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Kiel unter Coronavirus-Pandemie: "richtig, richtig übel"


Auswirkungen der Pandemie
Coronavirus in Kiel – so schnell verändert sich der Alltag

Von Sven Raschke

16.03.2020Lesedauer: 5 Min.
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Campus Suite in Kiel: Das Lokal ist noch ganz gut besucht.Vergrößern des Bildes
Campus Suite in Kiel: Das Lokal ist noch ganz gut besucht. (Quelle: Sven Raschke)

Die Coronavirus-Pandemie legt das öffentliche Leben in Kiel lahm. Viele sitzen zu Hause fest – zum Leid der Geschäftstreibenden. Doch es gibt auch eine Ausnahme.

Kneipen, Discos, Kinos, Theater geschlossen. Sporthallen und Fitnessklubs geschlossen. Veranstaltungen und Konzerte abgesagt. Die Hotels leergefegt. Die Maßnahmen gegen den Coronavirus treffen Kiel mit voller Härte. Was bedeutet das für die Freizeit- und Unterhaltungsbetriebe? Und was bleibt den Kielern noch an Freizeitbeschäftigungen?

Hotels dürfen bisher noch geöffnet bleiben. Und laut Peter Böhm, Direktor des Hotels Berliner Hof und Vorstandsmitglied im DEHOGA (Deutschen Hotel- und Gaststättenverband) Schleswig-Holstein, hat auch noch kein Hotel in Kiel geschlossen. "Aber wir haben fast keine Gäste mehr", so Böhm. "Wir sind alle knallhart betroffen." Ab Anfang kommender Woche führt der Berliner Hof Kurzarbeit für die Mitarbeiter ein. Böhm geht davon aus, dass andere Hotels ähnlich vorgehen werden. "Ob das reicht, ob wir das so richtig machen – ich habe keinen blassen Schimmer. So etwas hatten wir noch nie", sagt Böhm.

Bei Restaurants ist die Lage nicht ganz so schlimm – und trotzdem katastrophal. Zwar haben viele Restaurants noch geöffnet. Doch die Abstandsregel von zwei Metern, die Pflicht, Name und Telefonnummer der Gäste zu erfassen und die Vorsicht der potenziellen Gäste trifft die Branche Massiv. Der Rückgang der Kunden ist größer als die Einschränkung des Angebots. "So wie ich es mitbekommen habe, werden keine Leute abgewiesen", so Böhm. Von bis zu 80 Prozent Umsatzrückgang spricht man bei DEHOGA.

Am vergleichsweise schwächsten trifft es bisher offenbar die Imbisse und Schnellrestaurants. Die "Campus Suite" an der Kieler Uni ist trotz geschlossener Universität noch recht gut besucht. Auch in Gruppen sitzen die jungen Gäste noch im und vorm Restaurant. Beim Döner "Marmara" im Stadtteil Blücherplatz kommen nur noch halb so viele Kunden wie gewöhnlich. "Jetzt ist Mittagszeit, und schauen Sie: Keiner ist da" sagt Inhaber Ali Khalid. Beim Döner "King Grill" im Norden von Kiel ist der Umsatz laut Inhaber Azad Alkan um 20 bis 30 Prozent zurückgegangen. "Zwei bis drei Monate ist das auszuhalten, weil ich auch keine Angestellten habe", so Alkan. Danach werde es schwierig.

"Das ist richtig, richtig übel"

Man könnte meinen, dass vom Mangel an Alternativen die Lieferdienste profitieren. Doch das scheint nicht der Fall zu sein. "Bisher konnten wir noch keine signifikanten Veränderungen im Bestellverhalten feststellen", so Julia Janssen, Pressesprecherin von "Domino's Pizza". Es gebe zwar weiterhin einen Anstieg bei den Bestellungen. Doch der sei auch schon vor der Corona-Pandemie kontinuierlich dagewesen. Wie andere Lieferdienste auch bietet "Domino's" seit einigen Tagen kontaktloses Bezahlen an. Heißt: Bestellt und bezahlt wird online, und der Bote klingelt und legt die Bestellung vor der Haustür ab. Demnächst soll Bezahlen bei Domino's gar nicht mehr mit Bargeld möglich sein, um die Ansteckungsgefahr weiter zu minimieren. "Das wird demnächst auf jeden Fall kommen", so Janssen, "vielleicht schon diese Woche".

"Das ganze ist für Restaurants und Hotels richtig, richtig übel", sagt Böhm. "Wir hängen in den Seilen, weil wir nicht wissen, was noch kommt. Wir sitzen alle wie ein Kaninchen vor der Schlange und hoffen, dass wir Informationen bekommen, mit denen wir umgehen können."

Von der Politik fordert er jetzt klare Ansagen. Die hat bereits zugesagt, dass Geld fließen soll. Nur wie viel und auf welche Weise, ist noch ungewiss. Böhm: "Da sind wir ganz klar hinterher, dass alle betroffenen Unternehmen unterstützt werden. Dafür müsste die Bürokratie eingestampft werden. Denn der normale Weg für Unterstützungen ist viel zu umständlich und ungewiss." Betroffene Betriebe müssten für einen regulären Kredit zu ihrer Hausbank gehen, die wiederum würde entscheiden ob sie den Antrag an höhere Stelle weiterreicht. Auf diesem Wege werden aber im Normalfall viele Kredite abgewiesen.

Für die Zukunft von Kiels Hotels und Gaststätten sieht Peter Böhm schwarz: "Ich glaube, das wird noch richtig schwierig. Wir hoffen, dass wir das irgendwie überstehen."

Weder Proben noch Aufführungen am Theater

Am Theater Kiel sind nicht nur alle Vorstellungen abgesagt. Auch Proben finden nicht mehr statt. Geistervorstellungen sind nicht geplant. "Das ist derzeit nicht angedacht, weil beim Spielen und Proben der Sicherheitsabstand nicht eingehalten werden kann", erklärt Kristina Narajek, zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit des Theaters. Wer von den Angestellten kann, arbeitet im Homeoffice. "Ansonsten arbeiten im Moment alle Mitarbeiter normal weiter", so Narajek.

Für die betroffenen Unternehmen sind die Corona-Schutzmaßnahmen existenzbedrohend, für die Bürger mit starken Einschränkungen verbunden. Wer sich mit einem Jahresvorrat Nudeln und Klopapier eingebunkert hat, lässt sich schwer befragen. Die Kieler zumindest, die man auf der Straße trifft, halten sich offenbar überwiegend an die Empfehlungen der Regierung.

Kieler folgen den Anweisungen

Doris (55) und Torsten Domin (58): "Wir gehen nicht mehr in Restaurants. Das ist uns zu unsicher. Wir gucken jetzt mehr Serien oder sind im Garten. Unsere Berlin-Reise haben wir storniert, weil da ja alles geschlossen ist. Wir sind erstaunt, wie locker viele das alles noch nehmen, wie man belächelt wird, wenn man im Supermarkt Abstand hält."

Tom Körber (55): "Ins Fitnessstudio kann ich jetzt nicht mehr. Das ist ja auch vernünftig. Mein Motto ist: Vorsicht statt Panik. Ich gehe trotzdem raus. Ich achte aber auf Sicherheitsabstand, kein Körperkontakt, und so weiter. In Restaurants oder ins Kino gehe ich sowieso selten. Mehrere Freunde haben ihre Geburtstagsfeiern abgesagt."

Eine 55-jährige Mutter kommt mit ihrem 17-jährigen Sohn gerade aus dem Supermarkt, einen Rollkoffer voll mit Toilettenpapier hinter sich herziehend: "Wir haben gerade gehamstert. Man wird ja dazu gezwungen, weil es alle anderen auch machen. Zum Sport oder in Restaurants gehen wir kaum, aber unser schöner Amerika-Urlaub wurde abgesagt. Darüber sind wir schon traurig."

Ansi Dai (25) ist Chinesin und studiert seit einigen Semestern an der Kieler Uni. Maske und Desinfektionsmittel hat sie immer griffbereit: "Vorher habe ich Badminton gespielt und war in Clubs. Jetzt bleibe ich meistens zuhause. Viele meiner Bekannten aus China sind an Corona gestorben, deshalb mache ich mir große Sorgen. Meine Familie will, dass ich zurück fliege, aber ich bleibe erst mal hier. In China müsste ich sonst in Quarantäne. Ich treffe mich noch mit ein oder zwei Freunden auf einmal, aber nicht mehr. Ich wohne in einer 14er-WG, und meine Mitbewohner machen immer noch Partys, aber weniger als vorher. Ich will mir eine neue Wohnung suchen mit weniger Mitbewohnern, damit die Ansteckungsgefahr kleiner ist."

Verwendete Quellen
  • Interview mit Peter Böhm und Julia Janssen
  • Gespräche vor Ort
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