Superspreader-Party "Wir dachten, wir waren wirklich vorsichtig"
Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.20 Leute feiern einen 30. Geburtstag und fünf Tage später sind zehn mit Corona infiziert. Der Fall aus München bestätigt zwei Wahrheiten über das Impfen und die Tücken des Virus.
Die fröhliche Geburtstagsfeier in einer Münchner Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung lag schon vier Tage zurück, da bekam die WhatsApp-Gruppe für die Party-Gäste einen zynischen neuen Namen: "Geburtstag Nepomuk" wurde umgetauft in "Corona-Gang". Denn Nepomuk hat zum 30. Geburtstag 19 Besucher und das Virus bekommen, und die Hälfte seiner Gäste hat sich ebenfalls angesteckt. Virologe Christian Drosten dient der Fall als Beleg für die Schwäche von Konzepten, die bei der hohen Inzidenz auf Schnelltests vertrauen.
Die Partygesellschaft hatte eigentlich alles getan, um zu verhindern, was dann passierte. Nepomuk sagt t-online: "Wir dachten, dass wir wirklich, wirklich vorsichtig sind." Alle waren geimpft oder genesen, und alle waren auch getestet.
Feier ging bis 3 Uhr
Was daraus wurde, ist einerseits erschreckend und andererseits beruhigend. Trotz der Tests und der Impfung gibt es zehn Infizierte, vielleicht auch dank der Impfung hat keiner schwere Symptome. t-online hat den Fall mit Gastgeber und Gästen nachvollziehen können. Es ist die Geschichte eines Superspreader-Events, das sich keiner der Beteiligten vorstellen konnte.
Nepomuk will wie die Gäste seinen vollen Namen nicht in diesem Bericht lesen, sagt er am Telefon. "Es war eine schöne Feier und es ging bis 3 Uhr. Aber es ist nicht so toll, wenn sich dann dort die Leute anstecken." Seine Frau hatte die Party organisiert und dafür eine WhatsApp-Gruppe zunächst ohne ihn eröffnet: Wer am 12. November, einem Freitagabend, mitfeiern wolle, solle noch das Foto eines aktuellen negativen Schnelltests in die WhatsApp-Gruppe posten.
Die rund 20 Gäste, der jüngste 19 Jahre alt, der älteste 37, schickten ihre Fotos, überwiegend von Schnelltests, aber auch von zwei PCR-Tests. Und von allen wisse er, dass sie genesen oder geimpft sind, berichtet Nepomuk. Eine Veranstaltung nach dem 2G-plus-Prinzip, in das Gastronomie und Veranstalter viele Hoffnungen setzen.
Tests bei Geimpften weniger verlässlich?
Schnelltests können aber vor Symptombeginn zu ungenau sein, erklärte Christian Drosten auf Twitter dazu. Und vorläufige Daten bei Geimpften deuteten darauf hin, dass bei ihnen noch mehr Infektionen im frühen Stadium unerkannt bleiben.
Das Virus war auf der Party, und es verbreitete sich.
Am Dienstag, vier Tage nach der Feier, ging es los. Partygast Daniela, 33, war auf ihrer Arbeitsstelle zwischenzeitlich noch einmal negativ getestet worden und wunderte sich dort über das Vibrieren ihres Handys. "WhatsApp, aber auf der Arbeit schaue ich nicht danach." Nachdem ihr Freund zum zweiten Mal durchgeklingelt hatte, rief sie ihn zurück. In der WhatsApp-Gruppe hatte der Erste gepostet, dass er sich nach Symptomen getestet hat und positiv ist: "Wäre sinnvoll, wenn Ihr euch auch testen lasst." Ab da stand das Handy nicht mehr still: weitere positive Schnelltests, auch bei Danis Freund.
Dani verständigte ihre Chefin und ging umgehend heim und zum PCR-Test. Bei Dani war er negativ, bei ihrem Freund positiv. Bei Gastgeber Nepomuk und seiner Frau positiv. Die Überraschung und zum Teil auch Verunsicherung waren groß. "Ich hatte am Samstag Familienbesuch", berichtet Dani. "Und mein Vater bekommt aktuell eine Chemo. Ich war auch deshalb immer sehr vorsichtig." Er hat sich nicht angesteckt.
Ein Gast hatte hohes Fieber
Es gibt mehrere Pärchen von der Party, bei denen es lief wie bei Dani und ihrem Freund: Ein Partner steckte sich an, der andere nicht. Am heftigsten erwischte es Marie, befreundet mit Nepomuk und Dani. In einer Nacht hatte sie sogar 41 Grad Fieber. "Aber ihr geht es inzwischen auch wieder besser." Für die anderen fühlt es sich wie eine Erkältung an, oder sie merken gar nichts.
"Das Virus ist unberechenbar", sagt der Soziologe Robert (37). "An unserem zufälligen Experiment lässt sich das sehr gut nachvollziehen, weil wir alle in der WhatsApp-Gruppe sind." Roberts Tests nach der Party waren negativ. Er hat den Fall auf Twitter öffentlich gemacht: Seither verbreitet sich viral, wie das Virus die Partygesellschaft austrickste.
Wir benötigen Ihre Einwilligung, um den von unserer Redaktion eingebundenen X-Inhalt anzuzeigen. Sie können diesen (und damit auch alle weiteren X-Inhalte auf t-online.de) mit einem Klick anzeigen lassen und auch wieder deaktivieren.
In Roberts Twitter-Account gehen massenhaft Kommentare ein. "Weniger Hass, als ich dachte. Wahrscheinlich, weil das Geschehen nicht mit einer simplen Botschaft verbunden ist." Der Vorfall spiele weder Impfverweigerern noch Impfbefürwortern in die Karten – oder beiden. "Es ist ambivalent, so wie das gesamte Pandemiegeschehen", sagt Robert. "Einfache Antworten gibt es nicht."
"Jetzt sagen Leute eine Feier ab"
Er findet bemerkenswert, was die Schilderung auch auslöst: "Es antworten Leute, dass sie deshalb jetzt eine Feier absagen oder doch nicht auf eine Feier gehen", berichtet er t-online. "Vielleicht leistet die Schilderung jetzt sogar einen Beitrag dazu, dass Infektionsketten unterbrochen werden. Leute merken, dass Kontaktvermeidung wirklich das wichtigste Mittel ist, die Ausbreitung zu stoppen."
Er habe aber keine Mission oder Erwartungen damit verbunden, als er seinen Bericht über Twitter teilte. "Eigentlich ist die Geschichte ja banal, die Reichweite, die das jetzt bekommt, hat mich überrascht." Zahlen und Daten zeigten auf Menschen oft nicht die gleiche Wirkung wie narrative Evidenz, also das realitätsnahe Schildern eines konkreten Erlebnisses, das an die Erfahrungen anderer Menschen unmittelbar anschließt.
Nach dem Partyerlebnis sieht Gastgeber Nepomuk auch die Nachricht mit etwas anderen Augen, die er im Briefkasten gefunden hat, an den er in der Quarantäne eigentlich nicht hätte gehen dürfen. Post vom Gesundheitsamt München – und eine ironische Wendung: "Ich soll mich ja freitesten können am Ende der Quarantänezeit. Mit einem negativen Schnelltest."
- Telefonate mit Robert Jende, Nepomuk und Dani
- Twitter: Tweet Christian Drosten