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Tierquälerei in Deutschland: Aktivisten veröffentlichen schockierende Liste


Aktivisten decken Tierquälerei auf
Das ganze Leid auf einer Karte

Von Steffen Koller

Aktualisiert am 27.06.2023Lesedauer: 5 Min.
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Zahlreiche Schweine leben zusammengepfercht in einem Schlachtbetrieb (Archivfoto): Allein für Niedersachsen listet das Projekt 37 Fälle von Tierquälerei auf.Vergrößern des Bildes
Zahlreiche Schweine zusammengepfercht (Archivfoto): Allein für Niedersachsen listet das Projekt 37 Fälle von Tierquälerei auf. (Quelle: Deutsches Tierschutzbüro e.V.)

Die Mär vom Einzelfall bröckelt: Eine Liste zeigt, wie weit verbreitet Tierquälerei in Deutschland ist. Die Ergebnisse schockieren.

Sie leben auf engstem Raum, leiden an schweren Verletzungen, die nicht behandelt werden oder fügen sich stressbedingt selbst Wunden zu: Der Verein Deutsches Tierschutzbüro hat in Zusammenarbeit mit weiteren Organisationen eine Übersicht erstellt, in der detaillierte Fälle von Tierquälerei aufgelistet werden. Dabei fällt auf: Insbesondere in Niedersachsen und dort speziell im Westen des Bundeslandes gibt es deutliche Hotspots. Warum werden gerade dort besonders viele Tiere gequält?

Wie die Übersicht zeigt, sind zwischen 2016 und 2023 allein für das Bundesland Niedersachsen insgesamt 37 Fälle erfasst worden. 25 davon liegen im Bereich Bremen und Oldenburg und erstrecken sich in Richtung Westen bis zur niederländischen Grenze und nach Nordrhein-Westfalen. Wie die Übersicht zeigt, reichen die vom Deutschen Tierschutzbüro dokumentierten Fälle von Rinder- über Schweine- bis hin zu Geflügelzuchten.

Bilder nur schwer zu ertragen

Viele der beschriebenen Tierquälereien sind an Grausamkeit kaum zu überbieten, manche Fälle stechen jedoch besonders hervor: So listet die Organisation unter anderem einen Fall aus dem Kreis Rotenburg (Wümme) aus dem Jahr 2017 auf. Dort sollen Mitarbeiter mehrere Ferkel auf den Boden geschlagen haben, um diese zu töten. In einem Fall hatte den Aufzeichnungen des Vereins zufolge ein Ferkel zunächst überlebt. Es starb erst später – im Mülleimer.

Zudem zeigen zahlreiche Fotos der Tierschützer, wie Sauen in viel zu engen Kastenständen gehalten werden. Der Abferkelbereich war mit viel zu breiten Spaltenböden ausgestattet. Viele Ferkel blieben darin stecken und verletzten sich so selbst.

2019 wurde eine Mitarbeiterin der Zuchtanlage zu einer Geldstrafe von 1.200 Euro verurteilt. Ihr konnte nachgewiesen werden, dass sie mehrere Ferkel auf den Boden geschlagen und somit getötet hatte. Der Betreiber der Anlage musste eine Geldstraße von 3.000 Euro zahlen.

Gerichtsverfahren bleiben die Ausnahme

Doch dass überhaupt Verantwortliche zur Rechenschaft gezogen werden, sei laut dem Deutschen Tierschutzbüro meist die Ausnahme. Wie die Aktivisten in ihrer Datensammlung zeigen, sei es in gerade mal 24 von 163 dokumentierten Fällen zu einer Verurteilung durch ein Gericht gekommen. In der Regel seien es jedoch Geldstrafen gewesen, die die Angeklagten zu entrichten hatten.

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In nur drei Fällen sei eine Haftstrafe, ausgesetzt zur Bewährung, ausgesprochen worden. 5 von 163 Betreibern von Mastanlagen sei ein Haltungsverbot beziehungsweise ein Tierbetreuungsverbot auferlegt worden. Das ergebe gerade mal drei Prozent.

Hühner sterben an dauerndem Eierlegen

Von den für Niedersachsen insgesamt aufgeführten 37 Fällen haben laut der Datensammlung 25 ihren Ursprung im westlichen Teil des Bundeslandes. So auch ein Fall aus dem Emsland. In einem Geflügelmastbetrieb konnten die Aktivisten dokumentieren, wie zahlreiche kahle Hennen einander ihre Federn auspickten. Andere wiesen den Recherchen nach "schmerzhaft entzündete, eitrige Kloaken durch dauerndes Eierlegen auf". Darüber hinaus zeigen Aufnahmen, wie tote Hühner in den Ställen liegen. Sie sollen an Erschöpfung gestorben sein.

Pikant: Der Betrieb verkaufte laut Tierschutzbüro seine Eier an Supermärkte und versah das Produkt mit einem Bio-Siegel. Rechtliche Konsequenzen hatte die Praxis jedoch nicht.

Nicht nur angebliche Bio-Höfe, auch Familienunternehmen quälten laut dem Verein ihre Tiere. Fälle von 2016 zeigten demnach, wie sich Tiere in einem Schweinemastbetrieb gegenseitig angefressen hatten. Die Schweine fügten sich den Informationen zufolge selbst schwere Verletzungen an Schwänzen und Gesichtern zu. Außerdem seien die "Mastschweine von oben bis unten mit Kot beschmiert" gewesen. Weitere Tiere wiesen den Recherchen nach "so große Geschwüre auf, dass sie sich kaum noch fortbewegen konnten". Die Betreiber wurden nie zur Rechenschaft gezogen.

Kranke Kühe werden einfach liegen gelassen

2020 wurden die Tierschützer abermals auf einen Fall aus dem Kreis Rotenburg aufmerksam. Angestellte hatten eine sogenannte Downer-Kuh außerhalb eines Hofes einfach abgelegt. Bei Downer-Kühen handelt es sich um Kühe, die nicht mehr in der Lage sind, alleine aufzustehen.

Meist liege der Grund darin, dass die Tiere so viel Milch produzieren müssten, dass sie akuten Kalziummangel erleiden und dadurch massiv geschwächt sind. Häufig gebären diese Kühe kurz zuvor noch Kälber, dann würden sie einfach liegen gelassen und sterben.

Im Fall aus Rotenburg soll das Tier mindestens eineinhalb Tage allein vor dem Hof liegen gelassen worden sein. Als ein Veterinär sich das Tier bei einer Kontrolle angesehen hatte, gab es nur noch eine Option: Das Tier wurde getötet. Dabei war es zu diesem Zeitpunkt tragend, schildert das Deutsche Tierschutzbüro.

Niedersachsen sticht heraus

Viele Fälle ähneln sich, heraussticht jedoch die Dichte an Vergehen insbesondere im Bereich Vechta, dem Ems- und Münsterland sowie im Kreis Osnabrück. Von insgesamt 163 dokumentierten Fällen seien 37 auf Mastbetriebe in Niedersachsen zurückzuführen.

Wie ein Sprecher der Soko Tierschutz auf Nachfrage von t-online erklärt, gebe es dafür zwei zentrale Gründe. Zum einen weisen diese Gebiete nach Informationen der Aktivisten "die höchste Dichte an Massentierhaltungsbetrieben in ganz Europa" auf. Die genannten Landkreise seien "vollgestopft" mit entsprechenden Anlagen, die Massentierhaltung dort sei "unglaublich intensiv". Wo viele Betriebe, dort auch viele Verstöße, so die simple Rechnung, sagt Sprecher Friedrich Mölln. Die Organisation Soko Tierschutz war neben weiteren Vereinen an der Erarbeitung der Übersicht beteiligt.

Zum anderen sorgte allein ein Betrieb in Bad Iburg bei Osnabrück nach Angaben des Sprechers für über 100 Ermittlungsverfahren wegen Verstößen gegen das Tierschutzgesetz. In dem Betrieb wurden den Recherchen zufolge Rinder und Kälber "extremer Brutalität" ausgesetzt. Die Tiere seien geprügelt und "in vollem Bewusstsein" an Seilwinden befestigt aus Transportboxen gezogen worden. Außerdem "versagte die Betäubung der Tiere regelmäßig".

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"Tierleid hat System und ist an der Tagesordnung"

Am Projekt waren neben dem Deutschen Tierschutzbüro auch die Organisationen von Soko Tierschutz, Animal Rights Watch und tierretter.de beteiligt. Den Verantwortlichen gehe es darum aufzuzeigen, dass die dokumentierten Tierschutzverstöße keine Einzelfälle seien. Dieses Argument hörten die Aktivisten regelmäßig, sagt der Vorstandsvorsitzende vom Deutschen Tierschutzbüro, Jan Peifer. Mit der Datenbank "kann sich jeder Mensch selbst ein Bild über die aktuelle Tierhaltung in Deutschland machen", so Peifer. Friedrich Mölln ergänzt: "Es kommt in allen Bundesländern, bei allen Tierarten und in allen Haltungsformen immer wieder zu Verfehlungen." Es seien eben nicht die oft zitierten "schwarzen Schafe" der Branche, sondern es bestehe ein generelles Problem.

Für Sandra Franz von Animals Rights Watch zeige die Datenbank "ganz klar, dass Tierleid in der Landwirtschaft Teil des Systems und an der Tagesordnung ist".

Die Übersicht basiert den Angaben der Tierrechtler zufolge unter anderem auf selbst erstelltem Videomaterial der einzelnen Organisationen. In allen Fällen seien die Behörden nicht über die Zustände in den Mastbetrieben informiert gewesen. Erst durch die Recherchen der Aktivisten seien sie auf die jeweiligen Verfehlungen aufmerksam gemacht worden.

Eine Kontrolle alle 21 Jahre

Ein Grund für die häufig nicht bemerkten Tierquälereien sei vor allem der lasche Kontrolldruck. Nach Angaben der Bundesregierung werde ein Mastbetrieb im Durchschnitt alle 17 Jahre kontrolliert. In Niedersachsen würde es demnach nur alle 21 Jahre eine Kontrolle geben, in Bayern sogar nur alle 49 Jahre.

Wenn die Veterinärmediziner dann zum Check erschienen, sei meist alles in Ordnung. Denn, so der Vorwurf der Aktivisten: Die Veterinärämter melden ihre Besuche "in aller Regel vorher telefonisch bei den Betrieben an". Diese Kontrollen liefen "wegen der Ankündigung und lokaler sowie persönlicher Nähe der Kontrolleure mit den Tierhaltern aber häufig ins Leere", kritisiert Bernd Bünker vom Verein tierretter.de. "Hinter den von uns aufgezeigten Tierhaltungen verbergen sich viele Verstöße gegen geltendes Recht. Die staatliche Kontrolle versagt. Für die Betreiberinnen steht die Wirtschaftlichkeit im Vordergrund – auf Kosten der Tiere", so Bünker.

Verwendete Quellen
  • tierschutz-skandale.de: Über das Projekt
  • tierschutz-skandale.de: Statistiken
  • Telefonat mit dem Sprecher der Soko Tierschutz, Friedrich Mülln
  • presseportal.de: Mitteilung vom Deutschen Tierschutzbüro e.V.
  • instagram.com: Profil von tierschutzbuero
  • Eigene Recherche
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