburg | 21,3 Prozent | Bayern | 11,7 Prozent |
Feuchte Wände, keine warme Kleidung, kein Urlaub - das bedeutet Armut in Deutschland
Armutsgefährdung habe für Kinder und Jugendliche konkrete Folgen und führe etwa zu mangelhafter Versorgung mit wichtigen Gütern, warnten die Experten. So lebten in Westdeutschland 9,7 Prozent der armen Kinder in einem Haushalt, in dem es an angemessen warmer Winterkleidung fehle. Im Osten seien es sogar 12,1 Prozent. In der Gesamtbevölkerung sind es demnach dagegen nur 2,8 Prozent.
Nach Informationen von "Spiegel Online" lebt weiterhin jedes elfte arme Kind in Westdeutschland und jedes siebte im Osten in einer Wohnung mit feuchten Wänden. Urlaubsreisen gibt es für etwa 70 Prozent der armutsgefährdeten Kinder nicht.
Armutsrisiko seit Jahren gleichbleibend
Bundesweit blieb die Armutsgefährdungsquote bei unter 18-Jährigen den Angaben zufolge in den vergangenen Jahren weitgehend stabil. 2005 hatte sie noch bei 19,5 Prozent gelegen, seitdem pendelt sie zwischen 18,2 und 18,9 Prozent.
Die Untersuchung stützt sich auf die Ergebnisse von amtlichen Haushalts- und Einkommensbefragungen, die eine genauere Aufschlüsselung nach Bundesländern beziehungsweise Regierungsbezirken zulassen. Die Berechnung von Armutsquoten ist kompliziert. Nach einem EU-weiten Standard gilt als armutsgefährdet, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Nettoeinkommens seiner Umgebung zur Verfügung hat - wobei Kinder in Familien oder Haushaltsgemeinschaften bei ihren Bedürfnissen anders gewichtet werden als Erwachsene.
Familienpolitik und Wirtschaft stehen in der Pflicht
Wie aber kann es überhaupt zu Kinderarmut kommen in einem Land, das jährlich mehr als 200 Milliarden Euro in die Familienpolitik steckt? Nach Ansicht von Experten liegt es vor allem daran, dass diese Milliarden ungerecht verteilt werden. Ein Beispiel sei das Kindergeld: Die Summe ist immer die gleiche - unabhängig davon, "ob man Millionär oder Aufstocker ist", gibt "Spiegel Online" die Kritik wieder.
Laut "Spiegel" nehmen die Forscher der Hans-Böckler-Stiftung jedoch vor allem die Wirtschaft in die Pflicht. Um die Kinderarmut in Deutschland zu bekämpfen, sei es dringend nötig, deutlich höhere Löhne im unteren Lohnsegment zu zahlen. Was nämlich real bei den Eltern ankomme, gehe laut der Experten direkt wieder zu den Kindern.