Journalist verklagt Polizei wegen Geheimnisverrats
Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr fΓΌr Sie ΓΌber das Geschehen in Deutschland und der Welt.

Gaben Polizisten gezielt Informationen an bestimmte Journalisten, um ihre eigene Arbeit zu beschΓΆnigen? Eine Klage soll dies klΓ€ren.
Ein Leipziger Investigativjournalist hat das Landeskriminalamt (LKA) Sachsen verklagt. Er geht dabei einem Verdacht nach, der, sollte er sich bestΓ€tigen, Auswirkungen auf viele spektakulΓ€re Ermittlungen und Prozesse in Deutschland haben kΓΆnnte: Manipuliert die Polizei mit Durchstechereien gezielt die Γffentlichkeit β und beeinflusst damit sogar die Rechtsprechung eigentlich unabhΓ€ngiger Gerichte?
Konkret geht es um eines der grΓΆΓten Strafverfahren gegen mutmaΓliche Linksextremisten seit RAF-Zeiten: den Prozess gegen die Leipziger Studentin Lina E. als mutmaΓliche RΓ€delsfΓΌhrerin einer linksextremen, militanten Vereinigung.
BehΓΆrdenpraxis "verstΓΆΓt gegen das Grundgesetz"
Und es geht um einzelne, offenbar ausgesuchte Journalisten, die erstaunlich detaillierte β und vor allem exklusive β Informationen aus der Ermittlungsarbeit der Polizei zum Fall Lina E. erhalten und berichtet haben. So zitierte die Zeitung "Die Welt" beispielsweise exklusiv aus einem AbhΓΆrprotokoll der Polizei.
Der Verdacht: Polizisten des LKA sollen durch die gezielte Weitergabe von polizeiinternen Details zum Fall Lina E. an ausgesuchte Journalisten die Darstellung ihrer Arbeit in der Γffentlichkeit manipulieren β und zwar in eigenem Interesse.
"Mit dieser Praxis kann das LKA gezielt auswΓ€hlen, wer welche Informationen bekommt", sagt der KlΓ€ger, der Journalist Aiko Kempen, zu t-online. "So versucht die BehΓΆrde, die Hoheit ΓΌber die Deutung ihres eigenen Handelns zu behalten. Das verstΓΆΓt gegen das Grundgesetz", meint er. Die Kontrollfunktion der Presse wΓΌrde dadurch bewusst unterlaufen.
Wie gelangten Details aus Akten zu den Journalisten?
Das Verfahren gegen Lina E. findet vor dem Oberlandesgericht Dresden statt, die Anklage vertritt der Generalbundesanwalt. Der 27-JΓ€hrigen wird vorgeworfen, zusammen mit Komplizen systematisch Neonazis in Ostdeutschland ΓΌberfallen, verprΓΌgelt und teilweise schwer verletzt zu haben.
Von ihrer Wohnung im Leipziger Stadtteil Connewitz aus sollen sie und befreundete Kampfsportler eine klandestin und brutal vorgehende Vereinigung von NeonazijΓ€gern gebildet haben.
Γber den Fall wird breit berichtet. Offensichtlich verfΓΌgten aber Journalisten beispielsweise der "Welt" aus dem Axel-Springer-Verlag oder des rechten "Compact"-Magazins ΓΌber exklusive Insiderinformationen, die offenbar nur aus Polizeikreisen stammen konnten.
Doch wie gelangten diese Informationen an die Journalisten? Und warum ausgerechnet exklusiv an diese Journalisten? Hat das LKA sich selbst bestimmte Medienvertreter ausgesucht und diese auf eigene Initiative mit einzigartigen und besonders spannenden Informationen versorgt?
Offenbar Wort fΓΌr Wort aus einem AbhΓΆrprotokoll zitiert
Um diesen Fragen nachzugehen, hat der Leipziger Journalist Aiko Kempen Klage beim Verwaltungsgericht in Dresden eingereicht. Das LKA Sachsen soll vor Gericht gezwungen werden, offenzulegen, mit welchen Journalisten die Ermittler sprachen und welchen Medienvertretern sie Akteneinsicht gaben. Kempen, der fΓΌr das Transparenz-Portal "Frag den Staat" tΓ€tig ist, beruft sich dabei auf sein Auskunftsrecht als Journalist.
Eine ordentliche Anfrage von Kempen lieΓ das LKA Sachsen zuvor inhaltlich unbeantwortet. Man wolle unter anderem die beteiligten Journalisten schΓΌtzen, gab die BehΓΆrde als Grund an. Nun will er die Informationen einklagen.
In seiner t-online vorliegenden Klageschrift nennt Kempen als Beispiel unter anderem jenen schon erwΓ€hnten Beitrag der "Welt" mit dem Titel "Dastehen mit der Waffe und Leute abballern", in dem offensichtlich wortwΓΆrtlich aus einem AbhΓΆrprotokoll der Polizei zitiert wird. Die Beamten hatten das Auto eines VerdΓ€chtigen verwanzt.
"Er sprach an, wie genau er zuschlagen wollte"
"FΓΌr den Krankenpfleger Jonathan M. schien sein Smart Fortwo ein Ort zu sein, an dem er offen reden konnte", heiΓt es in dem "Welt"-Beitrag. Und weiter: "M. ist Kampfsportler, er sprach an, wie genau er zuschlagen wollte. Fest und wuchtig wΓΌrde er bei ΓberfΓ€llen prΓΌgeln, so lange, bis der Gegner am Boden liege."
In einem anderen Beitrag der "Welt" werden detaillierte Einzelheiten aus der Hausdurchsuchung bei Lina E. in Leipzig-Connewitz genannt: "Gleich an der WohnungstΓΌr und neben ihrer ZimmertΓΌr fanden Beamten griffbereit Beutel in unterschiedlichen Farben. Darin: Mobiltelefone, PerΓΌcken, Hammer."
Ein Beitrag des "Compact"-Magazins mit dem vielsagenden Titel "Das ist die ganze Strafakte der Antifa-Hammerbande" zeigt Fotos aus der erkennungsdienstlichen Behandlung eines Beschuldigten und weitere wΓΆrtliche Zitate aus Strafakten.
Macht die Polizei gemeinsame Sache mit einzelnen Journalisten?
Kempen fΓΌhrt eine zweistellige Zahl an BeitrΓ€gen an, die Informationen enthalten, die "zwingend aus Ermittlungsakten stammen mussten", wie es heiΓt. Die meisten dieser BeitrΓ€ge wurden von der "Welt" verΓΆffentlicht. Er vermutet, dass alle diese Informationen aus HintergrundgesprΓ€chen stammen, die auf Initiative des LKA zustande kamen.
"Das ist teilweise gezielte PR-Arbeit", sagte Kempen dem Leipziger Stadtmagazin "kreuzer", das zuerst ΓΌber die Klage berichtete. Er sieht die Praxis "gezielter HintergrundgesprΓ€che" mit von der BehΓΆrde ausgesuchten Journalisten kritisch, weil sie dazu fΓΌhren kann, dass die Arbeit von ErmittlungsbehΓΆrden in der Γffentlichkeit unvollstΓ€ndig dargestellt wird.
Letztlich sieht Kempen auch die Gefahr, dass durch diese Form der Γffentlichkeitsarbeit des LKA die Rechtsprechung des Oberlandesgerichtes selbst beeinflusst werden kΓΆnnte. "Durch die Praxis der gezielten HintergrundgesprΓ€che wird natΓΌrlich das ΓΆffentliche Bild geprΓ€gt", sagt er. "Und im schlimmsten Fall beeinflusst so etwas sogar die spΓ€tere juristische Bewertung."
"Wenn Informationen herausgegeben werden, dann an alle"
Bei einer Γ€hnlichen Klage bekam der "Tagesspiegel"-Journalist Jost MΓΌller-Neuhof im Jahr 2019 vor dem Bundesverwaltungsgericht Recht. Dort ging es um die Informationspraxis des Bundesnachrichtendienstes (BND).
Auch MΓΌller-Neuhof wollte AuskΓΌnfte dazu haben, mit welchen ausgewΓ€hlten Journalisten der BND sprach und welche Themen dabei eine Rolle spielten. Nach dem Urteil musste der BND diese AuskΓΌnfte erteilen.
Kempen will mit seiner Klage auch erreichen, dass BehΓΆrdeninformationen in Zukunft transparent an die Γffentlichkeit gegeben werden und nicht gezielt nur an bestimmte Journalisten. Er sagt: "Wenn eine BehΓΆrde Informationen herausgibt, dann an alle."
- Eigene Recherchen
- kreuzer-leipzig.de: "Leipziger Journalist verklagt LKA Sachsen"
- GesprΓ€ch mit Aiko Kempen
- Website des Bundesverwaltungsgerichtes: Urteil vom 18.9.2019 "Anspruch der Presse auf Auskunft ΓΌber von dem Bundesnachrichtendienst organisierte HintergrundgesprΓ€che mit Journalisten"