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Dalai Lama feiert 634. Geburtstag: Wundersame Erscheinung in Tibet


Tagesanbruch
Wundersame Erscheinung lässt staunen

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 04.07.2025 - 07:43 UhrLesedauer: 7 Min.
Qaidam-Salzseen im tibetischen Hochplateau der Provinz Qinghai.Vergrößern des Bildes
Qaidam-Salzseen im tibetischen Hochplateau der Provinz Qinghai. (Quelle: imago imago)
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Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

am Sonntag ist Geburtstag. Ein religiöser Würdenträger, der in Deutschland besonderen Respekt genießt, feiert seinen 634. Geburtstag. Oder seinen 90. Das kommt drauf an.

Mit dem gefühlten Alter hat die Differenz jedenfalls nichts zu tun – auch wenn der greise Jubilar noch immer mit beiden Beinen im Arbeitsleben steht. Er hat einen Job, den man nicht kündigen kann. Das Oberhaupt einer Religionsgemeinschaft hat keinen Anspruch auf Ruhestand, in vielen Religionen jedenfalls. Die Katholiken machen manchmal eine Ausnahme: Benedikt XVI. ("Wir sind Papst") ist tatsächlich vorzeitig vom Amt zurückgetreten. Aber ein Papst wird eben gewählt. Der Dalai Lama nicht: Er ist, wer er ist, sobald er das Licht der Welt erblickt.

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Es ist alles ein bisschen anders im Fernen Osten, am Rande des Himalayas. Bei all den Wunderlichkeiten, die den Dalai Lama umgeben, weiß man kaum, wo man anfangen soll. Vielleicht mit etwas Einfachem: Das religiöse Oberhaupt der Tibeter residiert … nein, eben nicht in Tibet. Ein anderes Oberhaupt, nämlich die Heilsgestalt der chinesischen Kommunisten, hatte Anfang der 1950er Jahre begehrliche Blicke auf das wilde, weite Land geworfen. Nach Ansicht Maos war Tibet irgendwann früher und deshalb eigentlich schon immer chinesisch – und sollte es auch schleunigst wieder werden. Also marschierten die Chinesen auf Lhasa, nahmen die Residenz des tibetischen Gottkönigs ein und seine Hoheit in den Würgegriff. Später floh der Dalai Lama bei Nacht und Nebel nach Indien. Wer konnte, floh mit.

Das Weite zu suchen, ist eine weise Entscheidung gewesen. Schon die chinesische "Volksbefreiungsarmee" war nach der Eroberung Tibets nicht zimperlich. Was sich dort zehn Jahre später während der Kulturrevolution abspielte, war an Brutalität nicht mehr zu übertreffen. In ihrem Wüten gegen reaktionäre Rückständigkeit wollten Maos Rote Garden alles Alte auslöschen. Im traditionsreichen Himalaya wurden sie fündig wie nirgendwo sonst: Sie schlugen die buddhistischen Klöster, Dreh- und Angelpunkt der tibetischen Kultur und Bildung, zu Trümmern. Sie erniedrigten, folterten und töteten Mönche, Nonnen, Bauern und Nomaden. Als der stürmische Terror vorüber war, wurde er durch schleichenden Terror ersetzt.

Dieser hält bis heute an: Die Tibeter sind nur Geduldete in ihrem eigenen Land; Lhasa ist zu einer chinesischen Stadt geworden. Die Diktatoren in Peking setzen alles daran, Tibets Sprache und Kultur zu Relikten einer Vergangenheit zu degradieren, die bestenfalls zur Folklore taugt, eigentlich aber auf dem Müllhaufen der Geschichte gelandet ist. Diese Strategie funktioniert.

Angesichts des chinesischen Diktats ist es kein Wunder, dass die Nachfolge des Dalai Lama zu einer explosiven politischen Angelegenheit geworden ist. Aus Pekings Perspektive handelt es sich dabei um einen Prozess, bei dem der Staat nicht nur ein Mitspracherecht, sondern auch das letzte Wort verlangt – so, als ernenne man einen neuen Filialleiter. Nach dem Verständnis der tibetischen Buddhisten hingegen wird der Dalai Lama nicht ernannt, sondern entdeckt: Spürtrupps machen sich heimlich auf den Weg, Orakel werden befragt, Visionen religiöser Würdenträger miteinander abgeglichen und als Indizien auf der Suche nach der Nadel im Heuhaufen genutzt.

Denn der Dalai Lama ist schwer zu finden. Er entstammt keiner Dynastie. Ein Kind von Bauern, Handwerkern, Gemischtwarenhändlern kann er sein, irgendwo in den Weiten Tibets oder unerkannt in der Exilgemeinschaft. Die Suche kann Jahre dauern.

Hilfreiche Tipps zur Nachfolgersuche sind auch vom Jubilar zu erwarten, jedenfalls war das in der Vergangenheit oft der Fall. Denn er hat Einblick. Die "Nachfolge", wie wir es nennen, ist eigentlich kein Stafettenwechsel zu einem neuen, anderen Oberhaupt – sondern eher ein kurzer Gang in die Garderobe, zum Kostümwechsel vor dem nächsten Akt, wonach derselbe Protagonist wieder auf die Bühne zurückkehrt. Der erste Dalai Lama aus dem 14. Jahrhundert und der freundliche Senior, den wir heute aus Funk, Fernsehen und Internet kennen, sind streng genommen derselbe: die immergleiche Gestalt, jahrhundertelang wiedergeboren, um ihrem Volk auf dem Weg der Erleuchtung beizustehen. So glauben es die Tibeter. Und damit dabei keiner schummelt, machen sie Tests.

Die Suchtrupps, die in alle Richtungen ins Land ausschwärmen, wedeln beim Anklopfen nicht mit Dalai-Lama-Suchausweisen herum. Sie bleiben lieber inkognito. Es seien irgendwelche Pilger gewesen, die angeblich eine Bleibe für die Nacht suchten, berichtete der älteste Bruder des heutigen Dalai Lama. Der hochrangigste Würdenträger in der Undercover-Truppe tarnte sich zusätzlich als Diener. Selbstverständlich durchschaute das erleuchtete Kind den Trick. Dann nahm es dem Wichtigheimer eine Gebetskette weg, die dem zuvor gestorbenen Dalai Lama gehört hatte, und verlangte zu wissen, wie "seine Gebetskette" in die Finger des Besuchers gelangt sei. Zahlreiche Tests folgten, und unerklärliche Begebenheiten, wie die Beherrschung höfischer Sprache trotz bäuerlicher Umgebung, rundeten das Gesamtbild ab.

Bei einem kritischen, mit der tibetischen Wunderwelt fremdelnden Betrachter schaltet sich an dieser Stelle eine gewisse Skepsis ein. Schon im frühen Mittelalter gehörte das wunderbegabte Kind zur Grundausstattung christlicher Heiligenbiografien. Dass der islamische Religionsstifter Muhammad als Analphabet ein Werk wie den Koran hervorbrachte, zählt Gläubigen als Beleg für die Echtheit der Offenbarung. Die unerklärlichen Fähigkeiten, die den Dalai Lama als solchen identifizieren, tauchen auch anderswo in unterschiedlichsten Epochen und Kulturen auf und haben Wiedererkennungswert. Man kann das auffällig, vielleicht sogar verdächtig finden. Oder wunderbar. Ob es sich um Wahrheit oder Verklärung, um ein gern kopiertes Stilmittel oder aber um ein Zeichen handelt, ist eben eine Frage des Glaubens.

Eines allerdings kann man mit Bestimmtheit feststellen: Im Internet-Zeitalter sind wir an Wunder nicht mehr gewöhnt. Das Tauziehen um die Nachfolge des greisen Dalai Lama, bei dem Chinas Machthaber einen ihnen genehmen Kandidaten durchsetzen wollen, erscheint uns deshalb vor allem als dramatischer Politpoker um das Überleben eines Volkes, dessen Identität ausgelöscht werden soll. Das stimmt.

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Aber es ist verkürzt. Denn der alte Mann im Exil ist für die Tibeter mehr als eine politische Figur: Er ist eine Verkörperung der Selbstlosigkeit, eine Erlösergestalt, die wieder und wieder in die Welt zurückkehrt, solange es dort an Erleuchtung mangelt. Auch dafür gilt: Man muss es glauben. Aber beklatschen darf man es allemal. Denn mehr Erleuchtung können wir hienieden gebrauchen. Also herzlichen Glückwunsch, Dalai Lama!


Trump macht horrende Schulden

Am 4. Juli, dem Independence Day, feiern die Vereinigten Staaten ihre 1776 erklärte Unabhängigkeit von Großbritannien. Mit Paraden, Feuerwerk und Flaggen wird der amerikanische Lebensstil gepriesen, das Ideal vom "Land of the Free, Home of the Brave" hochgehalten, in dem jeder die Möglichkeit hat, seine Träume zu verwirklichen. Blickt man jedoch heute, gut fünf Monate nach Beginn der zweiten Präsidentschaft Donald Trumps, auf den Zustand des Landes, sind Freiheit und Chancengleichheit wohl die letzten Begriffe, die einem einfallen würden. Vielmehr will der autoritäre Narzisst im Weißen Haus das Geburtsrecht von Immigrantenkindern beschneiden – und bekommt dafür auch noch die Rückendeckung des mehrheitlich konservativ besetzten Obersten Gerichts.

Nachdem Trump in dieser Woche sein neues Abschiebegefängnis in den Sümpfen Floridas eingeweiht hat, das sogenannte Alligator Alcatraz, soll heute am bedeutungsschwangeren 4th of July ein weiterer Pflock eingeschlagen werden: Nach der hart umkämpften Zustimmung von Senat und Repräsentantenhaus will Trump sein "Big Beautiful Bill" unterzeichnen, ein voluminöses Steuergesetz, das Sozialleistungen kürzt, Wohlhabende entlastet und eine massive Steigerung der Staatsverschuldung vorsieht. Analysten warnen vor Risiken für das internationale Finanzsystem. Ein Grund zum Feiern ist auch das nicht.


Meilenstein in Moldau

Ob der EU-Beitritt der Ex-Sowjetrepublik Moldau in näherer Zukunft realistisch ist, sei mal dahingestellt. Wenn heute die drei Spitzen der Europäischen Union – Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, der Präsident des Europäischen Rates Antonio Costa und die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas – in der Hauptstadt Chisinau mit der moldauischen Präsidentin Maia Sandu zusammenkommen, darf dennoch von einem Meilenstein gesprochen werden: Es ist das erste Mal, dass die EU einen Gipfel in einem so kleinen Bewerberland abhält.

Dass dem im Norden, Osten und Süden von der Ukraine umschlossenen Binnenstaat diese Ehre zuteilwird, hat zwei zentrale Gründe. Zum einen geht es um ein Signal an Kreml-Kriegsherrn Putin, als dessen potenzielles nächstes Angriffsziel Moldau gilt. Zum anderen finden dort Ende September Parlamentswahlen statt, bei denen sich die regierende Partei "Aktion und Solidarität" der Proeuropäerin Sandu gegen eine starke prorussische Konkurrenz behaupten muss. Ihr dabei etwas unter die Arme zu greifen, ist zweifellos jede Mühe wert.


Anpfiff für Deutschland

Mit dem ersten Gruppenspiel gegen Polen starten die deutschen Fußball-Nationalspielerinnen heute Abend in St. Gallen in die Europameisterschaft. Das Spiel sehen Sie ab 21 Uhr bei der ARD und im Liveticker auf t-online. Während die DFB-Auswahl um Kapitänin Giulia Gwinn zu den Favoriten des Turniers gehört, ist für Neuling Polen schon die Teilnahme ein Erfolg. Unsere Reporterin Kim Steinke wird vom Ausgang berichten.


Lesetipps

Mein Kollege Christoph Schwennicke hat nicht die besten Erinnerungen an seine Zeit bei der Bundeswehr. Trotzdem ist er heute froh, seinen Wehrdienst geleistet zu haben.


Die schwarz-rote Bundesregierung bleibt dabei: Die Stromsteuer wird erst mal nicht für alle Bürger gesenkt – für die Mütterrente ist jedoch plötzlich mehr Geld da als geplant. Das ist schmerzhaft falsch, kommentiert unser Chefreporter Johannes Bebermeier.


Die USA stellen ihre Waffenlieferungen an die Ukraine teilweise ein. Für die Verteidiger könnte die Situation bald brenzlig werden, schreibt mein Kollege Simon Cleven.



Ohrenschmaus

Heute etwas wunderbar Kitschiges aus meinem Lieblingsland gefällig? Ecco!


Zum Schluss

Die Bundesregierung hat ein Problem – Herr Spahn hat die Lösung:

Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag.

Herzliche Grüße und bis morgen

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

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Mit Material von dpa.

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