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Köln | Vom Diakon zur Dragqueen: Der Lebenswandel von Matthias Dörmann


Vom Diakon zur Dragqueen
"Mit zwölf Jahren habe ich mich in den Sohn des Pastors verliebt"

Von t-online, olf

Aktualisiert am 05.07.2023Lesedauer: 4 Min.
Früher war Matthias Dörmann häufig in der Kirche: Als Dragqueen hat er sich bisher nicht in seine alte Gemeinde getraut.Vergrößern des BildesFrüher war Matthias Dörmann häufig in der Kirche: Als Dragqueen hat er sich bisher nicht in seine alte Gemeinde getraut. (Quelle: Dana Barrenberg)
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Vor zwei Wochen trat Matthias Dörmann als Dragqueen Liberty LeStrange im Stadtgarten in Köln auf, doch noch vor ein paar Jahren war das nicht denkbar – denn er war Diakon.

Matthias Dörmann fand mit zwölf Jahren Halt und Stärke in der Kirche – obwohl er bereits früh von seiner Homosexualität wusste. Nach der Schule ließ er sich sogar zum Diakon ausbilden und versuchte, seine Sexualität zu unterdrücken. Zehn Jahre lang war er damit mehr oder weniger erfolgreich, bis sein jetziger Ehemann in sein Leben trat und ein Wandel um 180 Grad stattfand. Denn mittlerweile tritt der 31-Jährige als Liberty LeStrange auf – eine Dragqueen.

In einer Pause bei seiner Arbeit als Tagesvater erzählte Dörmann t-online, wie es zu dem Lebenswandel kam und was er Kritikern entgegnet.

t-online: Wie sind Sie zur Kirche gekommen, Herr Dörmann?

Matthias Dörmann: Auf dem Dorf ist es Tradition, dass man getauft wird und zum Konfirmandenunterricht geht, auch wenn die Familie nicht religiös ist. So bin ich dort gelandet. Und geblieben bin ich wegen des Sohnes des Pastors. In den hatte ich mich im Konfirmandenunterricht verliebt. Gleichzeitig gab mir die Kirche damals sehr viel Sicherheit und Halt, den ich als Scheidungskind mit zwölf Jahren sehr gut gebrauchen konnte.

Hat der Sohn des Pastors von Ihrer Schwärmerei für ihn erfahren?

Vor ihm habe ich mich mit 13 Jahren sogar als Erstes geoutet. Bei einem Zeltlager von der Kirche habe ich ihm erzählt, dass ich in ihn verliebt bin. Der nahm das sehr locker auf und sagte mir, aus uns werde nichts, aber wir könnten beste Freunde bleiben.

Wann erfuhr dann die Kirche von Ihrer Homosexualität?

Mit 16 Jahren habe ich mich dann vor meiner Schwester und kurz danach vor dem Diakon und Pastor geoutet. Ich habe zu der Zeit bereits ehrenamtlich für die Kirche gearbeitet. Deswegen war es mir wichtig, dass die das wissen. Der Tenor dort war, man dürfe so empfinden, es aber nicht ausleben.

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Wie fanden Sie diese Aussage?

Ich habe mich total gefreut, weiter für die Kirche arbeiten zu dürfen, und habe mich gleichzeitig eingeengt gefühlt. Mein Outing war eine große Befreiung für mich. Nach einem halben Jahr habe ich mich dann doch damit abgefunden und entschlossen, dass mir die Gemeinde wichtiger war als die Auslebung meiner Sexualität. Das lief dann zehn Jahre mehr oder weniger gut. In dieser Zeit ließ ich mich auch zum Diakon ausbilden.

Was ist dann passiert?

Ich hatte mir in diesen Jahren immer mal wieder Dating-Apps heruntergeladen und Männer getroffen. Doch immer, wenn es ernster wurde, habe ich die Beziehung abgebrochen. Ich wusste, ich kann diese Beziehungen nicht mit meiner Arbeit als Diakon vereinbaren. Bis ich Tobi, meinen jetzigen Mann, mit 25 Jahren traf. Da war mir sehr schnell klar, mit diesem Mann will ich zusammenbleiben, und ich habe meine Stelle gekündigt.

Wie hat sich Ihr Leben seit der Kündigung geändert?

Ich bin sehr schnell mit meinem Freund nach Münster gezogen. Und obwohl ich nicht mehr bei der Kirche gearbeitet habe, dachte ich die ersten zwei Jahre: "Das, was du hier machst, ist Sünde." Wir haben als nicht verheiratetes Paar zusammengelebt, was schon eine Sünde für sich wäre, und dann auch noch als schwules Paar. In dieser Zeit konnte ich meine Beziehung nicht vorbehaltlos leben.

Auch das allein ist ein weiter Weg. Wie kamen Sie dann darauf, noch weiter zu gehen und in Drag aufzutreten?

Wegen der Kirche! Es ist doch so, entweder sind Homosexuelle in der Kirche unsichtbar, weil sie nicht auffallen oder geoutet werden wollen, oder sie gehen, so wie ich es getan habe. So oder so sind homosexuelle Menschen in der Kirche nicht sichtbar, und das wollte ich ändern. Ich wollte, dass die Kirche mich sieht und sich mit dieser Thematik auseinandersetzt. Die Serie "RuPaul‘s Drag Race" gab mir dann die Inspiration zu Liberty LeStrange, meiner Drag-Figur.

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Wie haben Sie denn die Kirchen auf sich aufmerksam gemacht?

Ich habe mich bisher nicht getraut, in Drag in meine alte Kirche zu gehen. Stattdessen kläre ich auf Instagram auf und tagge die Jugendverbände der Kirchen, die ebenfalls auf Instagram aktiv sind. Darauf habe ich bisher viel positives Feedback bekomme, aber das negative bleibt natürlich nicht aus. Zum Glück kann ich das gut wegstecken und gut gegenargumentieren.

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Was sind Ihre Argumente gegen negative Kommentare?

Wer die Bibel historisch und nicht wortgetreu ausgelegt, stellt fest: In der Bibel wird Homosexualität als solche gar nicht behandelt. Es wird ausschließlich der Sexualakt erwähnt. Und hierfür müssen wir den historischen Kontext hinzuziehen. In dieser Zeit gab es viele Lustknaben, die aufgrund von Abhängigkeitsverhältnissen missbraucht wurden, und dies wollte die Bibel unterbinden. Doch Liebe zwischen Männern oder zwischen Frauen wird in der Bibel nicht verboten.

Und wie stehen Sie zu den jüngsten Vorwürfen, Dragqueens würden Kinder frühsexualisieren?

Mich stört dieser Vorwurf sehr! Denn damit wird auch immer das Wort Pädophilie mit ins Spiel gebracht, was hauptsächlich aus dem Paragrafen 175 kommt. Dieser stellte Homosexualität unter Strafe und als widernatürlich dar. Das ist natürlich Quatsch! Wir bieten unsere Shows abends und in einem Club an, dort haben Kinder keinen Zutritt. Wenn wir aber wie demnächst bei einem Kulturfest auftreten, dann passen wir natürlich unsere Show an und wissen, welche Performances wir für den Tag streichen. Wir machen uns natürlich Gedanken darüber, wer unsere Zielgruppe ist, und richten uns dementsprechend nach deren Bedürfnissen.

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Früher war Homosexualität unter Männern nicht nur verpönt, sondern strafbar. (Quelle: Christoph Hardt via www.imago-images.de)

Homosexualität stand bis 1994 unter Strafe

Der Paragraf 175 des Strafgesetzbuches (StGB) stellte sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe. Damit unterlagen homosexuelle Beziehungen nicht nur einem gänzlich anderen gesellschaftlichen Maßstab, sondern auch strafrechtlichen Sondervorschriften, die oft mit rigoroser Bestrafung der Betroffenen einhergingen.

Vielen Dank für Ihre Zeit, Herr Dörmann.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Matthias Dörmann
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