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Oktoberfest, Wasen & Co.: Corona-Krise bedroht Schaustellerbranche


Schausteller in der Corona-Krise
"Bis Jahresende ist die halbe Branche ausgerottet"

  • Melanie Muschong
Von Melanie Muschong

12.08.2020Lesedauer: 5 Min.
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Festplatz in Brandenburg: Peter Müller vor seinem Kinderkarussell.Vergrößern des Bildes
Festplatz in Brandenburg: Peter Müller vor seinem Kinderkarussell. (Quelle: Daniel Rosenthal/leer)

In fast allen deutschen Städten gibt es regelmäßig Volksfeste. Doch durch die Pandemie ist die Schaustellerbranche bedroht. Betroffene berichten – von ihren Ängsten und ihrer Wut.

"Bis hier hin haben wir es geschafft: Über den Ersten und den Zweiten Weltkrieg. Nun wollen wir hoffen, dass der Betrieb irgendwie auch durch die Pandemie kommt", sagt Peter Müller, Vorsitzender des Schaustellerverbands Berlin, im Gespräch mit t-online.de. Müller besitzt selbst vier Kinderkarussells, zwei größere Fahrgeschäfte und einen Eisstand. Der Familienbetrieb existiert bereits seit dem Jahr 1904. "Hoffentlich hat das alles bald ein Ende", so Müller: "Denn hier geht es ums nackte Überleben, es geht um die Existenz."

Emotionale Worte eines Mannes, der weiß, wie es vielen Schaustellern in Deutschland aktuell geht.

Nur ein Beispiel: Im vergangenen Jahr besuchten noch 6,3 Millionen Menschen das Oktoberfest in München. Eine Traditionsveranstaltung, die Touristen aus der ganzen Welt anzieht. Rund zwei Wochen im Jahr können Besucher dort die "Wilde Maus" fahren, eine Maß bestellen oder der Liebsten ein Lebkuchenherz kaufen. Doch in diesem Jahr findet das weltbekannte Fest nicht statt – die Corona-Pandemie macht der Mega-Party einen Strich durch die Rechnung. Und nicht nur dem Oktoberfest: Jahrmärkte, Rummel, Zirkusse und viele andere traditionsreiche Veranstaltungen fallen in diesem Jahr in Deutschland aus. Und die Schausteller, die normalerweise deshalb im ganzen Land unterwegs sind, fürchten um ihre Zukunft.

Laufende Kosten werden von Ersparnissen bezahlt – wenn es gut läuft

"Im Moment steht alles still", sagt Müller. Seine laufenden Kosten muss er dennoch bezahlen. Von seinen Ersparnissen: Karussell-Abnahme, Fahrzeug-Abnahme, vier Anhänger, die Versicherungen der vier Anhänger. Rund 2.000 Euro im Monat muss er aktuell begleichen. Und dabei geht es ihm noch ganz gut. Denn im Gegensatz zu vielen anderen Schaustellern kann Müller aktuell noch arbeiten. Mit dem "Ludwigsland" in Ludwigsfelde (Brandenburg) hat er sich einen kleinen Rummel aufbauen können. Zäune, Absperrbänder und Warnschilder inklusive. Das Land Brandenburg erteilte ihm die Genehmigung. "Hätten wir das nicht tun können, weiß ich gar nicht, wie es hätte weitergehen sollen", so Müller.

Doch die Behörden bleiben vorsichtig. Viele dieser Mini-Rummel gibt es nicht. Müller hatte Glück im Unglück. "Einen auseinandergestellten 'Rummel', wo Karussells und Buden mit Abstand und Vorhöfen ihrem Betrieb nachkommen können? Es gibt keine logische Erklärung, warum das nicht sein kann", sagt Müller. Er läuft über den Schotter in Ludwigsfelde, dann klingelt sein Telefon.

Michael Roden, der Vorsitzende der Schausteller in Berlin, ruft an. Der 57-Jährige hat zwei Kinder und führt seinen Eventbetrieb in der vierten Generation. Er ist mit den Berliner Behörden im Daueraustausch. Seine Biergärten, sein Catering, seine Verlosungen, alles liegt auf Eis.

"Über 100 Mitglieder haben keine Einnahmen"

"Über die Hälfte, also über 100 unserer Mitglieder, haben aktuell gar kein Einkommen. Im Schaustellergewerbe sind die finanziellen Einnahmen um 90 Prozent eingebrochen", erklärt Roden, als er vor seinem Imbiss auf dem Berliner Ku'damm steht. Eine Notlösung, um etwas dazuzuverdienen.

"In Berlin ist es sehr schwierig, sich mit den Bezirken auseinanderzusetzen, weil sie nicht bereit sind, Zulassungen rauszugeben. Gründe werden uns nicht genannt. Gerade der Bezirk Mitte mit unserem Festplatz tut sich schwer", erzählt Roden. Dort gab es zuletzt eine Corona-Teststation, die inzwischen wieder abgebaut wurde. Frühlingsfest und Sommerfest wurden abgelehnt.

"Das wäre der Todesstoß für unser Gewerbe"

Jetzt gibt es nur noch eine Hoffnung. "Wir brauchen die Weihnachtsmärkte in Berlin", fordert Roden. "Das ist der letzte Strohhalm, an den wir uns klammern. Wenn die Weihnachtsmärkte nicht durchführbar sind, dann wird es in unserer Branche, die 1.200 Jahre alt ist, viele Insolvenzen geben. Das wäre der Todesstoß für unser Gewerbe."

Die aktuelle Situation ist extrem schwierig für Schausteller. Ohne frische Einnahmen, ohne Perspektive. Wie lange wird dieser Zustand noch bleiben? "Wir wollen keine Stütze, wir wollen kein Geld bekommen fürs Nichtstun. Wir wollen eigentlich nur unserer Arbeit nachgehen", sagt Rodens Kollege Müller.

"Wer kann so überleben?"

Besonders hart hat es auch Familie Klar getroffen. "Seit Dezember haben wir kein Einkommen mehr", sagt Thomas Klar. In Dabendorf bei Zossen (Brandenburg) nutzt er notgedrungen die Zeit, um auf seinem Grundstück seine Buden zu putzen. Umgeben von Gräsern und Bäumen. Sein Bierwagen ist bereits eingewachsen von Gestrüpp.

"Man fällt in ein tiefes Loch"

"Wir haben die Corona-Hilfe gekriegt, aber die hält ja auch nicht auf ewig. Welcher Betrieb kann sieben Monate überleben, ohne einen Euro einzunehmen? Das funktioniert doch nicht", so Klar. Und selbst wenn nun die Weihnachtsmärkte stattfinden könnten – er bleibt pessimistisch. Denn: "Wenn Weihnachtsmärkte stattfinden würden, aber keine Touristen kommen, sind wir danach pleite."

Auch Frau Klar erklärt ihre Gefühlswelt: "Man fällt in ein tiefes Loch. Man muss irgendwie wieder aufstehen. Aber soll ich kellnern gehen? Die brauchen mich nicht. Ich kann nichts machen, ich muss warten, bis es wieder los geht. Bis dahin brauchen wir Hilfe."

"Es ist wie Krieg, nur, dass keine Häuser zerstört werden"

Wenn Thomas Klar darüber spricht, wie viel er sonst unterwegs ist, kommt seine Begeisterung für seinen Beruf durch. Neben ihm steht sein Wagen mit Holzverkleidung, mit dem er sonst auf Weihnachtsmärkten unterwegs ist. Einen Meter weiter sein Imbiss. "Es ist eine Pandemie, das hat noch keiner durchgemacht. Es ist wie ein Krieg, nur, dass keine Häuser zerstört werden. Wer weiß, wie lange ich mein Auto noch fahren kann. Die Banken machen auch keine Stundungen mehr", berichtet Klar.

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Er ist mit seinen Schaustellerkollegen per Telegram und WhatsApp im Austausch. Klar erklärt, dass man als Schausteller sonst immer in Krisensituationen die älteren Betreiber um Rat gefragt hat. Doch momentan haben auch die Älteren keine Antworten. Eine Pandemie hat noch keiner von ihnen erlebt.

Klar hat in Berlin-Tempelhof eine Halle von 400 Quadratmetern, in denen er Grillutensilien, Stromkästen und Tresen lagert. "Mein Vermieter kommt mir schon entgegen. Aber wie viel Geld soll ich 2021 einnehmen, um die Zahlungen von 2020 zu tätigen, die offen geblieben sind?", fragt der 53-Jährige.

"Bis Jahresende ist die halbe Branche ausgerottet"

Und er hat einen 29-jährigen Sohn, der 2015 erst in die Branche eingestiegen ist. "Mein Sohn hat erst angefangen, dann kam der Anschlag auf dem Breitscheidplatz, dort hat er seine Hütte verloren und musste sich eine neue kaufen. Jetzt ist die Pandemie." Ein besonders bitteres Los.

Für die Zukunft malt Klar ein düsteres Bild für seinen Berufszweig. Und sein Kollege Peter Müller bestätigt dies.

"Bis Jahresende ist die halbe Branche ausgerottet. Wir sind bei allen Bezirksämtern am Betteln und auf jede Veranstaltung angewiesen", sagt der zweite Vorsitzende des Berliner Schaustellerverbands. Doch noch läuft zumindest bei Müller ein Teil des Geschäfts.

In Ludwigsfelde auf seinem kleinen Rummel stehen überall Schilder, welche auf die Abstandseinhaltung hinweisen. Die wenigen Kinder auf dem Festplatz erfreuen sich trotzdem an den aufregenden Fahrgeschäften. Klar: Ein Rummel ist dafür da, um den Gästen eine Freude zu bereiten. Und die kann man aktuell auch ganz gut gebrauchen.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
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