Warum immer mehr Prostituierte die Bordelle verlassen
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Seit Corona haben viele Sexarbeiterinnen die klassischen Etablissements verlassen. Sie nutzen jetzt Hotels. Doch das bringt Probleme mit sich.
Die Corona-Pandemie hat die Arbeit von Luisa und Leyla verรคndert. Vielleicht sogar fรผr immer. Luisa und Leyla heiรen eigentlich anders. Sie wollen beide unerkannt bleiben, denn sie arbeiten in einer Branche, die mit vielen Tabus und Vorurteilen behaftet ist: Luisa ist Prostituierte, Leyla Betreiberin einer Terminwohnung, also einer Wohnung, in der sie Zimmer an Prostituierte vermietet.
Wรคhrend der Corona-Pandemie waren in Hessen Laufhรคuser, Bordelle, Massagestudios und Terminwohnungen รผber ein Jahr geschlossen. Allerdings hatte die Verordnung in Hessen eine entscheidende Lรผcke, die das Geschรคft mit der Prostitution verรคndern sollte. Prostitutionsstรคtten wie Bordelle oder Terminwohnungen mussten schlieรen. Die Prostitution an sich war jedoch nicht verboten. Also verlagerte sich das Geschรคft von den Bordellen in die Hotels. Dort sind die Frauen jedoch schutzlos. Niemand ist dort, um ihnen im Zweifelsfall zu helfen.
Die Frauen bemerkten, dass sie in Hotels oder Airbnb-Appartements weitaus weniger fรผr die Zimmer zahlen mussten als in Bordellen. Der Tagespreis liegt zwischen 40 und 60 Euro, je nachdem, in welchen Hรคusern die Frauen verkehren, die Monatspauschale liegt bei 1.000 Euro. In den Laufhรคusern betrรคgt der Tagespreis 150 Euro. Weil die Frauen in den anderen Unterkรผnften also mehr verdienen, kehrten nur wenige in die รผblichen Hรคuser zurรผck. Und das hat Folgen fรผr Betreiber und fรผr Prostituierte.
Monatliche Verluste von bis zu 7.000 Euro
So wie etwa fรผr Leyla. Sie betreibt im Sรผden von Frankfurt seit รผber 15 Jahren eine Terminwohnung. Man kann ihr Haus in etwa mit einer Pension vergleichen, nur, dass Leyla kein Frรผhstรผck anbietet, sondern fรผnf Zimmer mit jeweils einem Bondage-Stuhl, der aussieht wie ein gynรคkologischer Stuhl beim Frauenarzt sowie ein Sadomasostudio. Dass sich das Geschรคft in Hotels und Airbnb-Wohnungen verlagert hat, spรผrt sie sehr. "Vor der Pandemie waren meine Zimmer fรผr einen Monat komplett ausgebucht. Jetzt habe ich gerade mal zwei Zimmer vermietet", sagt sie im Gesprรคch mit t-online.
Im Vergleich zur Zeit vor der Pandemie verliert sie jetzt jeden Monat bis zu 7.000 Euro. In guten Zeiten nahm sie monatlich 13.000 Euro ein. "Ich erwirtschafte mittlerweile so viel, dass ich alle Kosten decken kann", sagt sie. Leyla vermietet die Zimmer in der Regel fรผr sieben Tage. Prostituierte aus ganz Europa kommen zu ihr, mieten sich fรผr 550 Euro in der Woche ein, arbeiten und schlafen auch hier โ wenn sie das mรถchten. Leyla sagt, wenn es so weitergehe, dann mรผsse sie zum Ende des Jahres ihre Terminwohnung schlieรen. Und damit sei sie wohl nicht die Einzige. "Alle haben Probleme. Die Zimmer in den Laufhรคusern im Bahnhofsviertel sind nur zur Hรคlfte belegt", sagt Leyla. Doch das ist nicht nur fรผr Wohnungs- und Bordellbetreiber ein Problem, sondern auch fรผr Prostituierte.
Um Prostituierte vor Gewalt und Zwang zu schรผtzen, wurde am 1. Juli 2017 das Prostituiertenschutzgesetz eingefรผhrt. Es wurde eine Anmeldepflicht und die gesundheitliche Beratung geregelt. Prostituierte werden seitdem registriert und bekommen eine Bescheinigung mit Namen, Foto und Meldeadresse, den sogenannten Hurenpass. Bordelle benรถtigen eine Betriebserlaubnis, dafรผr gelten Mindestanforderungen, wie etwa ein Notrufsystem in den Zimmern. Auรerdem gilt eine Kondompflicht. Gehen die Prostituierten aber lieber in ein Hotel, fรคllt all das weg. Da Prostitution grundsรคtzlich nicht strafbar ist, bewegen sich Prostituierte hierbei in einer Grauzone.
In Frankfurt gibt es laut Ordnungsamt insgesamt 24 Prostitutionsstรคtten mit einer entsprechenden Konzession. Dazu zรคhlen vier Massagestudios, 17 Laufhรคuser, eine Terminwohnung sowie zwei FKK-Clubs.
In Hotels gibt es keinen Schutz fรผr Prostituierte
Als die Hรคuser wรคhrend der Pandemie geschlossen blieben, hat Luisa von Ersparnissen und Hartz-IV gelebt. Die Prostituierte sitzt neben Leyla am Tisch in der Kรผche. In ein Hotel wird sie auch in Zukunft nicht gehen. Sie kommt schon seit vielen Jahren zu Leyla. Hier gibt es Regeln. Es ist sauber. "Ich habe hier keine Probleme mit Kunden. Es ist sicher fรผr mich, denn hier wird genau geschaut, wer reinkommt", erklรคrt Luisa. In den Hotels ist das nicht der Fall. Dort sind die Frauen schutzlos. Luisa kennt einige, die nun in Hotels arbeiten. "Dort verdienen wir mehr, klar. Du zahlst ja viel weniger fรผr ein Zimmer, aber du kannst abgezockt werden", sagt sie. Wer kontrolliert die Mรคnner in den Hotels? Niemand.
Leyla erzรคhlt die Geschichte einer jungen Asiatin. "Nachdem die Arbeit getan war, wollte sie das Geld von dem Mann. Doch der sagte ihr, dass sein Geld in seiner Jackentasche war und nun weg sei. Er drohte ihr mit der Polizei und ging einfach. Die wissen genau, dass die Frauen in den Hotels illegal arbeiten und nutzen das aus."
Wie hat sich die Arbeit fรผr Luisa verรคndert? Sie รผberlegt kurz und schnauft. "Die Gรคste sind schwieriger geworden. Ich glaube, dass sie sich an die Frauen in den Hotels gewรถhnt haben", erzรคhlt sie. Manchmal erhรคlt Luisa Anfragen, ob Analsex ohne Kondom mรถglich sei, andere wollen รผber feste Preise verhandeln oder gar nicht bezahlen. Luisa lรคchelt. "Die Stunde kostet 150 Euro. Einer sagte mal zu mir: 'Wenn du mir die Stunde fรผr 100 gibst, dann komme ich zweimal die Woche.' Ok, erzรคhlen kannst du viel", sagt sie. "Nicht mal den Stammgรคsten kommst du so entgegen."
Doch was mรผsste sich รคndern, damit das Geschรคft nicht komplett in die Illegalitรคt abdriftet? "Hotels und Appartements mรผssen kontrolliert werden. Ganz einfach", sagt Leyla. Doch Kontrollen finden kaum statt. Dasselbe gilt fรผr Prostitutionsstรคtten. Dazu gibt es Terminwohnungen ohne Konzession. "Seit das Prostituiertenschutzgesetz eingefรผhrt wurde, 2017, wurde ich siebenmal kontrolliert", erzรคhlt Leyla. Sieben Kontrollen in sechs Jahren.
Das Ordnungsamt hingegen scheint machtlos zu sein. Das liegt an den Regelungen der Sperrgebietsverordnung. Sie unterteilt Stรคdte in Sperrzonen, gemischte Sperrzonen und Toleranzzonen. Der grรถรte Teil Frankfurts ist gemischte Sperrzone. Dort sind Groรbordelle, Massagesalons oder Clubs nicht gestattet. Wohnungsprostitution ist im Allgemeinen zulรคssig, allerdings sind die Vorschriften der Hessischen Bauordnung zu beachten.
Kontrollen finden statt, doch Zahlen nennt das Ordnungsamt nicht
Auf Anfrage von t-online teilt das Ordnungsamt mit, dass Kontrollen stattfinden. Doch wie viele Prostituierte sich in Hotels oder Airbnb-Wohnungen einmieten, darauf gibt das Ordnungsamt keine Auskunft. Wenn die Stadtpolizei bei Kontrollen fรผndig wird, dann liegt meist ein Verstoร gegen die Bauordnung vor oder eine Ordnungswidrigkeit nach der Ferienwohnungssatzung.
Befindet sich ein Hotel in einer Toleranzzone, dann kann das Ordnungsamt hier wenig machen. Denn Wohnungsprostitution sei "nicht per se unzulรคssig", heiรt es. Sprich: Die Prostituierten bewegen sich in einer Grauzone.
Fรผr Leyla steht fest, dass mehr Kontrollen etwas verรคndern kรถnnten. "Ich denke, dass wรผrde vielleicht mal die Frauen abschrecken, die in den Hotels sitzen. Denn die wissen genau, dass niemand kommt."
- Gesprรคch vor Ort mit Leyla und Luisa
- Eigene Recherche
- fr.de: Prostitution im Bahnhofsviertel: Das Geschรคft lรคuft weiter
- prostituiertenschutzgesetz.info: Zusammenfassung der Erlaubnispflicht fรผr Prostitutionsgewerbe
- Anfrage an das Ordnungsamt Frankfurt