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Köln/Teheran: Tochter nach Urteil gegen Nahid Taghavi erschüttert: "Müssen kämpfen"


Kölnerin muss im Iran in Haft
Tochter verzweifelt: "Meine Mutter hat kein Verbrechen begangen"

Von Florian Eßer

Aktualisiert am 06.08.2021Lesedauer: 3 Min.
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Ein Foto aus der Zeit vor ihrer Festnahme: Die Kölner Architektin Nahid Taghavi.Vergrößern des Bildes
Ein Foto aus der Zeit vor ihrer Festnahme: Die Kölner Architektin Nahid Taghavi (l.) mit ihrer Tochter Mariam Claren. (Quelle: Archivbild/Privatbestand Mariam Claren)

Die Kölnerin Nahid Taghavi wurde im Iran zu einer langen Haftstrafe verurteilt. 10 Jahre und 8 Monate soll die 65-jährige Architektin im Gefängnis verbringen. Ihre in Köln lebende Tochter ist erschüttert

Ein iranisches Revolutionsgericht hatte die 65-jährige Kölnerin Nahid Taghavi am Mittwoch zu einer langen Haftstrafe verurteilt. Nun äußert sich ihre Tochter Mariam Claren – sie sagt: Taghavi habe sich nichts zuschulden kommen lassen.

In einer Stellungnahme schreibt Claren: "Meine Mutter hat kein Verbrechen begangen, es sei denn, Meinungs- und Gedankenfreiheit sind illegal". "Solange ich sie kenne, war ihr Schmerz der Schmerz des unterdrückten iranischen Volkes. Deshalb ist sie nun eingesperrt, wie Tausend andere politische Gefangene. Wir müssen für ihre Freiheit kämpfen."

Der Vorwurf der iranischen Staatsanwaltschaft: Taghavi soll Mitglied in einer illegalen Vereinigung gewesen sein und als solches "Propaganda gegen das Regime" betrieben haben. Die Architektin bestreitet die gegen sie erhobenen Vorwürfe.

Seit der Verhaftung ihrer Mutter im Oktober des vergangenen Jahres hatte Claren auch immer wieder die deutsche Bundesregierung kritisiert. Diese würde sich nicht genug für das Schicksal der Gefangenen im Iran einsetzen – nicht einmal für das der eigenen Landsleute.

"Deutschland ist zu ängstlich"

Auch Martin Lessenthin von der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) kritisiert das Vorgehen der Politik: "Wir sind enttäuscht, dass vonseiten der Bundesregierung nicht öffentlich agiert wurde, sodass nie bekannt wurde, ob und was für die Freilassung von Frau Taghavi getan wurde." Für ihn steht fest: "Deutschland ist zu ängstlich gegenüber der totalitären Herrschaft des Irans, die macht, was sie will."

Tatvorwurf "Propaganda gegen das Regime"
Martin Lessenthin von der IGFM erklärt: "Das ist der Vorwurf einer umstürzlerischen Verschwörung gegen das System der iranischen Republik." Es sei der Standardvorwurf für alle, die sich für eine pluralistische Ordnung und die Rechte von Frauen und Minderheiten im Iran einsetzen: Gewerkschafter, Journalisten und Aktivisten. "Es kann all jene treffen, die es wagen, das aktuelle Regime zu kritisieren, oder auch nur Verbesserungsvorschläge zu machen", so Lessenthin.
Zusammen mit Nahid Taghavi waren fünf weitere politische Gefangene angeklagt, die das Revolutionsgericht als "Mitverschwörer" ansah. Allen wurde vorgeworfen, in illegalen Gruppierungen zusammengearbeitet und Lügen verbreitet zu haben, mit dem "Ziel des politischen Umsturzes". Alle Angeklagten wurden vom iranischen Revolutionsgericht für schuldig befunden.

Fragwürdige Methoden bei Festnahme und Prozess

Über das Strafmaß von zehn Jahren und acht Monaten war man bei der IGFM nicht überrascht. Hohe Haftstrafen seien im Iran nicht unüblich. Bereits die Festnahme und auch der Gerichtsprozess seien "mehr als nur fragwürdig" abgelaufen, erklärt Lessenthin: "Es gab im Prinzip nur einen echten Prozesstag, bei dem die Angeklagte, Frau Taghavi, alle Anschuldigungen über sich ergehen lassen musste." Und weiter: "Sie durfte dann kurz widersprechen, ihr Anwalt durfte ebenso kurz plädieren und dann war das Verfahren auch schon beendet."

Kölnerin bereits seit Oktober 2020 in Haft

Nahid Taghavi war im Oktober des vergangenen Jahres von Revolutionsgardisten verhaftet worden, als sie in ihrer iranischen Heimat Verwandte besuchte. Im Anschluss brachte man die 65-jährige Architektin in das berüchtigte Evin-Gefängnis in Teheran, das ausschließlich der Unterbringung politischer Gefangener dient. Die Haftanstalt am Rande der iranischen Hauptstadt wird im Volksmund auch als "Evin-Universität" bezeichnet, weil dort so viele Akademiker und Intellektuelle inhaftiert sind.

Nahid Taghavi brachte einen Großteil ihrer Haftstrafe im Gefängnisbereich A2 zu, das von Mitgliedern der Revolutionsgarde selbst verwaltet wird. Hier war Taghavi menschenunwürdigen Bedingungen und sogenannter weißer Folter ausgesetzt: So durfte die 65-jährige Diabetikerin nur für eine halbe Stunde pro Tag an die frische Luft, wobei sie eine Augenbinde tragen musste. Zum Schlafen musste der nackte Betonboden herhalten.

Nachdem Taghavi in den Frauentrakt des Gefängnisses verlegt wurde, verbesserte sich ihr körperlicher Zustand zunächst, bis sie – wie die andern Frauen im Trakt – an Corona erkrankte: "Sowohl konsularischer Beistand und angemessene medizinische Versorgung als auch Schutz vor einer Corona-Infektion wurden ihr verweigert", heißt es von Seiten der IGFM. "Ihre Haftumstände erfüllen den Tatbestand der Folter!"

Iran: Neuer Präsident gilt als Hardliner

Bereits im April hatte der Prozess gegen Taghavi beginnen sollen, wurde auf Drängen ihres Anwalts aber verschoben, den sie an diesem Tag zum ersten Mal sah. Laut Martin Lessenthin sei es dann absehbar gewesen, dass ein Urteil erst nach der Präsidentschaftswahl im Iran gefällt werden würde, die der erzkonservative Geistliche Ebrahim Raisi für sich entscheiden konnte.

Menschenrechtsorganisationen und Sonderberichte der Vereinten Nationen beschuldigen Raisi, Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben. So soll Raisi ein Hauptverantwortlicher der Chomeini-Massaker gewesen sein, bei denen 1988 mindestens 1.300 Menschen getötet wurden.

"Beendigung der Geiselnahme"

Obwohl Nahid Taghavi nun verurteilt wurde, geben Tochter Mariam Claren und auch die IGFM die Hoffnung noch nicht auf, dass die 65-Jährige wieder in Freiheit kommt: "Wir hoffen, dass die Bundesregierung nun deutlicher wird und in Gesprächen mit dem Iran die Beendigung der Geiselnahme von Frau Taghavi erreichen wird", erklärt Martin Lessenthin.

Unter anderem mit einer Sonderbriefmarke möchte die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte nun auf das Schicksal von Nahid Taghavi aufmerksam machen und für ihre Freilassung werben.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
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