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Kiel: Mann soll Freund in Asylunterkunft getötet haben


Tat gestanden
Mann soll Freund in Asylunterkunft mit 33 Messerstichen getötet haben

Von Sven Raschke

31.03.2021Lesedauer: 4 Min.
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Der Angeklagte sitzt im Gerichtssaal: Er hat die Tat gestanden.Vergrößern des Bildes
Der Angeklagte sitzt im Gerichtssaal: Er hat die Tat gestanden. (Quelle: Sven Raschke/leer)

Ein Geflüchteter aus Somalia soll in einer Kieler Flüchtlingsunterkunft seinen Freund erstochen haben – aus Notwehr, wie der Mann beteuert. Viele seiner Angaben zur Tat stehen im Widerspruch zu den Ermittlungen.

33-mal soll ein Bewohner einer Asylunterkunft in Kiel auf seinen Freund eingestochen und ihn so getötet haben. Aus Notwehr, wie der Angeklagte am Mittwoch vor dem Kieler Landgericht beteuerte. Doch vieles über die im September vergangenen Jahres begangene Tat blieb auch nach der Verhandlung unklar. An entscheidende Details konnte oder wollte der Beschuldigte sich nicht erinnern. Andere Aussagen des aus Somalia Geflüchteten stehen im Widerspruch zu Ermittlungsergebnissen. Soviel zumindest scheint sicher: Der mutmaßliche Täter leidet unter psychischen Problemen, es war viel Alkohol im Spiel, und es ging um ungewollte sexuelle Annäherung.

Weder die Uhrzeit noch den genauen Tag der Tat konnte der Beschuldigte dem Richter nennen. Irgendwann zwischen dem 5. und 9. September sei er im Zimmer seines ebenfalls aus Somalia stammenden Freundes zu Besuch gewesen. Sie hätten gemeinsam in zunächst gemütlicher Atmosphäre Bier und Wodka getrunken – viel Bier und Wodka – und sich über ihren Asylstatus, Arbeitschancen und ihren Alkoholkonsum unterhalten, den sie, wie beide fanden, reduzieren sollten.

Bei der Tat stark alkoholisiert

In stark betrunkenem Zustand sei der Freund irgendwann aufgestanden und habe ihn zum Sex aufgefordert. Der Beschuldigte habe überrascht und wütend reagiert, den Freund weggestoßen. Der habe, so der Beschuldigte, daraufhin ein Messer gezogen und ihn angegriffen. Dem Beschuldigten sei es gelungen, den Stich abzuwehren, das Messer sei zu Boden gefallen.

Beide hätten nun versucht, das Messer zu greifen. "Ich war schneller", so der Angeklagte, für den ein Dolmetscher aus dem Somalischen übersetzte. Um sich vor weiteren Angriffen zu schützen, habe er auf den anderen eingestochen. Wie oft, das wisse er nicht mehr genau, jedoch nicht öfter als zwei- oder dreimal.

Erinnerungen stark verschwommen

Alles Folgende ist nach Aussage des Angeklagten stark von Erinnerungslücken beeinträchtigt. Er habe Blut gesehen und das Zimmer verlassen. Viel mehr wisse er nicht. Die darauffolgenden Tage verbrachte er offenbar in stark betrunkenem und verwirrtem Zustand. Irgendwann, in einer Kneipe sitzend, sei ihm aufgefallen, dass doch jemand fehle, der hier sonst oft dabei sei. Da erst habe er sich an den toten Freund erinnert.

Am 14. September riefen die Sicherheitskräfte der Asylunterkunft die Polizei. Der Angeklagte war stark betrunken bei ihnen aufgetaucht und hatte immer wieder wiederholt, dass sein Freund tot sei. Auf Nachfragen zu Details gab er zunächst keine Antwort. Die Beamten drangen in die verschlossene Wohnung des Opfers ein, aus der bereits Verwesungsgeruch zu riechen war. In dem Zimmer fanden die Beamten die bereits stark verweste Leiche, daneben Blutspritzer an Boden, Wand und Möbeln. Das Tatmesser fand sich nicht.

Widersprüche bei Ausmaß der Tat

Bei den späteren Aussagen des Angeklagten wurden bei der Verhandlung Widersprüche deutlich. So deckt sich dessen Behauptung, nicht mehr als dreimal auf das Opfer eingestochen zu haben, nicht mit den Vorwürfen der Anklage, 33-mal zugestochen zu haben. Daneben hatte er behauptet, das Zimmer des Opfers nach der Tat sofort verlassen und nicht wieder betreten zu haben.

Wo das Messer oder der Schlüssel zur Unterkunft sei, wisse er nicht. Jedoch war die Tür des Opfers bei Eintreffen der Polizei verschlossen gewesen. In dem Raum selbst lag ein Teppich vor dem Türspalt. Den, so die ermittelnde Kommissarin, "hätte der Geschädigte dort nicht mehr ablegen können".

Zuvor straffällig geworden

Der Angeklagte war offenbar bereits zuvor in Konflikte geraten, bei denen möglicherweise Messer im Spiel waren. Auch dies bestritt der Angeklagte, sprach von Lügen von "Arabern, die mich fertig machen wollten". Er habe zu keinem Zeitpunkt ein Messer bei sich getragen.

Zum psychischen Zustand des Angeklagten erfuhr die Öffentlichkeit nur wenig. Details zu psychiatrischen Vorbehandlungen – er hörte offenbar Stimmen, die er nur mit Alkohol zum Schweigen bringen konnte und litt unter Schlafstörungen – wurden unter Ausschluss der Öffentlichkeit besprochen.

Psychologische Probleme unter Ausschluss der Öffentlichkeit besprochen

Soviel zumindest wurde bekannt: Im Leben des Angeklagten war von Beginn an vieles schiefgelaufen. Die Schule in der somalischen Heimat hatte er abgebrochen, die Familie nach "Problemen" verlassen müssen. Nach wechselnden Jobs und Obdachlosigkeit verließ er 2012 Somalia.

Über Zwischenstationen in Äthiopien, Sudan, Libyen (hier saß er zwischenzeitlich im Gefängnis) und Italien erreichte er im Jahr 2015 Deutschland. Über München, Hamburg und Neumünster kam er nach Kiel und musste hier mehrfach die Asylunterkunft wechseln – teils wegen Problemen mit anderen Bewohnern: Die Albaner und Araber, so der Angeklagte, hätten ihn immer wieder verärgert, er habe sich einsam gefühlt, sei auch angegriffen worden.

Schwierige Lebensbedingungen

Der Asylantrag des Angeklagten wurde bereits vor Jahren zurückgewiesen. Von seiner Frau, die er 2010 noch in Somalia geheiratet hatte, lebt er nicht nur räumlich getrennt. Vor der Tat hatte er nach eigener Aussage tagelang nicht mehr geschlafen. Der einzige deutsche Satz, den er während des Polizeiverhörs laut Protokoll sprach, war: "Mein Leben ist scheiße." Über den Getöteten sagte er vor Gericht: "Es tut mir leid, dass er tot ist."

Bei dem Gerichtsverfahren, das am 6. April fortgesetzt wird, geht es um die Schuldunfähigkeit des Angeklagten. Ihn erwartet die dauerhafte Einweisung in die geschlossene Psychiatrie, wo er bereits vorläufig untergebracht ist. Das Urteil soll am 16. April verkündet werden.

Verwendete Quellen
  • Anwesenheit beim Prozess
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