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Warum ein Journalist in Leipzig das LKA verklagt


Journalist verklagt Polizei wegen Geheimnisverrats


Aktualisiert am 22.09.2022Lesedauer: 4 Min.
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Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr fΓΌr Sie ΓΌber das Geschehen in Deutschland und der Welt.

Prozessauftakt im Fall Lina E. am 8. September 2021 am Oberlandesgericht in Dresden: Der Fall wird unter hâchsten Sicherheitsvorkehrungen verhandelt.Vergrâßern des Bildes
Polizist beim Prozessauftakt im Fall Lina E. am Oberlandesgericht in Dresden (Archiv): "Kontrollfunktion der Presse bewusst unterlaufen". (Quelle: Arvid MΓΌller/imago images)

Gaben Polizisten gezielt Informationen an bestimmte Journalisten, um ihre eigene Arbeit zu beschΓΆnigen? Eine Klage soll dies klΓ€ren.

Ein Leipziger Investigativjournalist hat das Landeskriminalamt (LKA) Sachsen verklagt. Er geht dabei einem Verdacht nach, der, sollte er sich bestΓ€tigen, Auswirkungen auf viele spektakulΓ€re Ermittlungen und Prozesse in Deutschland haben kΓΆnnte: Manipuliert die Polizei mit Durchstechereien gezielt die Γ–ffentlichkeit – und beeinflusst damit sogar die Rechtsprechung eigentlich unabhΓ€ngiger Gerichte?

Konkret geht es um eines der grâßten Strafverfahren gegen mutmaßliche Linksextremisten seit RAF-Zeiten: den Prozess gegen die Leipziger Studentin Lina E. als mutmaßliche RÀdelsführerin einer linksextremen, militanten Vereinigung.

Behârdenpraxis "verstâßt gegen das Grundgesetz"

Und es geht um einzelne, offenbar ausgesuchte Journalisten, die erstaunlich detaillierte – und vor allem exklusive – Informationen aus der Ermittlungsarbeit der Polizei zum Fall Lina E. erhalten und berichtet haben. So zitierte die Zeitung "Die Welt" beispielsweise exklusiv aus einem AbhΓΆrprotokoll der Polizei.

Der Verdacht: Polizisten des LKA sollen durch die gezielte Weitergabe von polizeiinternen Details zum Fall Lina E. an ausgesuchte Journalisten die Darstellung ihrer Arbeit in der Γ–ffentlichkeit manipulieren – und zwar in eigenem Interesse.

"Mit dieser Praxis kann das LKA gezielt auswÀhlen, wer welche Informationen bekommt", sagt der KlÀger, der Journalist Aiko Kempen, zu t-online. "So versucht die Behârde, die Hoheit über die Deutung ihres eigenen Handelns zu behalten. Das verstâßt gegen das Grundgesetz", meint er. Die Kontrollfunktion der Presse würde dadurch bewusst unterlaufen.

Wie gelangten Details aus Akten zu den Journalisten?

Das Verfahren gegen Lina E. findet vor dem Oberlandesgericht Dresden statt, die Anklage vertritt der Generalbundesanwalt. Der 27-JΓ€hrigen wird vorgeworfen, zusammen mit Komplizen systematisch Neonazis in Ostdeutschland ΓΌberfallen, verprΓΌgelt und teilweise schwer verletzt zu haben.

Von ihrer Wohnung im Leipziger Stadtteil Connewitz aus sollen sie und befreundete Kampfsportler eine klandestin und brutal vorgehende Vereinigung von NeonazijΓ€gern gebildet haben.

Über den Fall wird breit berichtet. Offensichtlich verfügten aber Journalisten beispielsweise der "Welt" aus dem Axel-Springer-Verlag oder des rechten "Compact"-Magazins über exklusive Insiderinformationen, die offenbar nur aus Polizeikreisen stammen konnten.

Doch wie gelangten diese Informationen an die Journalisten? Und warum ausgerechnet exklusiv an diese Journalisten? Hat das LKA sich selbst bestimmte Medienvertreter ausgesucht und diese auf eigene Initiative mit einzigartigen und besonders spannenden Informationen versorgt?

Offenbar Wort fΓΌr Wort aus einem AbhΓΆrprotokoll zitiert

Um diesen Fragen nachzugehen, hat der Leipziger Journalist Aiko Kempen Klage beim Verwaltungsgericht in Dresden eingereicht. Das LKA Sachsen soll vor Gericht gezwungen werden, offenzulegen, mit welchen Journalisten die Ermittler sprachen und welchen Medienvertretern sie Akteneinsicht gaben. Kempen, der fΓΌr das Transparenz-Portal "Frag den Staat" tΓ€tig ist, beruft sich dabei auf sein Auskunftsrecht als Journalist.

Eine ordentliche Anfrage von Kempen ließ das LKA Sachsen zuvor inhaltlich unbeantwortet. Man wolle unter anderem die beteiligten Journalisten schützen, gab die Behârde als Grund an. Nun will er die Informationen einklagen.

In seiner t-online vorliegenden Klageschrift nennt Kempen als Beispiel unter anderem jenen schon erwΓ€hnten Beitrag der "Welt" mit dem Titel "Dastehen mit der Waffe und Leute abballern", in dem offensichtlich wortwΓΆrtlich aus einem AbhΓΆrprotokoll der Polizei zitiert wird. Die Beamten hatten das Auto eines VerdΓ€chtigen verwanzt.

"Er sprach an, wie genau er zuschlagen wollte"

"Für den Krankenpfleger Jonathan M. schien sein Smart Fortwo ein Ort zu sein, an dem er offen reden konnte", heißt es in dem "Welt"-Beitrag. Und weiter: "M. ist Kampfsportler, er sprach an, wie genau er zuschlagen wollte. Fest und wuchtig würde er bei ÜberfÀllen prügeln, so lange, bis der Gegner am Boden liege."

In einem anderen Beitrag der "Welt" werden detaillierte Einzelheiten aus der Hausdurchsuchung bei Lina E. in Leipzig-Connewitz genannt: "Gleich an der WohnungstΓΌr und neben ihrer ZimmertΓΌr fanden Beamten griffbereit Beutel in unterschiedlichen Farben. Darin: Mobiltelefone, PerΓΌcken, Hammer."

Ein Beitrag des "Compact"-Magazins mit dem vielsagenden Titel "Das ist die ganze Strafakte der Antifa-Hammerbande" zeigt Fotos aus der erkennungsdienstlichen Behandlung eines Beschuldigten und weitere wΓΆrtliche Zitate aus Strafakten.

Macht die Polizei gemeinsame Sache mit einzelnen Journalisten?

Kempen führt eine zweistellige Zahl an BeitrÀgen an, die Informationen enthalten, die "zwingend aus Ermittlungsakten stammen mussten", wie es heißt. Die meisten dieser BeitrÀge wurden von der "Welt" verâffentlicht. Er vermutet, dass alle diese Informationen aus HintergrundgesprÀchen stammen, die auf Initiative des LKA zustande kamen.

"Das ist teilweise gezielte PR-Arbeit", sagte Kempen dem Leipziger Stadtmagazin "kreuzer", das zuerst ΓΌber die Klage berichtete. Er sieht die Praxis "gezielter HintergrundgesprΓ€che" mit von der BehΓΆrde ausgesuchten Journalisten kritisch, weil sie dazu fΓΌhren kann, dass die Arbeit von ErmittlungsbehΓΆrden in der Γ–ffentlichkeit unvollstΓ€ndig dargestellt wird.

Letztlich sieht Kempen auch die Gefahr, dass durch diese Form der Γ–ffentlichkeitsarbeit des LKA die Rechtsprechung des Oberlandesgerichtes selbst beeinflusst werden kΓΆnnte. "Durch die Praxis der gezielten HintergrundgesprΓ€che wird natΓΌrlich das ΓΆffentliche Bild geprΓ€gt", sagt er. "Und im schlimmsten Fall beeinflusst so etwas sogar die spΓ€tere juristische Bewertung."

"Wenn Informationen herausgegeben werden, dann an alle"

Bei einer Γ€hnlichen Klage bekam der "Tagesspiegel"-Journalist Jost MΓΌller-Neuhof im Jahr 2019 vor dem Bundesverwaltungsgericht Recht. Dort ging es um die Informationspraxis des Bundesnachrichtendienstes (BND).

Auch MΓΌller-Neuhof wollte AuskΓΌnfte dazu haben, mit welchen ausgewΓ€hlten Journalisten der BND sprach und welche Themen dabei eine Rolle spielten. Nach dem Urteil musste der BND diese AuskΓΌnfte erteilen.

Kempen will mit seiner Klage auch erreichen, dass BehΓΆrdeninformationen in Zukunft transparent an die Γ–ffentlichkeit gegeben werden und nicht gezielt nur an bestimmte Journalisten. Er sagt: "Wenn eine BehΓΆrde Informationen herausgibt, dann an alle."

Verwendete Quellen
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