t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomeRegionalBremen

Der Mord an Rolf S. (15): Sie kehrten zurück und spuckten auf seine Leiche


Spektakuläres Verbrechen
Sie kehrten zurück und spuckten auf seine Leiche

Von Steffen Koller

05.06.2023Lesedauer: 4 Min.
Nachrichten
Wir sind t-online

Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.

Zum journalistischen Leitbild von t-online.
Prozessauftakt am Landgericht Bremen (Archivfoto): Die Angeklagten Jan G. (l) und Fabian W. waren gerade mal 20 und 18 Jahre alt, als sie auf der Anklagebank Platz nahmen.Vergrößern des Bildes
Prozessauftakt am Landgericht Bremen (Archivfoto): Jan G. (vorne links) und Fabian W. (vorne rechts) waren gerade mal 20 und 18 Jahre alt, als sie auf der Anklagebank Platz nahmen. (Quelle: Steffen Koller)

Rolf S. wurde nur 15 Jahre alt. Verprügelt und nach 27 Messerstichen in den Hals, starb der Schüler einsam auf einem Sportplatz. Der Prozess gegen die Mörder wurde zur Farce.

Rolfs Kampf ums Überleben dauert mehrere Stunden. Und diesen Kampf bestreitet er alleine. Zusammengeschlagen und mit 27 Messerstichen getötet, stirbt er am frühen Morgen des 1. Oktober 2014 auf einer Sportanlage im Bremer Stadtteil Gröpelingen. Es ist noch dunkel draußen, die Temperaturen kühl. Um 7.22 Uhr stellen die Sanitäter jegliche Reanimationsversuche ein und erklären ihn für tot. Seine Körpertemperatur beträgt zu diesem Zeitpunkt nur noch 28 Grad.

So sinnlos sein Tod, so banal das Motiv des Trios. Die zur Tatzeit erst 17, 18 und 20 Jahre alten Jugendlichen feiern zuvor mit ihrem späteren Opfer. Sie trinken Alkohol und rauchen Joints, so rekonstruierte es die Beweisaufnahme Stück für Stück. Für Rolf ist all das zu viel. Er übergibt sich aus einem Fenster heraus, beschmutzt dabei die Fensterbank in Jan G.s Kinderzimmer. G. wird es später sein, der Rolf 27-mal ein Messer in den Hals rammt.

Rolf weigert sich offenbar, die Reste seines Erbrochenen vom Fenstersims zu wischen. Kurz darauf gehen Haupttäter Jan G. (20), sein Komplize Fabian W. (18) und Sandy B. (17) vor die Tür. Auch Rolf ist dabei sowie eine bis heute unbekannt gebliebene Person. Vor Gericht sagten die Angeklagten zudem: Weil Rolf Sandy "angebaggert" haben soll, hätten sie auf ihn eingeschlagen und getreten. Immer wieder, mit ganzer Kraft.

Rolf will fliehen, die Angreifer lassen ihn nicht

Rolf schleppt sich, auch das ergab die Beweisaufnahme, noch zu einem Metallzaun der Sportanlage. Dort versucht er vergeblich, über das Gitter zu steigen und seinen Angreifern zu entfliehen. Doch die Täter, die im Prozess behaupteten, mit Rolf "befreundet" gewesen zu sein, lassen nicht von ihm ab. Rolf wird bewusstlos, die Angreifer gehen seelenruhig nach Hause.

Doch sie kehren zurück: Anders als zuvor bleibt Sandy B. zu Hause. Fabian hingegen entscheidet sich, Rolf müsse sterben. Er wolle ihn nun "abstechen", damit er die zuvor verübte Prügelattacke nicht zur Anzeige bringe. Fabian W. geht mit. Er soll "Schmiere stehen". Als die beiden am Sportplatz ankommen, lebt Rolf noch. Das ergibt eine Obduktion seines Leichnams. Und auch Jan G. berichtete vor Gericht: "Beim ersten Stich hat Rolf noch gezuckt, beim zweiten schon nicht mehr." Insgesamt werden es 27 Messerstiche sein, die Rolfs Hals treffen.

Sie fotografieren seine Leiche und lachen

Und wieder gehen Jan G. und Fabian W. nach Hause. Wieder lassen sie Rolf allein in seinem Todeskampf. Ob der 15-Jährige an den Folgen der vorherigen Prügelattacke starb oder letztlich durch die Messerstiche, lässt sich später nicht mehr zweifelsfrei feststellen. Ein Gutachter beschrieb es im Prozess so: "Fest steht: Das Opfer ist sowohl verblutet als auch am eigenen Blut erstickt."

Ein letztes und drittes Mal machen sich Jan G., Fabian W. und Sandy B. auf den Weg zum Toten. Sie spucken auf seine Leiche, fotografieren den Schüler. Dann rufen sie die Polizei, um ihm "seine letzte Ehre zu erweisen". So drückte es Fabian W. in der Verhandlung aus.

Alarmierte Einsatzkräfte sind schockiert. Ein Ermittler sagte vor Gericht: "Solche Bilder bekommst du nicht mehr aus dem Kopf." Rolf sei noch so jung gewesen, sein ganzer Kopf, sein ganzes Gesicht übersät mit blauen Flecken. Und die Angeklagten? "Die standen seelenruhig da und haben gelacht", erinnerte sich ein Polizist.

Der Prozess verkommt zur Show

Dieses Verhalten wird sich durch den gesamten Verfahrensverlauf ziehen. Schon zum Prozessauftakt schien es, als würde keinem der drei die Tragweite ihres Handelns bewusst. Das Trio lacht, feixt und sieht es nicht für notwendig, ihre Basecaps im Verhandlungssaal abzunehmen. Statt die Ausführungen der Zeugen zu verfolgen, flirtete Jan G. wiederholt mit Jugendlichen im Zuschauerraum. Insbesondere Jan G. und Fabian W. schienen nicht ansatzweise begriffen zu haben, was sie getan haben. Einzig Sandy B. weinte, als sie während eines Prozesstages eine Erklärung verlas.

Zur ganzen Wahrheit gehört aber auch: Sowohl Jan G. als auch Fabian W. hatten es nach Aussage eines psychiatrischen Gutachters nicht leicht in ihrem bisherigen jungen Leben. Während Fabian als Frühchen geboren wurde und bereits mit vier Jahren an einer "mentalen Entwicklungsstörung" litt, machte Jan G.s Mutter ihren Sohn quasi zum Alkoholiker, als dieser auf die Welt kam. Weil sie während der Schwangerschaft so viel trank, sei Jan G. mit einem Fetalen Alkoholsyndrom zur Welt gekommen.

Jan G. fiel schon vor dem Mord an Rolf durch "sexuell übergriffiges Verhalten" auf und hatte sich immer wieder gewalttätig gezeigt. Bei Fabian W. diagnostizierten Mediziner bereits in sehr jungen Jahren ein Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom. Im Alter von zehn Jahren wurde er in eine forensische Klinik eingewiesen, alle "klassischen Jugendhilfeangebote waren nicht ausreichend".

Einzig Jan G. muss in Haft

Diese Umstände führten letztlich auch zu milderen Strafen: Sandy B., die lediglich wegen ihrer Beteiligung an der Schlägerei verurteilt wurde, erhielt eine Bewährungsstrafe von zwei Jahren. Ihr wurde versuchter Totschlag und schwere Körperverletzung zur Last gelegt. Jan G. musste als Einziger ins Gefängnis: Das Landgericht unter dem damaligen Vorsitzenden Christian Zorn verhängte eine Strafe von achteinhalb Jahren wegen Mordes. Fabian W., der Beihilfe zum Mord schuldig, wurde in die Forensik eingewiesen. Für alle Angeklagten wandte das Gericht das Jugendstrafrecht an.

Für Rolfs Eltern und Geschwister waren die Prozesstage von enormem emotionalem Stress geprägt, wie ihr Anwalt damals sagte. Insbesondere, dass die Täter zurückkehrten, Fotos des Toten machten und auf seine Leiche spuckten, habe sie stark mitgenommen.

Bis heute haben sie den Verlust ihres Sohnes nicht überwunden. Das zeigt eine Facebook-Gruppe mit dem Namen "Rolf, wir vergessen dich nie". Dort steht unter anderem: "Unser Leben ist kaputt." In einem älteren Post aus dem Jahr 2018 ist zu lesen: "Mal wieder sitze ich auf dem Sofa und kann nicht schlafen, da ich nur am Weinen bin, da ich dich doch sooo vermisse. Es tut mir so leid, dass ich dir nicht helfen konnte. Es tut so weh."

Helfen hätten die Angeklagten gekonnt, wenn sie es denn gewollt hätten. Doch daran bestanden laut dem Vorsitzenden Richter Zorn von Beginn an starke Zweifel. In seiner mündlichen Urteilsbegründung sagte er in Richtung der Jugendlichen: "Es ging nie ums Verletzen, es ging ums Vernichten."

Verwendete Quellen
  • Eigene Beobachtungen im Gerichtssaal
  • Eigene Recherche
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...



TelekomCo2 Neutrale Website